antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

 
[Der Pressespiegel im Klick nach Rechts]

Anschlag in Argentinien:
Diplomatie mit Bomben

Großbritannien erwägt, einen früheren iranischen Diplomaten an Argentinien auszuliefern. Er soll für den Anschlag auf das Jüdische Zentrum 1994 verantwortlich sein...

Jessica Zeller, Buenes Aires

Bis Freitag hat der britische Richter Christopher Pratt noch Zeit. Dann muss er entscheiden, ob der ehemalige iranische Botschafter in Argentinien, Hadi Soleimanpur, in das südamerikanische Land ausgeliefert wird. Obwohl seit Mitte August, als der Mann, der sich mit einem »Studentenvisum« im Land aufgehalten hatte, festgenommen wurde, von britischer Seite stets auf die demokratische Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz verwiesen wurde, dürfte der Richterspruch Pratt einige Magenschmerzen verursachen. Denn die juristische Angelegenheit hat mittlerweile weite Kreise gezogen.

Soleimanpur wird von argentinischer Seite vorgeworfen, Hauptverantwortlicher des Attentates auf das Jüdische Kultur- und Gemeindezentrum Amia in Buenos Aires gewesen zu sein, bei dem im Jahre 1994 85 Personen ums Leben kamen und mehr als 200 verletzt wurden. Soleimanpur, so lautet die Begründung des argentinischen Richters Juan José Galeano und seiner zwei Staatsanwälte, sei zwar zum Tatzeitpunkt nicht in Buenos Aires gewesen. Da aber der iranische Staat der Haupttatverdächtige des Anschlages sei und Soleimanpur sein damaliger offizieller Vertreter in Argentinien, seien trotzdem genügend Gründe für eine Anklage gegeben.

Die Auffassung Galeanos deckt sich mit dem Verdacht sowohl einiger jüdischer Organisationen in Argentinien als auch der US-amerikanischen und israelischen Geheimdienste, die schon lange auf die mögliche internationale Dimension des Attentats verwiesen haben. Galeano hatte Anfang August einen internationalen Haftbefehl gegen 13 Iraner ausgestellt, nachdem eine vom argentinischen Geheimdienst Side Anfang dieses Jahres vor allem aufgrund ausländischen Drucks eingeleitete Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen war, dass der oberste Befehl aus dem Iran stamme. Durchgeführt habe den Anschlag ein bewaffneter Arm der Hizbollah, Minister und religiöse Führer des »Gottesstaates« sollen an der Planung und Ausführung beteiligt gewesen sein.

Als Beweismittel dienen einerseits eine Aussage des ehemaligen iranischen Spions »C«, der im April 1998 in Deutschland zu Protokoll gegeben hatte, die Entscheidung, die Amia in die Luft zu sprengen, sei im August 1993 in Teheran getroffen worden, andererseits Videoaufnahmen des Side, der den damaligen iranischen Kulturattaché in Argentinien, Moshen Rabbani, dabei filmte, wie er sich vor dem Sprengstoffattentat nach Preisen für einen Lieferwagen des Typs erkundigte, der auch für den Anschlag benutzt wurde.

»Diese Festnahme ist von großer Wichtigkeit, denn Soleimanpur trug dazu bei, dass in der Botschaft das Attentat geplant werden konnte«, kommentierte die Anwältin des jüdischen Dachverbandes Daia den Schritt.

Die Reaktionen des Iran ließen nicht lange auf sich warten. Informationen der iranischen Nachrichtenagentur Irna zufolge kündigte der iranische Außenminister Kamal Kharazi seinem britischen Amtskollegen Jack Straw telefonisch an, die Festnahme werde »verheerende Folgen« haben. Der vermeintlich moderate iranische Präsident Mohammed Khatami verkündete in einer Ansprache im iranischen Fernsehen: »Wir werden konsequent auf die Handlung Argentiniens und der in die Angelegenheit verwickelten Briten antworten. Wir reagieren nicht mit Toleranz.«

Kurz darauf brach der Iran die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen mit Argentinien kurzerhand ab. Diplomatische Kontakte hatte es nicht mehr gegeben, seit Soleimanpur nach dem Attentat das Land verlassen hatte. Letzte Woche trafen iranische Funktionäre in Buenos Aires zwar nicht wie erhofft mit Galeano zusammen, empfahlen sich aber zumindest schon einmal dem argentinischen Außenminister Rafael Bielsa. Obgleich der Auftritt nur wenige Minuten dauerte, veranlasste Bielsa anschließend seine Administration dazu, mögliche Auswege für die argentinische Justiz auszuloten. Wie bei dem Prozess zum Lockerbie-Anschlag 1988 solle man über einen Umzug in ein »neutrales Land« nachdenken, um die internationale Dimension des Anschlages zu beurteilen. Sein Staatssekretär Eduardo Valdez hatte sich bereits zuvor für einen »vorsichtigen Umgang« im Zusammenhang mit dem Konflikt ausgesprochen.

Auch die Briten bekamen zumindest schon eine symbolische Quittung, als am Mittwoch vorletzter Woche einige Motorradfahrer ihre Botschaft in Teheran mit sechs Schüssen attackierten. Als »reine Sicherheitsmaßnahme, die nichts an den diplomatischen Beziehungen ändern würde«, bezeichnete ein britischer Regierungssprecher die anschließende Entscheidung seiner Regierung, das Gebäude vorerst zu schließen und einigen Angestellten und Familienangehörigen zu raten, die Gegend zu verlassen. Der Iran bekundete halbherzig, man werde gegen diese »unverantwortliche Tat« ermitteln.

Selbst wenn der britische Richter dem Auslieferungsgesuch stattgibt, ist unklar, was aus dem Verfahren gegen Suleimanpur wird. Möglich ist etwa ein langwieriger Gang durch die verschiedenen juristischen Instanzen mit ungewissem Ausgang, wie im Fall des ehemaligen chilenischen Diktators Augusto Pinochet. Die Vermutung liegt nahe, dass vor allem Galeano und dem argentinischen Geheimdienst die alleinige Ausrichtung des Tatverdachts auf »internationalen Terrorismus« zugute kommt.

Denn damit geraten die Unregelmäßigkeiten, die seine eigene Rolle und die des Side im Hinblick auf den Anschlag betreffen, in Vergessenheit. Beide haben von Beginn an mehr zur Vertuschung als zur Aufklärung der Ereignisse beigetragen. Bereits bei den Aufräumarbeiten am Tatort verschwand Beweismaterial, wichtige Zeugen wurden nicht vernommen, und der Prozess gegen die argentinischen Beteiligten, größtenteils Polizisten, ist erst vor zwei Jahren eröffnet worden, ohne dass bei den fast täglichen Verhandlungen etwas Neues herausgekommen wäre. Vielmehr beschuldigen sich die Verdächtigen gegenseitig und stehen im Ruf, allesamt lediglich »Bauernopfer« zu sein.

Den Bericht, der als Grundlage für das Auslieferungsgesuch dient, verfasste der ehemalige Geheimdienstchef Miguel Angel Toma, ein Anhänger des ehemaligen Präsidenten Carlos Menem. Das Papier steckt nach Ansicht des argentinischen Publizisten Raúl Kollmann, der sich von Beginn an mit dem Sachverhalt befasst hat, voller Widersprüche. Der Jungle World erklärte Kollmann: »Dass der argentinische Geheimdienst jetzt eine glatt gebügelte Version des Tathergangs abliefert, die den USA gefällt, entlastet ihn selbst davon, dass die Ermittlungen hier ohne jegliches Ergebnis sind. Aber wie will man überhaupt in Richtung ›internationaler Terrorismus‹ ermitteln? Um die intellektuell Verantwortlichen zu beurteilen, muss man zuerst die materiellen Helfer kennen.«

Jungle World
Jungle World Nummer 39 vom 17.09.2003

kt / hagalil.com / 2003-09-18

Die im Pressespiegel veröffentlichten Texte spiegeln die Meinungen der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Verantwortlichen dieser Website wieder.


DE-Titel
US-Titel

Books

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2013 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved