Eine Schleierfahndung wurde nicht ausgelöst, zu Razzien in
der rechten Szene von Hamburg bis Garmisch kam es auch nicht. Und das, obwohl
der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) inzwischen »die Struktur
einer Braunen-Armee-Fraktion« zu erkennen glaubt.
Offenbar konnte die Münchner Polizei einen
Sprengstoffanschlag auf das geplante Jüdische Gemeindezentrum am Münchner
St.Jakobs-Platz verhindern. Der Fund, den sie am vergangenen Mittwoch stolz
präsentierte, konnte sich wahrlich sehen lassen: 14 Kilogramm Sprengstoff,
darunter 1,7 Kilo hochexplosives TNT. Dabei handelt es sich um die größte Menge
an Sprengstoff, die in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland sichergestellt
wurde.
Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen wegen
des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung übernommen. Doch so
überrascht jetzt alle tun: Eine Entwicklung hin zu rechtsterroristischen
Aktivitäten war in Deutschland schon länger zu erkennen.
Aus abgehörten Telefonaten soll die Polizei dem Magazin Focus
zufolge erfahren haben, dass die Nazis planten, eine Bombe auf dem Baugelände
des neuen Jüdischen Gemeindezentrums zu zünden. Sie diskutierten offenbar
darüber, ob dies vor oder während der Grundsteinlegung am 9. November geschehen
sollte, bei der u.a. Bundespräsident Johannes Rau, der bayerische
Ministerpräsident Edmund Stoiber und der Vorsitzende des Zentralrats der Juden
in Deutschland, Paul Spiegel, anwesend sein sollten. Die neue Synagoge war aber
nur eines von mehreren Objekten, das die Rechtsextremisten ins Visier genommen
hatten. Auch auf eine Moschee und eine griechische Schule sollen sie es
abgesehen gehabt haben.
Die Sonderkommission fand außer dem Sprengstoff ein
Metallrohr, es fehlte nur noch eine Zündvorrichtung. Zudem wurden zwei
Handgranaten sowie etwa zwölf Kilo Infanteriemunition konfisziert. In der
Wohnung des Nazi-Anführers Martin Wiese entdeckten die Beamten schließlich zwei
Mauser-Pistolen, diverse Stichwaffen, eine Streitaxt und Sturmhauben.
Neben Wiese gingen den bayerischen Behörden bis
Redaktionsschluss sieben weitere Rechtsextremisten ins Netz, darunter die
18jährige Ramona Sch., Wieses ehemalige Freundin, sowie der 23jährige Alexander
S. Wieses Mitbewohner Alexander M., ein weiterer Verdächtiger, befindet sich
bereits wegen einer Attacke auf einen aussteigewilligen Kameraden im Gefängnis.
Wiese, der aus Mecklenburg-Vorpommern stammt und vor drei
Jahren nach München zog, ist der Anführer der rund 30 Mitglieder zählenden
»Kameradschaft Süd – Aktionsgemeinschaft Süddeutschland«. Ins Blickfeld der
Öffentlichkeit geriet der 27jährige durch seine Beteiligung an dem Überfall auf
einen Griechen im Januar 2001.
An Wieses Geburtstag hatten sich rund 60 Recken in der
Münchner Gaststätte »Burg Trausnitz« getroffen. Einige Teilnehmer der braunen
Geburtstagsparty griffen nach Mitternacht einen griechischen Passanten an und
schlugen ihn halbtot. Nur dank des beherzten Eingreifens mehrerer Türken kam der
Grieche mit dem Leben davon. Der Gründer der Kameradschaft, Norman Bordin,
verbüßt derzeit wegen seiner Beteiligung an dem Überfall eine 15monatige
Freiheitsstrafe. Wegen versuchter Tötung wurde damals auch gegen Wiese
ermittelt, die Sache verlief jedoch im Sande.
Wiese soll über gute Kontakte zu Christian Worch, Steffen
Hupka und zur NPD verfügen. Er war der Anmelder der Nazi-Demonstrationen gegen
die Wehrmachtsausstellung in München im Herbst vergangenen Jahres. Zuletzt wurde
er bei der Rudolf-Heß-Demonstration in Wunsiedel gesichtet.
Darüber hinaus tauchte Wiese nach Angaben der bayerischen
Verfassungsschützer bei Veranstaltungen der im Jahr 2002 ins Leben gerufenen
Sammlungsbewegung »Demokratie direkt« auf. Diese wehrte sich nach dem brisanten
Fund gegen etwaige Verdächtigungen. »Weder ist Martin Wiese Mitglied von
Demokratie direkt, noch hat der Verein etwas mit angeblich geplanten
Sprengstoffattentaten zu tun.« »Demokratie direkt« will über Parteigrenzen
hinweg rechte Gruppen vernetzen. Der Münchner Sprecher der Vereinigung, Thomas
S. Fischer, soll nach Informationen der Antifaschistischen Nachrichten Mitglied
der CSU sein.
Die Münchner Rechtsextremisten agitierten immer wieder gegen
das geplante Jüdische Gemeindezentrum. So forderte der Stadtrat der
Republikaner, Johannes Pius Weinfurtner, der auch bei »Demokratie direkt«
mitmischt, die Planungen neu zu überarbeiten. In deren Postille München Direkt
heißt es: »Ein Verzicht auf das Kulturzentrum an diesem Ort ist ein Beitrag zu
Aussöhnung und entzieht dem Antisemitismus den Boden.« Der Jakobsplatz dürfe
nicht zum »Hochsicherheitstrakt« werden. »Wir wollen keine Gewalt in München und
auch keine Symbole der Gewalt in Form von Waffen und Absperrungen.«
Terroristische Angriffe auf jüdische Einrichtungen gibt es in
Deutschland regelmäßig. 1998 etwa sprengten Nazis auf dem jüdischen Friedhof in
Berlin-Charlottenburg das Grab des ehemaligen Präsidenten des Zentralrats der
Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Im März vorigen Jahres war der Friedhof
erneut Ziel eines Sprengstoffanschlags. Am Tag der Deutschen Einheit vor drei
Jahren wurde ein Brandanschlag auf eine Synagoge in Düsseldorf verübt. Im
gleichen Jahr traf es die Synagoge in Erfurt. (Siehe auch Kommentar auf dieser
Seite)
Und mit Sprengstoff hantieren Rechtsextremisten ohnehin gern.
Nazi-Terroristen wie Peter Naumann und Manfred Röder, die in den vergangenen
Jahrzehnten wiederholt mit explosiven Materialien Anschläge verübten, stehen für
diese rechtsterroristische Tradition. Roeders »Deutsche Aktionsgruppen« waren
1980 für sieben Brand- und Sprengstoffanschläge verantwortlich, bei denen zwei
Vietnamesen starben. 1981 wurden in einem Waffendepot, in dem etwa 150 kg
Sprengstoff, 50 Panzerfäuste und 13 520 Schuss Munition lagerten, Naumanns
Fingerabdrücke gefunden. Im August 1995 übergab der Rechtsterrorist 13
Waffendepots mit allein 200 Kilo Plastiksprengstoff an Beamte des
Bundeskriminalamtes (BKA).
Beobachter sehen in letzter Zeit eine wachsende Militanz bei
Nazigruppen, etwa beim inzwischen verbotenen, aber weiterhin aktiven Netzwerk
»Blood & Honour« oder bei den »Skinheads Sächsische Schweiz« (SSS), bei denen im
Jahr 2000 Raketenteile, Munition und Granaten beschlagnahmt wurden. Im Mai
wurden fünf Mitglieder der SSS vom Dresdner Landgericht nur zu Bewährungsstrafen
verurteilt. (Jungle World, 23/03) Von 1999 bis 2002 seien bei Rechtsextremisten
insgesamt 178 Spreng- und Brandvorrichtungen gefunden worden, sagte der
BKA-Sprecher Dirk Büchner der Jungle World.
Doch während in München noch immer Antifas vor Gericht
stehen, die im Herbst vergangenen Jahres die von Wiese mitorganisierte
Nazidemonstration gegen die Wehrmachtsausstellung blockierten, scheinen sich die
Münchner Neonazis auch nach dem Sprengstofffund pudelwohl zu fühlen. Am
vergangenen Samstag verprügelten elf Rechtsextreme in der Stadt einen Ausländer.
Noch auf der Polizeiwache hätten sie randaliert, hieß es. Beckstein sagte dazu:
»Jetzt ist es für alle Rechtsextremisten endgültig Zeit, einen klaren
Schlussstrich zu ziehen und sich aus dieser Szene herauszulösen.«