Kurt Tucholskys Feststellung, wonach Satire alles dürfe, ist kein
Qualitätssiegel. Offen bleibt im jeweiligen Fall, wie geschmackvoll eine
satirische Darstellung ist und was sie bezweckt. So zielte Titanic vor einem
Jahr auf die Kampagnen Jürgen Möllemanns, als sie ein Titelbild mit der Frage
»War Hitler Antisemit?« veröffentlichte und Parodien auf FDP-Plakate mit dem
Slogan: »Judenfrei und Spaß dabei.«
Ein völlig anderes Interesse verfolgt eine so genannte Bin-Laden-Crew mit
ihrem Internetauftritt. Männer mit umgehängten Bärten posieren in einer Höhle.
Das Setting ist den Videobotschaften Ussama bin Ladens nachempfunden. Über die
Homepage werden T-Shirts mit der Aufschrift »Schläfer« vertrieben, und es wird
die Burka-Pflicht gefordert.
Ein Agent namens Tante Horst berichtet von einem Atomtest im Kölner
Untergrund und dem ersten Weltraumflug der Bin-Laden-Crew, die darüber streitet,
ob der Wiedereintritt in die Erdatmosphäre mit Schweinekopfsülze gefeiert werden
darf. Der Leser erfährt, dass der US-Geheimdienst die abgestürzte Raumfähre
Columbia direkt in den Berliner Reichstag leiten wollte, aber der Fernsehturm in
der Einflugschneise stand. Eine als Satire betitelte Rubrik enthält allerlei
Karikaturen; eine basiert auf dem rassistischen Stereotyp, Polen seien
Autodiebe. Ein US-Soldat im Irak sucht in der Wüste seinen Panzer, die
Überschrift lautet: »Die polnischen Truppen sind im Irak angekommen.«
Fotos sollen Auftritte der Crew und ihrer Schläfertruppe in Berlin bei der
Hateparade, der Demo »Mehr Krieg für alle« am 14. Februar sowie bei einem
Beachvolleyballturnier dokumentieren. Gerne zeigt man sich in militärischer Pose
mit Sturmhauben.
Die »sachlichen« Beiträge bezichtigen die US-Regierung, vorab über die
Anschläge vom 11. September 2001 informiert gewesen zu sein. Die Attentate
würden genutzt, um die Weltherrschaft zu erringen. Genauso habe Präsident
Franklin D. Roosevelt einst über den Angriff der Japaner auf Pearl Harbor
Bescheid gewusst, ja diesen sogar provoziert, um eine friedlich gestimmte
Bevölkerung in den Krieg zu treiben.
Solche Verschwörungstheorien funktionieren auch deshalb, weil sie einige
Körnchen Wahrheit enthalten. Zu Recht kann die Bin-Laden-Crew darauf hinweisen,
dass es die US-Regierung war, die in den achtziger Jahren die Mudjahedin und bin
Laden im Kampf gegen die Sowjetunion aufgebaut hat.
Zum ersten Jahrestag des 11. September schreibt die Crew, es sei »höchste
Zeit für einen expliziten Anti-Bushismus, bevor dieser Neo-Nero den Rest der
Welt in Brand setzt«. Dabei stützt sie sich auf nicht näher benannte
Ungereimtheiten in der offiziellen Tatversion und gelangt zu dem Ergebnis: »Wir
glaubten (von Anfang an) an die Unschuld bin Ladens! Inzwischen erkennen immer
mehr Menschen die nicht zu übersehenden ›offiziellen‹ Lügen und Intrigen, so
dass auch wir stetig mehr Zuspruch bekommen.« Das ist leider weder Satire noch
Übertreibung. Umfragen zufolge glaubt fast ein Fünftel der Deutschen, dass die
US-Regierung die Anschläge selbst in Auftrag gegeben habe.
Von der Internetseite der Bin-Laden-Crew führt ein Link zu der Seite
elfterseptember.info, wo behauptet wird, es habe sich bei den damaligen
Anschlägen um eine verdeckte Operation der US-Geheimdienste mit modernsten
Waffen, kombiniert mit Videomanipulationen, gehandelt. Als Zeuge wird der
US-Sektenführer Lyndon LaRouche angeführt, dessen Glaubwürdigkeit durch die
Bezeichnung »mehrfacher US-Präsidentschaftskandidat und brillanter Ökonom«
erhöht werden soll. Verwiesen wird auch auf die Wochenzeitschrift Neue
Solidarität der deutschen LaRouche-Fans von der rechten Bürgerbewegung
Solidarität.
Als weitere Referenzen sind Gerhard Wisnewski und sein
verschwörungstheoretischer Beitrag im WDR sowie die Konferenz »Der inszenierte
Terrorismus« in Berlin aufgeführt. (Jungle World, 29/03)
Auf der Internetseite wird spekuliert, ob der Mossad Jürgen Möllemann
ermordet habe. Geworben wird für Bücher wie »Allah ist ganz anders« von Sigrid
Hunke sowie »Der multidimensionale Kosmos« von Armin Reis, der über
Astralwelten, Außerirdische und Logen spekuliert. Die Seite schließt mit einem
Zitat des Gurus Sri Aurobindo über die Verderbtheit der Welt: »Die Welt ist eine
verwundete Giftschlange, die sich ihrer vorbestimmten Häutung und Vollkommenheit
entgegenwindet. Warte geduldig, denn es handelt sich um einen göttlichen
Wettkampf; und aus dieser Niedrigkeit wird Gott auftauchen, leuchtend und
triumphierend.«
Aurobindo passt gut in diese Szene aus paranoiden Esoterikern, Antiimps,
Ufologen und Nazis. In dem Werk »Zyklus der menschlichen Entwicklung« preist der
Guru die Deutschen als »höchste nordische Rasse« und lobt den Vernichtungskrieg
der Nazis als Weg zur Vollkommenheit, auf dem seiner Ansicht nach minderwertige
Afrikaner, Asiaten sowie die »lateinische Rasse« ausgemerzt werden sollten.
Die Bin-Laden-Crew jedenfalls lässt keinen Zweifel daran, wer im göttlichen
Wettkampf die Niedrigkeit verkörpert. Sie fordert »Freiheit für Palästina,
Schluss mit dem israelischen Terror« und zeigt allerlei Fotos, die jüdischen
Staatsterror belegen sollen, sogar jüdische Kinder würden sich daran beteiligen.
Ein Link führt zur britischen Kampagne, die einen völligen ökonomischen,
akademischen, kulturellen, sportlichen und touristischen Boykott Israels
verficht und darüber hinaus dazu auffordert, nicht bei Firmen zu kaufen, die die
»zionistische Entität« unterstützen.
Im Gästebuch der Bin-Laden-Crew schrieb jemand: »Good jews are hot jews«,
also sinngemäß: »Gute Juden sind brennende Juden.« Die Crew merkte dazu an:
»Good jews??«
Die Nazis aus »Neu-Schwabenland« dankten im Gästebuch für solche Judenwitze.
Sie glauben an »Reichs-Flugscheiben«, die die geflohene NS-Führung im Erdinneren
unter dem antarktischen Neu-Schwabenland entwickle, um die USA und Israel eines
Tages zu zerstören. »Der Sieg ist unser«, meldeten sie. Um einem solchen Sieg
zumindest näher zu kommen, ist die von der Bin-Laden-Crew gepflegte Satire im
Unterschied zu fliegenden Nazi-Untertassen eine gefährliche Waffe.