Für die schwedische Polizei gibt es gegenwärtig keine
Hinweise darauf, dass der 35jährige Mann, der in Stockholm wegen des Verdachts,
die Außenministerin Anna Lindh ermordet zu haben, in Untersuchungshaft sitzt,
ein Rechtsextremist sei und die ihm zur Last gelegte Tat aus politischen Motiven
begangen haben könnte. Zwar berichteten mehrere Medien vor einigen Tagen über
Kontakte des Mannes zu bekannten Neonazis, und die Zeitung Dagens Nyheter
schrieb, er habe vor einigen Jahren eine von Einwanderern betriebene Pizzeria
mit Hakenkreuzen beschmiert. Doch die Polizei bleibt vorerst dabei: Der
Verdächtige sei einfach psychisch gestört.
Freilich ist im Mordfall Lindh noch nichts bewiesen. Dass der
Verdacht auf einen rechtsextremen Hintergrund so schnell wieder aus der
Öffentlichkeit verschwand, ist jedoch symptomatisch für den Umgang der
schwedischen Politik und der Medien mit dem Rechtsextremismus.
Bombenattentate, mehrere Morde und unzählige Brandanschläge
mussten rechte Terroristen in den achtziger und neunziger Jahren begehen, bis
die Öffentlichkeit sie endlich zur Kenntnis nahm. 1983 etwa wurde ein
homosexueller Kellner in seiner Wohnung ermordet. Die Täter tätowierten ein
Hakenkreuz in seine Brust. Drei Jahre später wurde der sozialdemokratische
Ministerpräsident Olof Palme auf offener Strasse erschossen. Eine der Thesen zu
dem bis heute ungeklärten Mord lautet, ein rechtsextremer Geheimbund in der
Polizei habe dahinter gesteckt.
1995 kam es zu mindestens zwei Morden: Ein schwuler
Eishockeyspieler und ein Flüchtling von der Elfenbeinküste wurden erstochen.
Dazu kam Anfang der neunziger Jahre auch eine Serie von Brandanschlägen auf
Asylbewerberheime. In dieser Zeit suchten viele Flüchtlinge aus dem vom Krieg
zerrütteten ehemaligen Jugoslawien Zuflucht in Schweden. Da das Land
gleichzeitig in eine wirtschaftliche Krise geriet, waren die Asylsuchenden
schnell als Sündenböcke ausgemacht.
Allein 1992 wurden 79 Brandanschläge registriert. Die
Öffentlichkeit wertete diese Verbrechen jedoch zumeist nicht als politisches
Problem, sondern verharmloste die Täter als perspektivlose Jugendliche oder
zurückgebliebene Schläger. Das Problem werde sich von selbst lösen, wenn
Schweden seine Wirtschaft wieder in den Griff bekomme und die jungen Menschen
wieder Vertrauen in die Zukunft setzten.
Oft wurden rechtsextreme Täter nur zaghaft ermahnt oder mit
symbolischen Geldstrafen belegt. Unterdessen konnten faschistische Bands von
Schweden aus fast ungehindert ihre White-Power-Musik weltweit verbreiten.
Schweden gilt bis heute als eines der wichtigsten Herkunftsländer solcher
Tonträger und anderer Nazipropaganda und geschichtsrevisionistischer Schriften.
Die Stiftung Expo, die rassistische und antidemokratische
Gruppen beobachtet, nennt als Grund dafür, dass Schweden eines der wenigen
Länder Europas sei, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges keine schärferen
Gesetze gegen Nazis verabschiedeten. Begründet wird diese Liberalität damit,
dass Schweden, anders als seine skandinavischen Nachbarn, nicht von den
Deutschen besetzt worden war.
Erst im Jahr 1999 konnten die Politik und die Medien den
Terror nicht mehr ignorieren. Die Gewalt der Neonazis betraf nicht mehr »nur«
Homosexuelle und Flüchtlinge. Im Juni entgingen ein Journalist und sein
achtjähriger Sohn nur knapp dem Tod durch eine Autobombe. Das Opfer hatte zuvor
über die Aktivitäten schwedischer Nazis berichtet.
Im Oktober wurde der Gewerkschafter Björn Söderberg ermordet.
Er hatte einen Kollegen als Mitglied der »Nationalsozialistischen Front«
entlarvt und sich um dessen Absetzung als gewerkschaftlicher Vertrauensmann
bemüht. Im selben Jahr wurden auch zwei Polizisten bei einem Banküberfall
erschossen. Die Täter kamen aus dem Umkreis der »Arischen Bruderschaft«, einer
der Nazi-Banden, die ihre Aktivitäten mit Banküberfällen finanzierten und sich
durch Diebstähle in Polizeistationen und Militärdepots mit Waffen versorgten.
Erst nach diesen Morden, die auch im Ausland wahrgenommen
wurden, schienen die Verantwortlichen in der Politik einzusehen, dass es
vielleicht an der Zeit sei, eine härtere Gangart einzuschlagen. Die
sozialdemokratische Regierung Göran Perssons startete eine »Erziehungs- und
Informationskampagne« über den Holocaust, um die Menschen für die braune
Agitation zu sensibilisieren. Im November 1999 veröffentlichten Zeitungen Fotos
von mehr als 60 führenden Nazis. Einige von ihnen verloren danach ihre
Arbeitsstellen. In den folgenden Jahren geriet das Thema Rechtsextremismus aber
nach und nach wieder aus den Schlagzeilen.
Verschwunden ist die Szene freilich nicht. Die Europäische
Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, ein Gremium des Europarats,
errechnete, dass allein die Vergehen der Aufstachelung zum Rassenhass in
Schweden zwischen 1999 und 2001 weiter zunahmen – von 573 beschriebenen Fällen
auf zuletzt 744 pro Jahr. Gruppen wie die »Nationale Jugend« oder die
»Schwedische Widerstandsbewegung« unterhalten auch Kontakte zu Rechtsextremen im
Ausland. Zu dem Gedenkmarsch für Rudolf Hess im vergangenen August im
bayerischen Wunsiedel reisten auch Mitglieder dieser beiden Organisationen an.
Nach wie vor verfügen die Rechtsextremisten über ein
Informationsnetzwerk, in dem sie ihre Gegner mit Fotos, Adressen und
Autokennzeichen erfassen. Daraus bedienen sich Rechtsextreme, wenn sie neue
Angriffe planen. So wurde im November vorigen Jahres ein 24jähriger Linker in
Malmö von drei vermummten Männern in ein Auto gezerrt. Mit den Worten: »Das ist
eine Warnung« schnitten sie ihm einen Finger ab. Das Foto des Mannes war zuvor
auf einer rechtsextremen Internetseite veröffentlicht worden.
Auf einer anderen Website hieß es nach dem Mord an Anna
Lindh, die Außenministerin habe zu jenen gehört, die eine »gesetzlose
multikulturelle Gesellschaft« propagierten. Die Gewalt schlage nun gegen sie
zurück.