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Judentum und Israel
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Braune Armee Fraktion:
Keine Fraktion, keine Armee

Nach dem Münchner Sprengstofffund wird über die Entstehung einer »Braunen Armee Fraktion« diskutiert. Doch die Neonazis müssen nicht in den Untergrund. Ihr Weltbild ist salonfähig...

Stefan Wirner

Es wird gefragt: Ist es wieder so weit?« So fasste Charlotte Knobloch die Stimmung in den jüdischen Gemeinden zusammen. »Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen«, sagte die stellvertretende Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland nach dem Sprengstofffund bei Neonazis in München. Der Grundstein für das jüdische Gemeindehaus in München sei noch nicht einmal gelegt worden, und schon liege der Schatten rechter Gewalt darüber.

14 Kilogramm Sprengstoff, davon 1,7 Kilo TNT, waren am 9. September bei Rechtsextremisten gefunden worden. Sie hatten offenbar geplant, eine Bombe bei der Grundsteinlegung für das Gemeindezentrum zu zünden, die für den 9. November vorgesehen ist und bei der u.a. der Vorsitzende des Zentralrats, Paul Spiegel, und Bundespräsident Johannes Rau anwesend sein wollen.

»Jüdisches Leben stand in der langen Geschichte in dieser Stadt fast immer unter politischer Spannung«, steht auf der Homepage der Jüdischen Gemeinde München zu lesen. Es wird darauf hingewiesen, »dass zum ersten Mal in der knapp 850jährigen Geschichte Münchens im Jahr 1999 der Stadtrat aus eigenem Antrieb seiner jüdischen Gemeinde einen repräsentativen Platz eingeräumt hat«.

Auf diese Etablierung jüdischen Lebens hatten es die Nazis wohl abgesehen. Einem Bericht der Berliner Zeitung zufolge sind in München bereits im Februar Briefe mit einem gelblichen Pulver verschickt worden, u.a. an den Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD). Darin habe ein »Deutsches Anti-Jüdisches Kampfbündnis« mit Terroranschlägen auf jüdische Einrichtungen gedroht und die Einstellung der Bauarbeiten am jüdischen Gemeindezentrum gefordert.

Möglicherweise aber geht die deutsche Gesellschaft dennoch schnell zur Tagesordnung über. Die Befürchtungen der Juden standen jedenfalls weniger im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion in der vorigen Woche. Vielmehr ging es um die Frage, ob in der rechtsextremen Bewegung inzwischen eine »Braune Armee Fraktion« entstehe, wie der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) glaubt.

So unangebracht sein Vergleich war, die schnellen Dementis sprachen auch für sich. Bundesinnenminister Otto Schily warnte sogleich vor einer »Alarmstimmung«. Die taz sah ein »BAF-Gespenst«, die Frankfurter Rundschau analysierte: »Bislang jedoch verfügen solche Gruppen weder über das technische Wissen noch über ausreichend Geld, geschweige denn ein funktionierendes Netz von Unterstützern, um im Untergrund zu agieren und aufwendige Anschläge vorzubereiten. Von einer ›Braunen Armee Fraktion‹ keine Spur.«

Tatsächlich gibt es, neben dem ideologischen, einen ganz entscheidenden Unterschied zwischen der RAF und dem heutigen Rechtsextremismus. Die RAF war in der Gesellschaft völlig isoliert. »Sechs gegen 60 Millionen«, so beschrieb der Schriftsteller Heinrich Böll damals die Stimmung. Die Aktivitäten der Neonazis scheinen dagegen die meisten Menschen weniger zu empören.

Dem Rechtsextremismus nähert man sich etwas einfühlsamer als damals der RAF. Der stern etwa weiß über die »Kameradschaft Süd – Aktionsbüro Süddeutschland«: »Der harte Kern der Gruppe besteht nur aus einer Handvoll Neonazis, die fast alle wie Wiese aus Ostdeutschland stammen. Sie sind Gescheiterte, Arbeitslose; junge Männer und Frauen, die in zerrütteten Familien aufwuchsen. Von Wiese weiß man, dass er sehr unter seinem strengen Vater litt und sich im Teenageralter, als die Wende kam, in den Alkohol flüchtete.« Tut irgendwas, helft ihnen, spendet für sie.

Kaum jemand teilte damals die Ziele der RAF. Dem Weltbild der Neonazis stimmen heute hingegen viele zu. In einer kürzlich vorgestellten Studie der Freien Universität Berlin bejahten 28 Prozent der Befragten die Aussage, der Einfluss der Juden sei zu groß. 40 Prozent der Befragten vertraten eine ausländerfeindliche Grundhaltung.

Auch das Argument, die Nazis verfügten nicht über die nötigen technischen Mittel, um als Terroristen zu gelten, ist verharmlosend. Für mehrfachen Mord genügte den Kameraden noch immer ein Molotow-Cocktail, sei es in Schwandorf, in Solingen oder in Mölln. Die Zahl rechtsextremer Morde seit der Wiedervereinigung geht in die Hunderte. In vielen Städten haben Neonazis die Straße erobert, so dass sich Ausländer nachts nicht mehr nach draußen trauen oder, wenn sie können, wegziehen. Befördert wird diese pogromartige Stimmung auch von einem behördlichen Rassismus, von der Drangsalierung von Ausländern und Asylbewerbern.

Anetta Kahane von der Jüdischen Gemeinde Berlin wies in der vorigen Woche in der Frankfurter Rundschau darauf hin, dass der Naziterror immer etwas »mit gesellschaftlichen Bewegungen« zu tun gehabt hätte. »So wie es eine Bewegung gegen Ausländer gab (…) so gibt es zurzeit eine gesellschaftliche Welle des Antisemitismus.« Diese beruhe »auf einer Debattenlage in rechten, aber auch in linken Kreisen, die der Durchschnitt der Bevölkerung ebenso teilt. In ihr dreht das Gespenst von den alles dominierenden Juden, besonders in der Weltmacht USA, heftig seine modernen Runden.«

Dass sich die Nazis momentan wie die Fische im Wasser fühlen, beweist auch, dass in München wenige Tage nach dem Sprengstofffund elf Rechtsextreme nachts einen US-Amerikaner angriffen. Der Mann konnte sich verteidigen, bis ein Wagen mit Zivilpolizisten auftauchte. Auch diese wurden von den Nazis attackiert, nach ihrer Verhaftung randalierten sie noch auf der Polizeiwache.

Hatte es am Montagmorgen vergangener Woche zunächst vorsorglich geheißen, die Täter stünden in keinem Verhältnis zu der »Kameradschaft Süd« und deren Anführer Martin Wiese, musste die Münchner Polizei später das Gegenteil einräumen. »Mindestens zwei haben Verbindungen zu der Gruppe um Wiese«, sagte der Sprecher der Polizei, Wolfgang Wenger, der Jungle World. »Doch der Angriff auf den Amerikaner hat mit dem Sprengstofffund nichts zu tun. Es war lediglich ein Umtrunk, die haben sich zugesoffen und stießen dann auf den Amerikaner.«

Die Schläger waren, kaum hatten sie ihren Rausch ausgeschlafen, wieder auf freiem Fuß. »Es gab keinen Haftgrund«, sagte der Oberstaatsanwalt Anton Winkler der Jungle World. »Sie haben alle einen festen Wohnsitz, es besteht keine Fluchtgefahr. Es ist ja auch nicht allzu viel passiert. Man kann die ja nicht einfach länger festhalten. Sowas hatten wir früher mal, die Zeiten sind vorbei.« So zartfühlend und geschichtsbewusst kann der starke Staat sein.

Zehn Personen sind inzwischen wegen des Sprengstofffunds inhaftiert. Die Ermittlungen führten bisher nach Brandenburg, nach Mecklenburg-Vorpommern und nach Berlin-Marzahn. Möglicherweise müssen die Ermittler ihren Blick auch nach Schwaben richten. Die rechte Sammlungsbewegung »Demokratie direkt«, die in München gegen das geplante jüdische Gemeindezentrum agitierte, ist auch im Raum Ulm aktiv.

Auf dem Festplatz des Ortes Senden nahe Ulm trafen sich am 14. September mit freundlicher Genehmigung der Stadt 100 Naziskins zu einem Konzert. Nach Informationen der Antifaschistischen Aktion Ulm/Neu-Ulm soll auch Michael Müller, ein Funktionär des »Aktionsbüros Süddeutschland«, anwesend gewesen sein. Müller trage gerne mal das Lied vor: »Mit sechs Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an, mit sechs Millionen Juden ist noch lange nicht Schluss.«

Bei der Antifa-Demonstration in Senden am vergangenen Samstag war er dann wieder ganz der alte, der starke Staat. Mit einem Hubschrauber und 500 Polizisten, darunter Beamte des so genannten Unterstützungskommandos (USK) der bayerischen Polizei, wurden die 300 Antifas in Schach gehalten.

Jungle World
Jungle World Nummer 40 vom 24.09.2003

kt / hagalil.com / 2003-09-26

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