Wenn es einen Spitzenklub im internationalen Fußball gibt, der auf eine
jüdische Tradition verweisen kann, die den Verein immer noch prägt, dann ist
dies ohne Zweifel Ajax Amsterdam, die nationale Ikone der Niederlande.
Die heutigen Regenten des Vereins tun dies allerdings nicht nur ungern, sie
leugnen den jüdischen Teil der Klubgeschichte sogar. Unter anderem diesem
Widerspruch geht Simon Kuper in seinem fulminanten Buch »Ajax, the Dutch, the
War« nach. Wie sich die Beziehung zwischen Ajax und den Juden seit der deutschen
Invasion vor 63 Jahren entwickelt hat – das war bereits der Schwerpunkt in der
niederländischen Ausgabe gewesen, die vor drei Jahren erschienen ist. In der
stark erweiterten englischen Fassung untersucht Kuper nun auch, wie sich
Faschismus und Krieg in anderen europäischen Ländern auf den Fußball ausgewirkt
haben.
»Ich war immer davon überzeugt, dass der Fußball etwas Gutes für den Alltag
eines Landes bedeutet«, schreibt Kuper im Vorwort und beweist auf den folgenden
rund 240 Seiten, dass die Fussballliteratur genau solche Ansätze braucht – und
keineswegs noch mehr Fan-Memoiren oder andere Bekenntnisaufsätze. Kuper hat für
sein Buch Zeitzeugen in verschiedenen Ländern besucht, darunter zum Beispiel den
heute in London lebenden Leon Greenman, der mittlerweile 89 Jahre alt ist.
Greenman ist vermutlich der einzige Mensch auf der Erde, der noch aus eigenem
Erleben berichten kann, was damals mit Eddy Hamel geschah, der zwischen 1922 und
1930 Rechtsaußen bei Ajax gewesen war. Rob van Zoest, der das im Jahr 2000
erschienene offizielle Jubiläumsbuch des Vereins zusammengestellt hat, glaubt,
Hamel sei »vor dem Zweiten Weltkrieg« gestorben. Das ist symptomatisch für den
offiziellen Umgang mit der Vergangenheit bei Ajax. Tatsächlich wurde der Stürmer
1943 in Birkenau vergast; er sei wegen eines Abszesses im Mund schnell
»selektioniert« worden, berichtet Greenman seinem Interviewer Kuper. Greenman
selbst hat das KZ überlebt.
Die Ignoranz gegenüber dem Schicksal Hamels ist nur eine der vielen
widersprüchlichen Facetten in der Haltung des Vereins. Anders als fast alle
anderen holländischen Klubs habe Ajax – wenn auch nicht als Institution, sondern
»als informelles Netzwerk« – seinen jüdischen Mitgliedern während der
Besatzungszeit geholfen, betont Kuper. So konnte etwa Jaap van Praag überleben,
der von 1964 bis 1978 Präsident von Ajax werden sollte – in der erfolgreichsten
Zeit der Vereinsgeschichte.
Dass Holland für die Überlebenden des Holocaust ab Ende der fünfziger Jahre
langsam ein freundlicherer Ort zu werden begann, hat viel mit Ajax zu tun. Hier
traten nun verschiedene jüdische Identifikationsfiguren in den Vordergrund: der
Rechtsaußen Sjaak Swart, der in den frühen siebziger Jahren mit Ajax zweimal
Europacupsieger werden sollte, der spätere A-Auswahl-Kapitän Bennie Muller und
der legendäre Masseur Salo Muller, der Johan Cruyff im Bedarfsfall blitzschnell
wieder hinbekam. Für viele Holocaust-Überlebende wurde der Verein zur Familie.
Das ist gemeinhin eine Phrase, aber jemand, der keine richtige Familie mehr hat,
empfindet dies anders.
Allmählich begann nun Ajax’ Aufstieg zu einem Weltklasseklub, und obwohl dies
zu einem gewichtigen Teil jüdischen Mitgliedern zu verdanken ist, hatte diese
Entwicklung auch eine anrüchige Seite. Nicht möglich gewesen wäre sie nämlich
ohne das Geld der Gebrüder van der Meijden, genannt »die Bunkerbauer«. In der
Zeit der deutschen Besatzung waren sie zu Reichtum gekommen, indem sie für das
Dritte Reich arbeiteten, und seit den fünfziger Jahren investierten sie einen
Teil davon in den Verein. Sie bezahlten Ablösesummen und halfen den Spielern
dabei, sich neben dem Fußball eine Existenz aufzubauen. Der wichtigste
Bündnispartner dieser alten Nazifreunde wurde ausgerechnet der Jude Jaap van
Praag, dessen Eltern und Schwester von den Deutschen ermordet worden waren. Zu
weiteren wichtigen Ajax-Finanziers gehörte allerdings auch der milliardenschwere
Immobilienmagnat Maup Caransa, der fast seine gesamte Familie im Holocaust
verloren hatte.
So bekam Ajax das Image, ein »Judenclub« zu sein. Was vom im Laufe der Jahre
stets weiter eskalierenden Antisemitismus im holländischen Fußball als Vorwurf
aufgebracht wurde. Gegnerische Fans singen gern über Ajax: »Hamas, Hamas, Juden
ins Gas!« Oder sie geben Zischlaute von sich, um den Klang von ausströmendem Gas
zu imitieren. Ajax-Fans haben deswegen vor mehr als zwanzig Jahren begonnen,
israelische Flaggen zu schwenken, doch der Verein leugnet heute »jede Verbindung
mit Juden«, weil er Angst habe, solche Hassgesänge zu fördern, sagt Kuper.
Die vereinsoffizielle Geschichtsklitterung gipfelt in einem Passus des
Jahrbuchs von 1995, in dem es heißt, nach dem Ende der deutschen Besatzung habe
Ajax unter seinen Mitgliedern keine Toten zu beklagen gehabt. Das stimmt
immerhin insofern, als dass die vergasten Kicker zum Zeitpunkt ihres Todes nicht
mehr dem Verein angehörten. Man hatte sie ja 1941 ausgeschlossen.
So erklärt sich vielleicht auch, dass in der Amsterdam-Arena, in der es in
dieser Saison mehrmals Champions-League-Fussball zu sehen gab, kein Mahnmal an
diese jüdischen Opfer des Faschismus erinnert.