Zwei Antifaschisten wurden vom Münchner Amtsgericht wegen
öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Verstoßes gegen das
Versammlungsgesetz zu Geldstrafen verurteilt. Sie hatten im vergangen Jahr dazu
aufgerufen, sich einer Nazidemonstration entgegenzustellen.
Tausende Münchner hatten am 30. November 2002 versucht, eine
Demonstration von Rechtsextremen durch die bayerische Landeshauptstadt
blockieren. Anmelder dieser Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung war
der kürzlich nach Sprengstofffunden verhaftete Rechtsterrorist Martin Wiese.
Die Staatsanwaltschaft warf dem 51-jährigen
Maschinenschlosser Christiaan Boissevain vor, kopierte Stadtpläne mit der
Marschroute der Nazidemo verteilt zu haben. Dass Boissevain dabei konkret zu
einer Blockade aufgefordert habe, konnten als Zeugen geladene Polizisten nicht
bestätigen. Anwältin Angelika Lex verwies darauf, dass auch Münchens
Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) und die Vorsitzende der israelitischen
Kultusgemeinde Charlotte Knobloch aufgerufen hätten, sich den Nazis in den Weg
zu stellen, ohne dafür Strafbefehle erhalten zu haben. »Dies ist ein politischer
Prozess«, erklärte Boissevain. »Es ist empörend, dass hier Antifaschisten, die
den so genannten Aufstand der Anständigen mitorganisiert haben, stellvertretend
für viele Menschen abgestraft werden. Damit soll allen Teilnehmern gezeigt
werden: Euer Verhalten war kriminell, beim nächsten Naziaufmarsch verhaltet euch
also polizeikonform, lasst sie marschieren. Einzelne sollen für die Zivilcourage
tausender Menschen büßen.« Unmittelbar nach Boissevain stand der 78-jährige
Martin Löwenberg, Mitglied im bayerischen VVN-Landesvorstand, vor Gericht. Er
wurde wegen seiner Rede auf einer antifaschistischen Kundgebung am 30. November
angeklagt, in der er zur Verhinderung des Naziaufmarsches aufgerufen hatte.
»Verhindern wir gemeinsam den Aufmarsch von alten und neuen Nazis«, hatte
Löwenberg unter anderem erklärt. »Es ist legitim, ja es ist legal, sich den
Totengräbern der Demokratie entgegen zu stellen.« In den Augen des Gerichts war
dies der Aufruf zu einer strafbaren Blockade.
»Ich schäme mich für den Rechtsstaat«
In einer bewegenden, immer wieder vom Applaus der zahlreichen
Zuschauer unterbrochenen Rede schilderte Löwenberg, wie ihn die Erfahrungen der
NS-Diktatur geprägt hatten »Ich habe sehen müssen, dass zu viele Deutsche
unbeteiligt zuschauten, als am 9. November 1938 Juden auf offener Straße
geschlagen wurden.« Im November 1941 wurden 15 jüdische Verwandte seines Vaters
aus der Heimatstadt Breslau deportiert. »Keiner ist zurückgekommen«, sagte
Löwenberg. 1944 musste er selber als Zwangsarbeiter in einem KZ in Lothringen
die Leichen jüdischer Häftlinge aus unterirdischen Rüstungsanlagen herausholen.
»Nach der Befreiung war für uns die Lehre: Faschismus und Krieg hätten
verhindert werden können, wenn Demokraten und Antinazis rechtzeitig die Gefahr
erkannt und die Nazis aktiv bekämpft hätten«, erklärte Löwenberg, der für sein
politisches Engagement vom Oberbürgermeister mit der Medaille »München leuchtet«
ausgezeichnet worden war. Das Grundgesetz sei ihm ebenso Verpflichtung, so
Martin Löwenberg, wie der Schwur von Buchenwald: »Die Vernichtung des Nazismus
mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens
und der Freiheit ist unser Ziel.«
»Ich schäme mich für den Rechtsstaat, dass ich hier stehen
muss, um diesen Mann zu verteidigen«, sagte Rechtsanwältin Lex in ihrem
Schlussplädoyer.
Antifaschistisches Engagement der Bürger sei notwendig zur
Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung, da Polizei und Justiz hierzu
offensichtlich nicht in der Lage seien. Im Polizeiprotokoll über Löwenbergs Rede
sei beispielsweise von einer »KFZ-Häftlingskleidung« sowie davon die Rede
gewesen, dass »Göppel« am 9. November 1938 die »Reichsprognomnacht« auslöste.
Offensichtlich hätten weder Staatsschutz noch Staatsanwalt oder Richter dies
gelesen. »Wie kann ich einem Staat bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus
vertrauen, wenn die zuständigen Beamten nicht einmal die historischen
Grundbegriffe kennen?« fragte Lex.
»Sonst würde der Pöbel bestimmen«
Der Staatsanwalt warf Löwenberg indessen vor, sich im Namen
einer höheren Moral bewusst für eine Straftat entschieden zu haben, als er den
Rechtsextremen das Demonstrationsrecht absprach. Über die Rechtmäßigkeit einer
Demonstration hätten alleine die Gerichte zu befinden - »sonst würde der Pöbel
auf der Straße bestimmen, wer das Versammlungsrecht ausüben darf«. Beide
Angeklagte wurden »im Namen des Volkes« zu Geldstrafen verurteilt - Boissevain
zu 30 Tagessätzen von je 30 Euro, Löwenberg zu 15 Tagessätzen von je 20 Euro.
Mit Rufen wie »Nicht in meinem Namen« protestierten Zuschauer
gegen die Urteile. Mehrere Beobachter, darunter der Münchner
Grünen-Fraktionschef Siegfried Benker, wurden daraufhin des Saales verwiesen. Im
Oktober steht Benker selbst vor Gericht - auch er hatte dazu aufgerufen, einen
Naziaufmarsch zu verhindern.