Bis Freitag hat der britische Richter Christopher Pratt noch
Zeit. Dann muss er entscheiden, ob der ehemalige iranische Botschafter in
Argentinien, Hadi Soleimanpur, in das südamerikanische Land ausgeliefert wird.
Obwohl seit Mitte August, als der Mann, der sich mit einem »Studentenvisum« im
Land aufgehalten hatte, festgenommen wurde, von britischer Seite stets auf die
demokratische Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz verwiesen wurde,
dürfte der Richterspruch Pratt einige Magenschmerzen verursachen. Denn die
juristische Angelegenheit hat mittlerweile weite Kreise gezogen.
Soleimanpur wird von argentinischer Seite vorgeworfen,
Hauptverantwortlicher des Attentates auf das Jüdische Kultur- und
Gemeindezentrum Amia in Buenos Aires gewesen zu sein, bei dem im Jahre 1994 85
Personen ums Leben kamen und mehr als 200 verletzt wurden. Soleimanpur, so
lautet die Begründung des argentinischen Richters Juan José Galeano und seiner
zwei Staatsanwälte, sei zwar zum Tatzeitpunkt nicht in Buenos Aires gewesen. Da
aber der iranische Staat der Haupttatverdächtige des Anschlages sei und
Soleimanpur sein damaliger offizieller Vertreter in Argentinien, seien trotzdem
genügend Gründe für eine Anklage gegeben.
Die Auffassung Galeanos deckt sich mit dem Verdacht sowohl
einiger jüdischer Organisationen in Argentinien als auch der US-amerikanischen
und israelischen Geheimdienste, die schon lange auf die mögliche internationale
Dimension des Attentats verwiesen haben. Galeano hatte Anfang August einen
internationalen Haftbefehl gegen 13 Iraner ausgestellt, nachdem eine vom
argentinischen Geheimdienst Side Anfang dieses Jahres vor allem aufgrund
ausländischen Drucks eingeleitete Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen war,
dass der oberste Befehl aus dem Iran stamme. Durchgeführt habe den Anschlag ein
bewaffneter Arm der Hizbollah, Minister und religiöse Führer des »Gottesstaates«
sollen an der Planung und Ausführung beteiligt gewesen sein.
Als Beweismittel dienen einerseits eine Aussage des
ehemaligen iranischen Spions »C«, der im April 1998 in Deutschland zu Protokoll
gegeben hatte, die Entscheidung, die Amia in die Luft zu sprengen, sei im August
1993 in Teheran getroffen worden, andererseits Videoaufnahmen des Side, der den
damaligen iranischen Kulturattaché in Argentinien, Moshen Rabbani, dabei filmte,
wie er sich vor dem Sprengstoffattentat nach Preisen für einen Lieferwagen des
Typs erkundigte, der auch für den Anschlag benutzt wurde.
»Diese Festnahme ist von großer Wichtigkeit, denn Soleimanpur
trug dazu bei, dass in der Botschaft das Attentat geplant werden konnte«,
kommentierte die Anwältin des jüdischen Dachverbandes Daia den Schritt.
Die Reaktionen des Iran ließen nicht lange auf sich warten.
Informationen der iranischen Nachrichtenagentur Irna zufolge kündigte der
iranische Außenminister Kamal Kharazi seinem britischen Amtskollegen Jack Straw
telefonisch an, die Festnahme werde »verheerende Folgen« haben. Der vermeintlich
moderate iranische Präsident Mohammed Khatami verkündete in einer Ansprache im
iranischen Fernsehen: »Wir werden konsequent auf die Handlung Argentiniens und
der in die Angelegenheit verwickelten Briten antworten. Wir reagieren nicht mit
Toleranz.«
Kurz darauf brach der Iran die kulturellen und
wirtschaftlichen Beziehungen mit Argentinien kurzerhand ab. Diplomatische
Kontakte hatte es nicht mehr gegeben, seit Soleimanpur nach dem Attentat das
Land verlassen hatte. Letzte Woche trafen iranische Funktionäre in Buenos Aires
zwar nicht wie erhofft mit Galeano zusammen, empfahlen sich aber zumindest schon
einmal dem argentinischen Außenminister Rafael Bielsa. Obgleich der Auftritt nur
wenige Minuten dauerte, veranlasste Bielsa anschließend seine Administration
dazu, mögliche Auswege für die argentinische Justiz auszuloten. Wie bei dem
Prozess zum Lockerbie-Anschlag 1988 solle man über einen Umzug in ein »neutrales
Land« nachdenken, um die internationale Dimension des Anschlages zu beurteilen.
Sein Staatssekretär Eduardo Valdez hatte sich bereits zuvor für einen
»vorsichtigen Umgang« im Zusammenhang mit dem Konflikt ausgesprochen.
Auch die Briten bekamen zumindest schon eine symbolische
Quittung, als am Mittwoch vorletzter Woche einige Motorradfahrer ihre Botschaft
in Teheran mit sechs Schüssen attackierten. Als »reine Sicherheitsmaßnahme, die
nichts an den diplomatischen Beziehungen ändern würde«, bezeichnete ein
britischer Regierungssprecher die anschließende Entscheidung seiner Regierung,
das Gebäude vorerst zu schließen und einigen Angestellten und
Familienangehörigen zu raten, die Gegend zu verlassen. Der Iran bekundete
halbherzig, man werde gegen diese »unverantwortliche Tat« ermitteln.
Selbst wenn der britische Richter dem Auslieferungsgesuch
stattgibt, ist unklar, was aus dem Verfahren gegen Suleimanpur wird. Möglich ist
etwa ein langwieriger Gang durch die verschiedenen juristischen Instanzen mit
ungewissem Ausgang, wie im Fall des ehemaligen chilenischen Diktators Augusto
Pinochet. Die Vermutung liegt nahe, dass vor allem Galeano und dem
argentinischen Geheimdienst die alleinige Ausrichtung des Tatverdachts auf
»internationalen Terrorismus« zugute kommt.
Denn damit geraten die Unregelmäßigkeiten, die seine eigene
Rolle und die des Side im Hinblick auf den Anschlag betreffen, in Vergessenheit.
Beide haben von Beginn an mehr zur Vertuschung als zur Aufklärung der Ereignisse
beigetragen. Bereits bei den Aufräumarbeiten am Tatort verschwand
Beweismaterial, wichtige Zeugen wurden nicht vernommen, und der Prozess gegen
die argentinischen Beteiligten, größtenteils Polizisten, ist erst vor zwei
Jahren eröffnet worden, ohne dass bei den fast täglichen Verhandlungen etwas
Neues herausgekommen wäre. Vielmehr beschuldigen sich die Verdächtigen
gegenseitig und stehen im Ruf, allesamt lediglich »Bauernopfer« zu sein.
Den Bericht, der als Grundlage für das Auslieferungsgesuch
dient, verfasste der ehemalige Geheimdienstchef Miguel Angel Toma, ein Anhänger
des ehemaligen Präsidenten Carlos Menem. Das Papier steckt nach Ansicht des
argentinischen Publizisten Raúl Kollmann, der sich von Beginn an mit dem
Sachverhalt befasst hat, voller Widersprüche. Der Jungle World erklärte
Kollmann: »Dass der argentinische Geheimdienst jetzt eine glatt gebügelte
Version des Tathergangs abliefert, die den USA gefällt, entlastet ihn selbst
davon, dass die Ermittlungen hier ohne jegliches Ergebnis sind. Aber wie will
man überhaupt in Richtung ›internationaler Terrorismus‹ ermitteln? Um die
intellektuell Verantwortlichen zu beurteilen, muss man zuerst die materiellen
Helfer kennen.«