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Zentrum gegen Vertreibungen:
Wer vertreibt am besten?

Es gibt zwei Konzepte für ein Zentrum, welches vor allem die Umsiedlung von Deutschen verurteilen soll. Markus Meckels Vorschlag nennt sich europäisch und hat deshalb bessere Chancen...

Jörg Kronauer

Gestritten wird nur noch um Kleinigkeiten. Bekommt Deutschland ein »Zentrum gegen Vertreibungen« in der Hauptstadt? Oder wird es ein »Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen« geben, was besser klingt, aber nichts grundlegend anderes bedeutet?

Die Debatte, die seit Mitte Juli die deutschen Medien beschäftigt, lenkt vom eigentlichen Skandal ab: davon, dass ein solches Zentrum, in welcher Form auch immer, vor allem dem deutschen Revanchismus nützt.

Die Idee für ein Zentrum gegen Vertreibungen stammt von den deutschen so genannten Vertriebenen. Seit September 2000 macht sich eine Stiftung dafür stark, die der Bund der Vertriebenen (BdV) ins Leben rief und die von der BdV-Vorsitzenden Erika Steinbach und dem Sozialdemokraten Peter Glotz geleitet wird. In Berlin solle das Zentrum gebaut werden, fordern sie, als Informations-, Dokumentations- und Begegnungsstätte mit einer »Requiem-Rotunde«, wo man der deutschen Umsiedlungsopfer gedenken könne. 400 deutsche Kommunen unterstützen den Plan bisher.

Die politische Voraussetzung für das Projekt ist eine Neubewertung der Geschichte. Die in der Folge des Zweiten Weltkriegs durchgeführte Umsiedlung der Deutschen – die Vertreibung – soll als Unrecht gekennzeichnet werden.

Die Folgen wären fatal. Denn der Transfer der deutschen Bevölkerungsteile aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße, der im Potsdamer Abkommen im Jahr 1945 völkerrechtlich verbindlich festgelegt wurde, war eine Grundlage der Neuordnung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Gelänge es, die Umsiedlung der Deutschen zum Unrecht zu erklären, dann fiele eine wichtige Stütze der europäischen Nachkriegsordnung. Deutsche Ansprüche gegenüber den osteuropäischen Staaten könnten auf dem Rechtsweg eingefordert werden.

Auf Unterstützung für das Zentrum durch die osteuropäischen Regierungen hoffen die Initiatoren nicht. »Wenn Sie anfangen, darüber mit der polnischen, tschechischen und sonstigen Regierungen zu verhandeln, dann ist das ein tot geborenes Kind«, befürchtet Peter Glotz. Verbündete für sein Projekt sucht er dennoch in ganz Europa. An einen armenischen Genozidforscher sowie eine Bürgerin und zwei Bürger der Tschechischen Republik hat die Stiftung »Zentrum gegen Vertreibungen« ihren Menschenrechtspreis vergeben; verschiedene europäische »Volksgruppen« sollen von der Berliner Gedenkstätte mitprofitieren, etwa die »vertriebenen Kosovo-Albaner«. Eine europäische Solidargemeinschaft von völkischen Kollektiven, die tatsächlich vertrieben wurden oder dies von sich behaupten, bastelt sich die Stiftung mit Hilfe der Gesellschaft für bedrohte Völker zusammen.

Doch es gibt Konkurrenz. Seit dem Frühjahr 2002 trommelt Markus Meckel, einer der führenden SPD-Außenpolitiker, für sein Alternativ-Projekt, ein »Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen«. Im Juli 2002 machte sich der Bundestag Meckels Konzept zu Eigen, das sich im Kern keineswegs von dem Vorhaben des Vertriebenenverbandes unterscheidet. »Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen sind Unrecht«, meint auch Meckel.

Allerdings scheint seine Taktik geschickter zu sein. Er versucht, die osteuropäischen Eliten systematisch an der Verwirklichung des deutschen Revisionsprojektes zu beteiligen. Das Konzept von Steinbach und Glotz sei »national«, erklärt er, und wecke daher das »Misstrauen der Nachbarn«. Meckel will dagegen die konkrete Gestaltung des Zentrums einer internationalen Kommission übertragen, die im Osten den Anschein erwecken soll, man dürfe in Europa mitentscheiden. Aber das gilt freilich nur für die Details. Den politischen Kern – die Verurteilung der Umsiedlung der Deutschen – hat Berlin im Alleingang festgelegt.

Meckel geht sehr umsichtig vor. Um wirkungsvollen Protest zu verhindern, hat er die wichtigsten EU-Beitrittsreferenden abgewartet, bevor er mit dem entscheidenden Teil der Kampagne begann: »Um zu verhindern, dass die Probleme des bevorstehenden EU-Beitritts in den betreffenden Ländern von dieser Frage überfrachtet werden, war ein Jahr lang Ruhe.« In der Zwischenzeit hat er Lobbyarbeit betrieben. Internationale Tagungen über das »Zentrum gegen Vertreibungen« am Deutschen Polen-Institut in Darmstadt und an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder haben im Laufe des Jahres den Eliten der betroffenen Staaten das deutsche Projekt näher gebracht.

Die Offensive begann am 14. Juli. Meckel präsentierte der Öffentlichkeit den Aufruf »für ein Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen, Zwangsaussiedlungen und Deportationen«, der inzwischen von über 90 Prominenten unterzeichnet worden ist. Dabei sind nicht nur Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher und die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Roth. Unterschrieben haben auch zahlreiche bekannte Persönlichkeiten aus Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn, darunter zwei ehemalige polnische Außenminister, der stellvertretende tschechische Ministerpräsident sowie der tschechische Senatspräsident mitsamt seinen Stellvertretern.

Seitdem wird in Polen und Tschechien über das Vertreibungszentrum debattiert. Der Erfolg gibt Meckel Recht. Der Widerstand, den die osteuropäischen Eliten bislang gegen das Projekt der Vertriebenen geleistet hatten, wird schwächer. In Wroclaw haben Teile des Establishments einen alten Vorschlag Meckels aufgegriffen und wollen das Zentrum an die Odra holen; der tschechische Senatspräsident plädiert für einen Standort in der Tschechischen Republik. Aus Ungarn ist sowieso kein Widerstand zu erwarten. Aus der 1938 annektierten Südslowakei wurden nach Kriegsende auch ungarische Staatsangehörige umgesiedelt, die nun ebenfalls Revisionsansprüche erheben könnten.

Ganz alte Feindschaften leben plötzlich wieder auf. Wie sie der »Aussöhnung« und dem »gegenseitigen Verständnis« in Europa dienen sollen, wie Meckel in seinem Aufruf schwärmt, ist nicht ersichtlich.

Das scheint auch den Berliner Außenpolitikern bewusst zu sein. Eine ihrer Mittlerorganisationen, das Deutsche Polen-Institut, befasste sich jedenfalls kürzlich mit den »Lehren aus den nationalistischen Konflikten bei der Auflösung der jugoslawischen Föderation«. Der think tank, der sich satzungsgemäß dem deutsch-polnischen Dialog widmet, debattierte über Gewaltfragen »bei nationalistischen (…) Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen von Völkern, die lange Zeit friedlich nebeneinander lebten«.

Jungle World
Jungle World Nummer 34 vom 13.08.2003

kt / hagalil.com / 2003-08-26

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