Film "Rosenstraße":
Kitsch, Klamotte, Klitterei
Die Legende von der "Rosenstraße"...
Wolfgang Benz
Kein Klischee ist ausgespart: Maria Schrader gibt wieder
einmal die schöne Jüdin, die SS-Männer brüllen, sind zynisch und betragen sich
gemein, die Nazi-Frauen sind blond und doof, die Juden sind intellektuell,
Künstler oder spielen wenigstens Schach. Der Vater, General aus altem Adel,
deutsch-national, ist starrsinnig, wie Preußen eben sind, und der Bruder der
Protagonistin, deren Mann als jüdischer Zwangsarbeiter (zuvor war er Geiger) in
der Rosenstraße gefangen sitzt, agiert als Held von Stalingrad - ein Bein ist
amputiert, dafür hat er das Ritterkreuz. Er engagiert sich auf der Seite der
Guten und kämpft mit seiner Schwester Lena (Katja Riemann) für den jüdischen
Schwager.
Im Vorspann zu Margarethe von Trottas Film "Rosenstraße"
steht zu lesen, dass die Ereignisse sich tatsächlich Ende Februar/Anfang März
1943 so in Berlin zugetragen haben. Der Film nimmt damit Authentizität in
Anspruch. Tatsächlich wird nach Kräften geklittert und an Legenden gestrickt.
Wie war es wirklich? Bei der "Fabrik-Aktion" Ende Februar
1943 wurden alle noch im Deutschen Reich lebenden Juden inhaftiert mit dem Ziel
der Deportation. Daher ergriff man sie am Arbeitsplatz. Ein Teil der deutschen
Juden war in "Mischehe" mit Nichtjuden verheiratet. Diese Gruppe war in der
Rosenstraße, mitten in Berlin, interniert. Die Frauen sammelten sich auf der
Straße vor dem Gebäude, harrten tagelang aus, kämpften um die Freilassung ihrer
Angehörigen, wurden laut und ließen sich nicht vertreiben. Sie konnten nicht
wissen, dass den Männern in der Rosenstraße nicht das Vernichtungslager
zugedacht war, dass sie vielmehr zum Austausch mit anderen für bestimmte
Funktionen festgehalten wurden. Das nimmt diesen Frauen nichts von ihrem
Heroismus, ihrer bewunderungswürdigen Tapferkeit, dem Nimbus des unbedingten
Widerstandes der Schwächsten gegen das Regime der Unmenschen. Die Legende will
freilich, dass nur der Trotz der Frauen die Nazis zum Einlenken bewog.
Auch den Filmemachern war die historische Wahrheit zu banal.
Als Rührstück, als Melodram inszeniert, mit darstellerischen Leistungen, die vom
Historiker nicht zu bewerten sind, wird der Film zur Klamotte, wo er die
historische Wirklichkeit opfert, der Legende auf Biegen und Brechen zum Erfolg
hilft. Die Rettung der Männer in der Rosenstraße geschieht im Film durch einen
Akt der Preisgabe der schönen Hauptfigur: In einer Nazi-Gesellschaft, eingeführt
durch den Prothesenträger, betört Lena als Baroness den Reichsminister für
Volksaufklärung und Propaganda, erst als Pianistin, dann substantieller - eine
Träne auf dem Antlitz deutet Opferung im Separee an. Währenddessen regelt der
Adjutant des Ministers aufs Stichwort des Ritterkreuz-Bruders die Angelegenheit
Rosenstraße. Goebbels als Knallcharge, das ist gängig, wird immer wieder gerne
gesehen und mag deshalb der Regie als dramaturgischer Effekt schlechthin in den
Sinn geraten sein.
Mit diesem Einfall ist leider die Geschichte endgültig zum
Kitsch verkommen. Denn wozu der Löwenmut der tapferen Frauen in der Rosenstraße,
die der SS "Mörder" entgegenschrieen, die sich durch nichts einschüchtern
ließen, wenn der Beischlaf der jungen Schönen aus altem Adel mit dem
hochkarätigen Nazi die Freilassung der Gefangenen bewirkte? Ist mit solcher
Geschichtsklitterung (denn Goebbels hatte mit der Rosenstraße nichts zu tun und
hätte dort auch nichts bewirken können) nicht der Widerstand der Frauen in der
Rosenstraße verhöhnt und entwertet?
Eine aufwändig recherchierte Studie im Jahrbuch für
Antisemitismusforschung, im Herbst 2002 erschienen, hat die wirkliche Geschichte
der Rosenstraße rekonstruiert, die Argumente dafür, wie es wirklich war,
aufgeführt. Der Heroismus der widerständigen Frauen wurde dabei übrigens nicht
beschädigt. Der Spiegel hat darüber berichtet. Die Filmleute haben daraufhin den
Kontakt mit dem Historiker Wolf Gruner, dem Verfasser der Studie, gesucht. Aber
Trotta und ihr Team (und alle, die ihnen folgen) wissen es besser. Sie haben in
voller Absicht die Geschichte zum Rührstück verkommen lassen.
Gewiss ist es legitim, den Gesetzen der Dramaturgie den
Vorzug vor den Ergebnissen historischer Wissenschaft zu geben. Hier wird nicht
die Einführung von Fußnoten in Spielfilmen gefordert, es ist auch kein
Gelehrtenneid wegen der größeren Publikumswirksamkeit im Spiel. Unterhaltung,
der freie Umgang mit historischem Stoff, ist legitim. Aber im Vorspann den
Eindruck zu erwecken, das Gebotene sei authentisch und habe sich so zugetragen,
dann die Geschichte auf den Kopf zu stellen und neue Mythen zu erfinden, das ist
unredlich und macht Aufklärung zur Klamotte.
Der Autor ist Leiter des
Instituts für Antisemitismusforschung in Berlin.
Süddeutsche Zeitung
Süddeutsche Zeitung vom 18.09.2003
kt /
hagalil.com
/ 2003-09-23
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