Heß-Gedenken in Wunsiedel:
Braunes Spektakel
Unter dem Schutz von deutscher Justiz und 1000 Polizisten
versammelten sich mehr als 3500 Neonazis in Wunsiedel. Der Aufmarsch war zuvor
höchstrichterlich genehmigt worden...
Andrea Röpke
Das verschlafene
Fichtelgebirgs-Städtchen Wunsiedel ist spätestens seit diesem Jahr zum
Wallfahrtsort für Rechtsextremisten in ganz Europa geworden. 1987 wurde der
Hitler-Stellvertreter und Szene-Märtyrer Rudolf Heß in Wunsiedel begraben. Zum
Gedenken an seinen Todestag trafen dort am Samstag, den 16. August, über 3500
militante Neonazis aus der Bundesrepublik, Spanien, Belgien, Frankreich,
Italien, Großbritannien, Schweden, Dänemark, Tschechien, Österreich und der
Schweiz zusammen. Es war die größte Neonazi-Demonstration seit Jahren.
Erschreckend ist die Tatsache, dass es sich hierbei fast ausschließlich um
Anhänger des nationalen Kameradschaftsspektrums handelte, von der NPD waren nur
wenige dem Aufruf gefolgt. Ansonsten hätte es womöglich noch zur doppelten
Stärke kommen können.
Kein Schulterschluss mit der NPD
Wenige
Tage zuvor, am Donnerstag, den 14. August, hatte das Bundesverfassungsgericht
die Verbotsverfügung des Landratsamtes Wunsiedel und des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs aufgehoben und die Demonstration ermöglicht. Unter der
Führung des Hamburger Neonazi-Rechtsanwaltes Jürgen Rieger und der Aktivistin
der "Freien Kameradschaften" Inge Nottelmann startete die braune
Großveranstaltung am Samstag morgen unter anderem mit Einlagen von zwei
rechtsextremen Liedermachern. Der eine, "Manuel", spielte den Song "Tomorrow
belongs to me" der Skinhead-Kultband "Skrewdriver". Ferner gab es eine
Grußbotschaft des inzwischen verstorbenen Heß-Sohnes Wolf-Rüdiger sowie
Grußworte der vielen internationalen Neonazi-Abordnungen.
Auffallend war
die starke Präsenz der italienischen "Veneto Fronte Skinheads", einer Gruppe,
die vor allem Rechtsrock-Konzerte veranstaltet und als militant bekannt ist. Ein
Vertreter der "Nordischen Widerstandsbewegung" fand besonders scharfe Worte und
der niederländische NVU-Chef Constant Custers bekam viel Beifall.
Die
freie Nationalistin Daniela Wegener aus Nordrhein-Westfalen durfte nicht nur
beim Ordnerdienst helfen, sondern auch neben Jürgen Rieger Zitate aus den
Briefen von Rudolf Heß vorlesen. Diese behandelten natürlich das Thema
Kindererziehung in Deutschland. Zwar fielen in diesem Jahr besonders die vielen
weiblichen Helferinnen auf, aber das freie Wort ergreifen durften sie auch hier
nicht.
Vermutlich aufgrund der internen strategischen und persönlichen
Auseinandersetzungen nahmen in diesem Jahr Kameradschaftsführer und Demo-Größen
wie Steffen Hupka, Christian Worch und Thomas "Steiner" Wulff nicht teil. Von
der NPD-Bundesführung soll nach Angaben der Veranstalter nur der Vize Holger
Apfel anwesend gewesen sein. Es gab Banner der "Kameradschaft Tor Berlin",
"Gemeinschaft deutscher Osten", des "Kampfbund deutscher Sozialisten" und des
"Freundeskreis Nationaler Politik". Aber von einem Schulterschluss zwischen
Kameradschaftsaktivisten und NPD, wie immer wieder angekündigt, konnte in diesem
Jahr in Wunsiedel nicht die Rede sein.
Christian Worch nicht dabei
Laut Mitteilung des Pressesprechers der Polizeidirektion Hof gab es 67
kurzzeitige Festnahmen, überwiegend wegen des Tragens verfassungsfeindlicher
Kennzeichen und des Mitführens von gefährlichen Gegenständen. Eine der
interessanten Demonstrationsauflagen für die Rechten besagte: "Aus dem Aufzug
heraus darf nicht fotografiert werden." Darüber waren die Organisatoren um Inge
Nottelmann besonders verärgert, denn in diesem Jahr hatte es zum ersten Mal
vorsichtige Widerstandsversuche der örtlichen Jugend gegeben. Überall auf der
Marschroute hingen bunte Transparente mit Sätzen wie "Bunt statt Braun". Zur
Gegenkundgebung waren nur 400 Teilnehmer erschienen.
Die eingesetzten
Polizeikräfte achteten streng auf die Einhaltung dieser Auflage und griffen sich
immer wieder fotografierende Neonazis aus dem Zug heraus. Doch den Rechten war
ihre triumphierende Laune nicht zu verderben. Unter dem Schutz von deutscher
Justiz und 1000 anwesenden Polizeibeamten schwangen sie sogar ein (entwendetes)
Transparent der Grünen Jugend "Nazis (un-)willkommen" und niemand schritt ein.
blick nach rechts
blick nach rechts Nummer 17/2003
al /
hagalil.com
/ 2003-08-27
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