Mammutverfahren gegen Skinheads:
Rechtsextremisten sprechen von »Schauprozess«
Nach einem ersten Urteil gegen die Skinheads Sächsische
Schweiz sollen drei weitere Verfahren mit 16 Angeklagten zusammengefasst werden.
Bei Geständnissen werden erneut milde Strafen angekündigt....
Hendrik Lasch
Nach dem überraschenden Ausgang des ersten Prozesses gegen Mitglieder der
rechtsextremen Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) will die Staatsanwaltschaft
das Thema offenbar schnell abschließen. Drei weitere Verfahren mit insgesamt 16
Angeklagten sollen zusammengelegt und ab Ende September in einem Mammutprozess
verhandelt werden. Dies berichten die »Dresdner Neuesten Nachrichten«. Den
Mitgliedern der 1996 gegründeten und 2001 verbotenen Gruppierung wird die
Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.
Dass die SSS so einzuschätzen ist, wurde im ersten Prozess bereits
festgestellt. Den zunächst sieben Angeklagten war während der fast 50 Sitzungen
langen Hauptverhandlung nachgewiesen worden, dass sie in einer straffen
Organisationsstruktur und mit gemeinsamer Ideologie handelten. Für das folgende
Verfahren rechnet die Anklage daher mit einem zügigen Verlauf. An der Einstufung
als kriminelle Vereinigung »kommen die Angeklagten nicht vorbei«, sagte
Oberstaatsanwalt Jürgen Schär.
Angekündigt werden erneut milde Strafen, falls sich die Angeklagten geständig
zeigen. Die Staatsanwaltschaft sei »bereit, Kompromisse beim Strafmaß
einzugehen«, wird Schär zitiert. Bei dem im Mai beendeten Prozess waren fünf
Angeklagte zu Haftstrafen zwischen 18 Monaten und zwei Jahren verurteilt worden,
nachdem sie überraschend Geständnisse abgelegt hatten. Alle Strafen wurden zur
Bewährung ausgesetzt. Zur Begründung der niedrigen Strafen verwies das Dresdner
Landgericht auch auf die V-Mann-Problematik. Das sächsische Innenministerium
hatte durch eine Sperrerklärung verhindert, dass eine mögliche Rolle des
Verfassungsschutzes bei Gründung und Aufbau der SSS beleuchtet werden konnte.
Die SSS, der bis zu 100 Mitglieder angehört haben sollen, wollten die Sächsische
Schweiz mit Gewalt von Linken und Ausländern »säubern«. Dazu wurden Überfälle
verübt, Dossiers über potenzielle Gegner angelegt und Psychoterror ausgeübt, der
von Verfolgungsjagden im Auto bis zu Drohungen in Szenepublikationen reichte.
Die Gruppierung hat eng mit der NPD zusammengearbeitet, unter anderem als deren
Saalschutz.
Die Verteidigung hatte zunächst versucht, die Vorwürfe zu verharmlosen; die
meisten der Angeklagten schwiegen. Lediglich ein Szene-Aussteiger hatte seine
früheren Kameraden schwer belastet. Ihre Geständnisse hatten die fünf zuletzt
verurteilten Angeklagten, die am Ende der fast ein Jahr währenden
Hauptverhandlung alle ohne Arbeit waren, unter anderem mit der hohen
finanziellen Belastung des Prozesses erklärt. In der rechten Szene wird dem
Gericht deshalb »erpresserische Nötigung« vorgeworfen.
Von Einsicht kann bei vielen Rechtsextremen in der Sächsischen Schweiz
ohnehin keine Rede sein. Auf der Homepage des »Netzwerkes Rechts Pirna-Sebnitz«,
nach eigenen Angaben ein »Informationsportal junger nationalistischer
Dissidenten«, wird das Verfahren gegen die SSS als Schauprozess mit einem »vom
System gewünschten Ausgang« bezeichnet. Die gewalttätigen Übergriffe der
Rechtsextremen werden weiterhin als »jugendliche Rangeleien mit
Linksextremisten« umschrieben. Welche Wirkung der SSS-Prozess hat, ist deshalb
unsicher. Verantwortliche räumen ein, dass Mitglieder der verbotenen
Organisation noch immer in der rechtsextremen Szene aktiv sind. Sachsens
Innenminister Horst Rasch (CDU) erklärt, man werde erst »mittelfristig sehen, ob
sich etwas geändert hat«. Ein Sprecher der »Aktion Zivilcourage« in Pirna sieht
die Rechtsextremisten aber zumindest optisch auf dem Rückzug. Auf ihrer Homepage
sprechen diese selbst jedoch von gefestigten Strukturen: Die »nationalen Kräfte
der Region« würden »besser denn je zusammenarbeiten«.
Neues Deutschland
Neues Deutschland vom 05.08.2003
kt /
hagalil.com
/ 2003-08-08
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