Der Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe
am 14. August diesen Jahres hatte alle Hoffnungen zunichte gemacht, dass die
Hess- Gedenkkundgebung in Wunsiedel in diesem Jahr verboten werden würde. Dem
Recht auf Versammlungsfreiheit wurde stattgegeben und damit über 3.500 Neonazis
Tür und Tor geöffnet. Es wurde der größte rechtsextreme Aufmarsch der letzten
Jahre. Wunsiedel und das Grab von Hitler- Stellvertreter Rudolf Hess sind damit
endgültig zum braunen Wallfahrtsort in ganz Europa geworden.
Erschreckend dabei ist die Tatsache, dass es sich bei den
Teilnehmern aus der Bundesrepublik, Tschechien, Italien, Spanien, Belgien,
Niederlande, Österreich, Schweiz, Großbritannien, Schweden und Dänemark fast
ausschließlich um Anhänger des nationalen Kameradschaftsspektrums handelte, von
der NPD waren nur wenige dem Aufruf gefolgt. Ansonsten hätte man noch weitaus
höhere Teilnehmerzahlen befürchten müssen.
Von einem versöhnenden Schulterschluss zwischen "Freien
Nationalisten" und der NPD konnte hier keinesfalls die Rede sein. Allerdings
waren auch wichtige Funktionäre aus den Reihen der Kameradschaften nicht vor
Ort, besonders das Fehlen von Christian Worch, Thomas Wulff und Steffen Hupka
verwunderte auch die eigenen Anhänger.
Dafür waren die Frauen in diesem Jahr stärker denn je
vertreten. Die emsige Hamburgerin Inge Nottelmann war als Stellvertreterin von
Hauptorganisator Jürgen Rieger für die Koordination des rechten Spektakels
zuständig und tat dies auch mit gewichtiger Miene.
Mehrere "Skinhead-Gefolgsfrauen" gingen ihr dabei fleißig zur
Hand, verkauften Wunsiedel-Shirts mit dem Hess-Logo. Einige ältere
Funktionärinnen in Dirndl-Kleidern wurden von glatzköpfigen
Kameradschaftsführern artig begrüßt. Frauen in langen schwarzen Röcken und
weißen Blusen mit züchtigen Zöpfen trugen große Banner, und auch das Transparent
der "Kameradschaft Tor Berlin" durfte von rechten "Mädels" vorgezeigt werden.
Frauen stellten auch einen beträchtlichen Teil der
Ordnerschar, diese Begebenheit schien aber eher aus der Not heraus geboren, da
die Ordner laut Polizeiauflage nicht vorbestraft sein durften. Eine besondere
Ehre kam Daniela Wegener, einer Funktionärin aus dem Umfeld des Borussenchefs
"SS-Sigi" Borchardt, zu Gute - sie durfte neben Jürgen Rieger oben auf der Bühne
Zitate aus den Briefen von Rudolf Hess verlesen. Klischeegerecht und unkritisch
durfte sie dann auch nicht vom eisernen Kampf eines Altnazis berichten, sondern
zitierte schüchtern, steif und stockend dessen wirre Ansichten zu
"frauenspezifischen Themen" wie nationaler Kindererziehung.
Es gab auffällig viele weibliche Helferinnen in Wunsiedel,
sie wuselten im Hintergrund herum, durften Fahnen tragen und Zettelchen
verteilen. Aber bei allem weiblichen Fleiß und Ehrgeiz, Wunsiedel war für sie
kein emanzipatorischer Durchbruch, denn das freie Wort durften sie auch hier
nicht ergreifen.
Die Großveranstaltung startete am Samstagmorgen mit zwei
Liedermachern, der eine, Manuel, sang den alten Skrewdriver-Song "Tomorrow
belongs to me". Die obligate Grußbotschaft vom inzwischen verstorbenen Hess-Sohn
Wolf-Rüdiger wurde von Rieger verlesen und die vielen europäischen Abordnungen
schrieen ihre lautstarken Grußworte teilweise in militärischem Ton. Besonders
auffallend war die starke Präsenz der italienischen "Veneto Fronte Skinheads",
einer Gruppe, die vor allem Neonazi- Musikkonzerte veranstaltet.
Sehr viele der Skinheads rannten mit verklebten Tattoos
herum, anscheinend eher eine Vorsichtsmaßnahme der Organisatoren. Laut des
Polizeisprechers der Polizeidirektion Hof gab es 67 kurzzeitige Festnahmen,
überwiegend wegen des Tragens verfassungsfeindlicher Kennzeichen und des
Mitführens von gefährlichen Gegenständen. Eine der interessanteren
Demonstrationsauflagen, die die Rechten stundenlang erzürnte, hieß: "Aus dem
Aufzug heraus darf nicht fotografiert werden." Die Verärgerung bei Nottelmann
und Co. war so groß, dass sie versuchten, die Journalisten mit
Akkreditierungszwang einzuschüchtern, aber damit kamen sie nicht durch.
Während des Gedenkmarsches griffen die anwesenden 1.000
Polizisten immer wieder fotografierende Neonazis heraus. Wenig Chance für die
"Anti-Antifa", immerhin.