Leni Riefenstahl (1902 - 2003):
Fahrstuhl zur Macht
Als «Reichsgletscherspalte» diffamiert, als bedeutende
Künstlerin gerettet: An der Filmemacherin des Führers scheiden sich bis heute
die Geister...
Veronika Rall
Eigentlich hätte sie es gerne gesehen, wenn sie der liebe
Gott auf dem Höhepunkt ihres Schaffens geholt hätte. Das ist ein frommer Wunsch,
nur bei Leni Riefenstahl hört er sich ein wenig teuflisch an, denn der Höhepunkt
ihres Schaffens war nach Selbstauskunft der 1. September 1939. Damals sonnte sie
sich in den Dolomiten, sie war der Star des deutschen Kinos: Sie hatte im Jahr
zuvor ihren «Olympia»-Zweiteiler weltweit vermarkten können und durfte nun
annehmen, dass ihr die Nationalsozialisten auf rund 22 500 Quadratmetern - bei
veranschlagten Kosten von 1 844 700 Reichsmark - ein eigenes Filmstudio im
vornehmen Berliner Stadtteil Dahlem errichten würden: ein grosszügiges
Arbeitszimmer mit versenkbarem Panoramafenster, Schneideräume, Vorführräume,
Kasino, Küche und ein als Turnsaal verwendbarer Gemeinschaftsraum inklusive. Im
August hatte die NSDAP die Finanzierung gesichert, Ende des Monats erging die
Baugenehmigung. Doch am 1. September 1939 marschierte die deutsche Wehrmacht in
Polen ein, der Zweite Weltkrieg begann. Bauarbeiten an Filmstudios galt nun
keine Priorität, Riefenstahl selbst fuhr unmittelbar nach Kriegsbeginn mit einem
Kamerateam an die Front: «Ich filme im Auftrag des Führers», wies sie sich
gegenüber dem erstaunten Befehlshaber, Generalfeldmarschall Erich von Manstein,
aus.
Verstehen, werturteilsfrei
Nun hat Leni Riefenstahl bis zum 8. September 2003 mehr als
101 Jahre gelebt, und wenn sie auch kaum wieder als Filmemacherin gearbeitet
hat, durfte sie zumindest etwas wie eine Renaissance ihrer Persona miterleben.
Zu ihrem hundertsten Geburtstag überschlugen sich die internationalen
Feuilletons mit Gratulationsadressen, das erste deutsche Programm beging gar
einen «Leni-Riefenstahl-Themenabend» und strahlte ihre letzen Regiearbeiten,
«Tiefland» (1940 - 54) und «Impressionen unter Wasser» (2002) aus, gerahmt von
einem Hofbesuch mit Sandra Maischberger am Starnberger See. 1998 war sie neben
Claudia Schiffer der einzige deutsche Gast auf der Jubiläumsfeier des «Time
Magazine», später wählte die Zeitschrift sie als einzige Frau unter die
einhundert wichtigsten KünstlerInnen des zwanzigsten Jahrhunderts. Ein anderes
Tabu schien gebrochen, als ihr das Filmmuseum Potsdam 1998 eine Ausstellung
inklusive Retrospektive widmete und Alice Schwarzer diese zum Anlass nahm, die
Künstlerin in ihrer Zeitschrift «Emma» als Vorreiterin des Feminismus zu feiern.
Endlich, so schien man sich einig, könne man sich Riefenstahl wieder
«vorurteilsfrei» nähern, endlich auch die Qualität in ihrem Werk und in ihrer
Person erkennen.
Seit den siebziger Jahren heisst diese Qualität Pop. Andy
Warhol lud sie in seine Factory ein, Steven Spielberg betonte mehrfach, er würde
sie gerne kennen lernen, Helmut Newton porträtierte sie, Mick Jagger bekannte,
dass er ihre Filme verehre, David Bowie bezeichnete selbst Hitler als
«Medienartisten». Als schliesslich die deutsche Band Rammstein 1998 ihr Video zu
«Stripped» mit den geilsten Szenen aus den «Olympia»-Filmen unterlegte, erhielt
sie kurz darauf mit dem Grammy eine der begehrtesten Trophäen im Musikgeschäft.
In die vorderste Riefenstahl-Kommerzfront begab sich auch der Kölner
Taschen-Verlag, der Bildbände, Kalender und Postkarten auf den Markt warf, die
Strategie ging offensichtlich erneut auf, das Geschäft blühte. Endlich, so
schrieben die Herausgeberinnen Claudia Lenssen und Bärbel Dallichow im Vorwort
des Katalogs zur Potsdamer Ausstellung, habe man sich von den «deutschen
Meinungsmachern», den «linksorientierten Intellektuellen» emanzipiert, die
«ausgemacht» hatten, dass Leni Riefenstahl «keine Absolution erteilt werden
darf». Nun sind Linksintellektuelle zumeist keine katholischen Priester, in
deren Hand es läge, irgendwen zu exkulpieren. Lieber äussern sie Bedenken: 1988
schrieb die Filmwissenschaftlerin Heide Schlüpmann in der Zeitschrift «Frauen
und Film»: «Unbehagen empfinde ich, wenn heute die kritische Wissenschaft, statt
das Revival faschistischer Kunst auf dem Markt und in der Jugendkultur oder im
Fernsehen zu analysieren, nun in ihren Reihen dazu auffordert, sich der
Faszination als dem rechten, weil werturteilsfreien Weg zum
&Mac220;Verstehen&Mac221; zu überlassen.»
Die Sonderbevollmächtigte
Analytisch lassen sich zwei Wege zu Riefenstahl einschlagen,
einer der Kritik an ihrem Werk und ein anderer, der ihre Biografie beleuchtet.
1902 in Berlin als Helene Bertha Amalie geboren, hat die Riefenstahl wenig in
ihrer Karriere dem Zufall überlassen. Schon mit sechzehn Jahren setzte sie sich
gegen ihren Vater durch und nahm Tanzunterricht, fünf Jahre später stand sie mit
ihrem ersten eigenen Programm auf der Bühne. 1925 gab sie ihr filmisches Debüt
als Schauspielerin in Arnold Fancks Bergfilmen. 1932 absolvierte sie mit «Das
blaue Licht» ihre erste Spielfilmregie, und 1933 übernahm sie die «künstlerische
Leitung» des Parteitagsfilms der NSDAP, «Sieg des Glaubens», der sie als
Propagandistin des Reiches etablierte: 1935 folgten «Triumph des Willens» und
«Tag der Freiheit. Unsere Wehrmacht», 1938 schliesslich «Olympia: Fest der
Schönheit / Fest der Völker». Diese Karriere schildert Rainer Rother in seinem
Buch «Leni Riefenstahl: Die Verführung des Talents» und fragt nach: Wie verfiel
die Tänzerin auf die Idee, «ausgerechnet in Bergfilmen als Darstellerin
auftreten zu wollen», zumal die Riefenstahl damals weder Skilaufen noch
Bergsteigen konnte? Auch ihr Regiedebüt schätzt er als ungewöhnlich ein und
konstatiert, dass sie keine ihrer Karrieren mit einer Nebenrolle startete:
«Immer bleibt Riefenstahl darauf angewiesen, mit einer Glanzleistung beginnen zu
müssen, immer wieder wird sie ihre Projekte weitgehend ausserhalb der üblichen
Bahnen lancieren, wird sie eher auf persönliche Kontakte bauen, als sich den
Produktionsplänen anonymer Studios zu unterwerfen.» Es ist diese
Aussenseiterposition in der Filmbranche, in der man die Anfälligkeit der
Riefenstahl für das nationalsozialistische System sehen kann. Schon für «Sieg
des Glaubens» wird die ambitionierte Frau direkt von der Abteilung Film des
Reichspropagandaministeriums beauftragt, «Triumph des Willens» realisiert sie
als «Sonderbevollmächtigte der Reichsleitung der NSDAP». Für «Olympia»
schliesslich gründet sie eine Film-GmbH, die als Tarngesellschaft des
Propagandaministeriums fungiert. Riefenstahl, so resümiert Rother, «konnte für
ihre Filme sozusagen Industriestandard sichern, ohne dabei in die
Produktionspläne und Kalkulationen der grossen Studios eingebunden zu sein. In
diesem Sinne war sie eine &Mac220;unabhängige&Mac221; Regisseurin - eine
Autorin, wie es sie nur unter Bedingungen des Nationalsozialismus geben konnte.
Sie war (...) die NS-Regisseurin par excellence.»
Todesgeil und faschistisch
Aber auch in einem anderen Sinn war Riefenstahl die
NS-Regisseurin par excellence, auch wenn sie sich darüber Rechenschaft ablegte.
Stets habe sie nur interessiert und inspiriert, was «schön, stark und gesund»
sei. Von ihren Tanzvorführungen über die Nazi-propagandastreifen bis zu den
Nubabüchern und den Tiefseeaufnahmen lässt sich in Riefenstahls Arbeit ein
Rekurs auf die optische Philosophie der zehner und zwanziger Jahre des letzten
Jahrhunderts sehen. Auf die Neue Sachlichkeit eines Albert Renger-Patzsch, der
schon damals seinen Fotoband «Die Welt ist schön» nannte. Über den schon damals
ein Linksintellektueller, Walter Benjamin nämlich, urteilte: «Das Schöpferische
am Fotografieren ist dessen Überantwortung an die Mode. &Mac220;Die Welt ist
schön&Mac221; - genau das ist ihre Devise. In ihr entlarvt sich die Haltung
einer Fotografie, die jede Konservenbüchse ins All montieren kann, aber nicht
einen menschlichen Zusammenhang fassen kann, in denen sie auftritt, und die
damit noch in ihren traumverlorensten Sujets mehr ein Vorläufer von deren
Verkäuflichkeit als von deren Erkenntnis ist.»
Leni Riefenstahl hat das Schöne auf der Welt beständig
gesucht. Zuerst erschien es ihr im Tanz, dem sie nie einen wirklichen Ausdruck
zu geben vermochte, dann erblickte sie das ewig Wahre eines Tages am Berliner
Nollendorf-Platz: Ein Werbeplakat für Arnold Fancks «Berg des Schicksals». Bei
Fanck allerdings sollte sie immer nur eine kleine Rolle einnehmen, die Frau war
dem Bergfilm nie mehr als Effekt, der die Männerwelt umso deutlicher
profilierte. Leni Riefenstahl hat im Vergleich zu ihren Kollegen - wie
beispielsweise Veit Harlan, der mit «Jud Süss» (1940) den Film drehte, der die
deutsche Bevölkerung auf die Schoah vorbereiten sollte - keine dezidierten
Propagandafilme gedreht, aber sie hat (und das ist keine schlechtere Propaganda)
den Nationalsozialisten eine ureigene Ausdrucksform geschaffen. Allein während
des Nationalsozialismus bekam Riefenstahl die Rolle, die sie sich selbst
zugemessen hatte. Schönheit wollte sie sehen, siegen wollte sie, schön wollte
sie selbst sein, nur nie zu den hässlichen VerliererInnen gehören. All das
realisierte ihr die tödliche Ideologie und Praxis des Faschismus, sie bedankte
sich und lieferte die passende ästhetische Verpackung. Mag sie sich ihre
Stilmittel aus verschiedensten Epochen zusammengeklaubt haben: Erst in ihren
inhumanen Bildern, die das Dargestellte nahtlos überhöhen, die das Publikum
überwältigen, fasziniert der Faschismus.
Emanzipation von der Schuld
Riefenstahl selbst verweigerte jede Einsicht in eine
persönliche Schuld und jede Trauergeste. Sie habe nie Propaganda produziert. Nie
im Auftrag des Führers gefilmt. Nie finanziell profitiert. Und die Sinti und
Roma, die sie aus einem Konzentrationslager holen liess, um über sie als
Statisten zu verfügen? Die sie nach dem Dreh zu «Tiefland» den Gaskammern in
Auschwitz überliess? Das sei ihr nicht bewusst gewesen. Lüge türmt sich auf
Lüge, Ignoranz auf Ignoranz. Riefenstahl selbst wurde zum Inbegriff der von
Margarete Mitscherlich im Nachkriegsdeutschland diagnostizierten «Unfähigkeit zu
trauern». Riefenstahl war aber auch Projektionsfläche: All das, was die
Deutschen nicht an sich selbst wahrnehmen wollten, wurde ihr angekreidet. Nicht
das, was deutsche Wehrmachtsangehörige in Kónskie verbrochen hatten, war 1952
Gegenstand eines juristischen Prozesses: Die Zeugin Riefenstahl versuche, den
Anschein zu erwecken, sie habe nichts von den ungeheuerlichen Greueltaten und
Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes gewusst, lautete der Vorwurf. Der
Vorwurf bleibt Symptom.
Nun ist sie tot. Und es wäre verfehlt zu glauben, die
Deutschen rückten sich selbst und ihre Geschichte an den vakanten Platz der
Zeugen oder sogar der Schuldigen. Im Gegenteil: Noch vor ihrem Tod hat man
Riefenstahl die Absolution erteilt. Nicht nur, weil man sie in Ausstellungen und
Retrospektiven rehabilitierte, sondern auch, weil sich Deutschland gegenwärtig
vehement zum Opfer stilisiert: Mit den Vertriebenenmuseen, die in Berlin
diskutiert werden. Mit den historischen Studien, die sich den
Flächenbombardements und den Flüchtlingsströmen widmen. Und mit Filmen, in denen
man sich erneut von einer &Mac220;so genannten&Mac221; Schuld
&Mac220;emanzipiert&Mac221;: In Joseph Vilsmayers «Marlene» holt man die
widerständige Dietrich heim ins Reich. In Roland Suso Richters «Nichts als die
Wahrheit» werden die Ekel erregenden medizinischen Versuche in Auschwitz als
Euthanasie rechtfertigt. Und im bald auch die Schweizer Kinos erreichenden
«Wunder von Bern» träumt sich ein armes, vaterloses Kind in den deutschen Sieg
auf dem Fussballplatz. «Als wäre diese Stilisierung zum Opfer nicht eine
Verhöhnung der wahren Opfer. «Denen», schrieb Seesslen am 22. August 2002 in der
«taz», «nicht der faschistischen Greisin soll unser Gedenken gelten.»
Literatur:
Rainer Rother: «Leni Riefenstahl: Die Verführung des
Talents». Henschel Verlag. Berlin 2000. 288 Seiten. Fr. 26.90.
Jürgen Trimborn: «Riefenstahl: Eine deutsche Karriere».
Aufbau Verlag. Berlin 2002. 600 Seiten. 43 Franken.
WOZ - Die Wochenzeitung
WochenZeitung (CH) vom 11.09.2003
kt /
hagalil.com
/ 2003-09-15
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