Am Ende ihres langen Lebens war sie immer noch die
umstrittene Femme fatale des deutschen Films. Schönheit, Abenteuer, Bildermachen
interessierten sie, aber als "woman you love to hate" wurde sie berühmt. Bis
zuletzt ließ sie wissen, dass sie wegen ihrer Feinde lange lebe. Am Montag ist
Leni Riefenstahl mit 101 Jahren in Pöcking am Starnberger See gestorben.
Um ihren Passionen zu folgen, nutzte sie Vorteile, schätzte
Geld und Macht und setzte ihr attraktives Äußeres kalkuliert ein. Rolle und
Leben verschmolzen. Einer Reihe von Männern missfiel ihre Konkurrenz, sie
sprachen über sie als abgewiesene Liebhaber. Sie lebte ihre Extravaganzen in
wenig damenhaften Gefilden, war ein neuer Typ, der ohne Schminke, in Skihosen,
Pilotenjacke und Bergmädchenkostüm den Natürlichkeitskult der "neuen Frau" ab
den späten zwanziger Jahren modellierte.
1902 in Berlin als Tochter eines Installateurmeisters
geboren, beschloss sie schon als Kind, berühmt zu werden. Willensstark arbeitete
sie sich zur Solo-Performerin moderner Ausdruckstänze vor, wechselte aber nach
einer Verletzung in die neue Karriere als Bergsteigerin und Skifahrerin in den
Filmen von Arnold Fanck. "Der heilige Berg" (1926), "Die Weiße Hölle vom Piz
Palü" (1929) machten die Außenseiterin bekannt.
Neu war, dass Leni Riefenstahl hinter der Kamera, am
Schneidetisch, in Produktion und Selbstvermarktung die Macht an sich nahm, die
sie ab ihrem Regiedebüt "Das blaue Licht" (1932) nicht wieder aus der Hand gab.
Wenn man ihr Steine in den Weg legte, konnte sie weinen wie ein Mädchen; ging es
um Verträge, musste sogar ein entnervter Goebbels gelegentlich den Kürzeren
ziehen. "Kampf" war eine viel gebrauchte Vokabel, nicht opportune Mitarbeiter
wurden auf dem Weg vergessen.
Eine Frau wie die Riefenstahl verglich sich nicht mit anderen
Frauen, sie interessierte sich nicht für sie. Leni Riefenstahl bevorzugte das
Abenteuer, die einzige Frau unter Männern zu sein - in den Filmen von Franck
spielte sie die verhängnisvolle Frau und die sportliche Herausforderin.
Die Riefenstahl wurde der zweite Weltstar des deutschen Films
- ein klarer Gegensatz zu Marlene Dietrich in puncto Rollentyp, Intellektualität
und Ironie. Disziplin feierten beide, aber die Riefenstahl ließ sich bei allem
Durchhaltevermögen gern über die eigenen Mühen, Opfer und Verletzungen aus.
Zu Beginn des Dritten Reiches war sie eine begeisterte
Hitler-Anhängerin und willigte ein, für die braune Bewegung zu filmen - mit dem
produktionstechnischen Aufwand, der ihr den Ruf des Besonderen sicherte. Die
Nähe zu Hitler und seinen Propagandastrategen, ihr vorauseilender Gehorsam, den
Machthaber als überwältigende Erlösergestalt zu glorifizieren, nicht zuletzt
ihre Sonderstellung innerhalb des Nazi-Kulturapparates durchdrangen und
überformten Leni Riefenstahls Lebensleistung nachhaltig. Von ihren sieben Filmen
entstanden sechs während des Hitler-Regimes, alle mit Anschubfinanzierung der
Partei und enormer produktionstechnischer Unterstützung. Sie behielt die Rechte,
profitierte von dem System verordneter Vorführungen und wurde zur Nutznießerin
ihrer frühen Meriten für Hitler, obwohl dieser mit zunehmenden
Kriegsvorbereitungen das Interesse an ihr verlor. Drei stilisierte
Dokumentationen drehte sie von den Jubelfeiern, Siegesräuschen und
Unterwerfungsritualen, die Hitler auf den Nürnberger Parteitagen für sich
inszenieren ließ. "Triumph des Willens" (1935) wurde der perfekteste davon,
Inbegriff eines Propagandafilms und unwiderruflich mit ihrem Namen
identifiziert. In "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit", zwischen 1936 und
1938 entstanden, dokumentierte Leni Riefenstahl nicht nur aufwändig die
Olympischen Spiele in Berlin, sondern schuf eine monumentale Ikonografie
athletischer Körperbilder, die die kühle Emphase der avantgardistischen Moderne
mit faschistisch aufgeladener Symbolik verschmolz.
Weder interessierte sie sich für die Funktion der Spiele in
Nazi-Berlin noch für die Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse vor der
Weltöffentlichkeit - die Wirklichkeit der Rassenpolitik kam nicht vor. Bis heute
sind die Olympia-Filme ihr größter internationaler Erfolg. Mit "Tiefland"
(1940-54) wollte sie noch einmal von der Bergidylle herunter das Melodram
erobern, aber sie verstrickte sich - wie so oft - in die Gigantomanie der
Produktion. Ihrem Perfektionismus kam entgegen, dass sie, wie alle Großbetriebe
damals, Zwangsarbeiter beschäftigen konnte; sie holte Romafamilien als Statisten
ins spanische Ambiente ihres Sets und fühlte sich für deren spätere Deportation
nicht verantwortlich. Erst 62 Jahre später, am 15. August 2002, unterschrieb
Riefenstahl eine Unterlassungserklärung gegenüber der Komparsin und
Holocaust-Überlebenden Zäzilia Reinhardt. Der Frankfurter Rundschau hatte die
Regisseurin gesagt, sie habe alle in dem Film mitwirkenden Zigeuner nach dem
Krieg wiedergesehen; keinem sei etwas passiert.
Nach Hitlers Ende verwandelte Leni Riefenstahl sich in ihrer
zweiten Lebenshälfte in eine bizarre Medienikone, die aus dem Abwehren, Umdeuten
und Umnutzen ihrer Regiekarriere im Dritten Reich einen funktionierenden
Markennamen entwickelte. Als Zeitzeugin berichtete sie nur, was ihrer Legende
diente, auch wenn ihr Widersprüche nachgewiesen wurden. So behauptete sie in
ihren Memoiren, sowohl von Goebbels in ihrer Arbeit behindert als auch als Frau
begehrt worden zu sein. Eisern beharrte sie darauf, politisch nicht involviert
gewesen zu sein. Künstlerische Autonomie und ästhetische Qualität - diese
Beschwörungsformeln dienten in zahlreichen Verfahren dazu, ihre beschlagnahmten
Filme zur Rekonstruktion und Auswertung zurückzuerhalten. Für jeden Meter aus
"Triumph des Willens", der durch Beschluss der Alliierten nur bedingt vorgeführt
werden konnte, erstritt sie Mitspracherecht und anteiligen Erlös bis zu ihrem
Tod. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich das Ritual ihrer öffentlichen
Wahrnehmung in Deutschland. Man warf ihr die Trennung von Form und Inhalt, von
Ästhetik und Moral vor - ein verstocktes Böse-Tante-Syndrom in der alten BRD,
von oben verordnete Ignoranz in der DDR. Beides tabuisierte aber eine intensive
Auseinandersetzung.
Auf Riefenstahls dritte Karriere als Regisseurin setzte sie
eine vierte als Fotografin sowie eine fünfte als der Welt älteste Taucherin.
Fotobücher, Filmfragmente, biografische Projekte beschäftigten sie bis zuletzt.
Mit von ihr gefilmten Unterwasserszenen übten Cutter die Arbeit am Anfang der
90er-Jahre neuen Avid-Schnittcomputer, im Tausch holte sie sich mit über neunzig
Jahren dieses Equipment ins Haus - für solche Deals hatte sie schon immer ein
Händchen.
In den 60er-Jahren fotografierte sie die Nuba im Sudan. Die
Fremde erschien ihr als Ornament athletischer Körper, als Faszinosum
fotografisch ästhetisierter Aggressivität.
Die Kontroversen, die ihre Fotos in den 70er-Jahren in den
USA auslösten, und der Porträtfilm "Die Macht der Bilder" (1993) von Ray Müller
machten ein neues Phänomen deutlich: Leni Riefenstahls Legende hatte sich zu
einem beharrlichen Image ausgewachsen. Die Aura der Hitler-Vertrauten verschmolz
mit ihrer Selbstinszenierung als moderne, bis ins höchste Alter aktive Frau -
ein Bild scheinbar ewiger Präsenz. Geschichte wurde von schierer
Unverwüstlichkeit kaschiert. Der persönliche Triumph des Willens war die ideale
Voraussetzung, zum Medienstar zu mutieren.
Zwei Generationen nach ihren Filmen provoziert deren
Hitler-Hysterie nicht mehr unmittelbar. Die neue Rechte garniert ihre Lockstoffe
mit aktuelleren Codierungen. Provozierend blieb Leni Riefenstahls Transformation
vom Nazi-Urgestein zum schlanken Senior-Model der westlichen Global-Kultur bis
zuletzt. Als sie mit 97 Jahren einen Hubschrauberunfall bei Drehvorbereitungen
leicht verletzt überlebte, war das eine Nachricht wert. Die vitale Grenzgängerin
und Selbstdarstellerin übertrumpfte die historische Femme fatale. Riefenstahls
Bilder stehen für frivole Monumentalität, abrufbar aus dem immensen Archiv der
Stile, aus dem sich Werbung und Popkultur zyklisch bedienen. Sie sind wie
Geister, die man nicht mehr aus dem Haus bekommt.