Wie versichert man sich gegen Neonazis ? :
30 Minuten vor Ultimo - PDS änderte Wahlvorschlag
Viel hätte nicht gefehlt und die Brandenburger PDS hätte
sich und vermutlich dem Gemeinderat von Halbe ein politisches Kuckucksei ins
Nest gelegt. Auf der Offenen Liste stand ein Neonazi...
René Heilig
Der Mann heißt Ulli Boldt. Bei dem Namen klingeln bei
Antifaschisten Alarmglocken. Bei der Basisgruppe der PDS in Halbe klingelte
nichts, als ein Mann namens Ulli Boldt, Vertreter der Württembergischen
Versicherung, sich bereit erklärte, auf der Offenen Liste der PDS für den
Gemeinderat zu kandidieren. Er entsprach - so schien es - genau jenem
Kandidatentyp mit sozialem Gewissen, den die PDS auf Flyern gesucht hatte.
Boldt wohnt seit drei Jahren in Halbe, die Chefin der
Basisgruppe ist erst wieder seit einem halben Jahr in der Region, der angeblich
parteilose junge Mann - Boldt ist 37 - ist sehr aktiv in der Kommune, bei der
Feuerwehr ebenso wie im Fußballverein, die Jugendarbeit liegt ihm am Herzen.
Dass er ein »intellektuell begabter Mensch ist«, hat sich bis zur
Kreisvorsitzenden Karin Weber durchgesprochen, die nun allerdings ebenso
entsetzt wie hilflos ist. »Boldt wusste, wie er mit uns zu reden hatte und wie
er uns zu der Überzeugung führte, dass er an linker Politik interessiert ist.«
Was sicher stimmt, nur hatte er vermutlich sehr spezifische Motive dafür.
Natürlich prüften die Genossen der Basisgruppe das Angebot -
allerdings nur mit halber Kraft. Als sie den Wahlvorschlag beschlossen, waren
von 15 Mitgliedern sieben anwesend. Doch selbst bei voller Besetzung wäre es
wohl zu der fatalen Fehlentscheidung gekommen.
Dass der PDS die politische Panne erspart blieb, verdanken
sie Mitgliedern der im Gebiet sehr regen Antifa. Die hatten einst große Hoffnung
in die PDS gesetzt, sich aber nach und nach von der Partei abgewandt. Sie kennen
Boldt, der bis 1997 noch in Königs Wusterhausen gewohnt und gewirkt hat,
bestens. Der Neonazi war ein Aktivist der inzwischen verbotenen Nationalen
Front. Die Truppe ist auch in der Südlich-Randberliner Gegend nicht durch
besonders sensible Politikgestaltung aufgefallen. Es gab nicht nur Berührungen
mit militanten Nazi-Skins. Boldt, so hört man, wusste schon damals sehr genau,
wie er wen für die Zwecke der Rechtsextremisten nutzen konnte. Mindestens bis
1996 betrieb er das so genannte Nationale Info-Telefon, das ein wesentliches
Mittel zur Vernetzung war. Als Vorsitzender der Berliner Kulturgemeinschaft
Preußen e. V. versuchte er die intellektuelle Art. »Völkisch-kulturell« wollte
der Verein vor allem die Jugend bilden. Boldt saß zudem im Vorstand des Jungen
Weikersheim, das Studienzentrum ist in so manchem Verfassungsschutzbericht zu
finden. Dann wiederum trat er als Anmelder von Hess-Gedenkmärschen in
Oranienburg und Frankfurt(Oder) auf. Dass Halbe, wo Tausende von Hitlers
Endzeitwahn hingeraffte Soldaten begraben sind, ein besonderes nationales
Zentrum seiner Bewegung ist, stand auch für Boldt nie in Zweifel. Als Unbekannte
zweimal Boldts Autos angezündet haben, wollten sie auf keinen Fall, dass er
irgendwo unter- und in einer demokratischen Partei wieder auftaucht. 1997 hat
ihn die CDU gefeuert, weil er sein Vorleben verschwiegen hatte.
Karin Weber meint, alle Berichte über Boldts Nazigesinnung
»enden 1995, das ist jetzt neun Jahre her...« Es ist eine vergebliche Hoffnung,
wegen zweier falscher Zahlen ideologische Einkehr zu vermuten. Auch Boldt sagt,
er hätte sich aus der rechten Szene verabschiedet, an seiner politischen
Herkunft jedoch keinen Zweifel gelassen. Der PDS-Wahlkampfchef in Brandenburg,
Heinz Vietze, dagegen begründet die Streichung des wie er sagt »ehemaligen
Rechtsextremisten« als Kandidat der PDS unter anderem so: »Unehrlichkeit
verdient das Vertrauen derer, die ihn nominierten, nicht und auch nicht das der
Wählerinnen und Wähler.« Gestern um 12 Uhr wurden Wahllisten geschlossen, 30
Minuten vor Ultimo hatte die PDS ihre »Boldt-lose« Liste abgegeben.
Bleibt die Frage, wie das Eintauchen von Neonazis in legale
und demokratische Strukturen - ein erklärtes Ziel von Rechtsextremisten -
verhindert werden kann. Kreischefin Karin Weber will keinesfalls »so etwas wie
Gesinnungsschnüffelei« erzeugen. Die will auch Thomas Nord nicht. Dennoch hält
der Landesgeschäftsführer, das, was in Halbe passierte, für »einen Ausdruck von
Unwissenheit und unglaublicher Naivität«, gerade deshalb sei es »alarmierend.
Wir haben allen Kreisorganisationen Hilfe angeboten, wenn sie jemanden, der sich
für die PDS engagieren will, nicht genug kennen.
Neues Deutschland
Neues Deutschland vom 19.09.2003
kt /
hagalil.com
/ 2003-09-23
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