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Schill-Partei in Berlin:
Tausend Jahre Tugend

Schill-Partei eröffnet Regionalbüro ...

Claudia Seidel

Anke Soltkahn ist eine 62jährige Dame mit blondierten Haaren und stechend blauem Kleid mit Goldknöpfchen, und sie ist aufgeregt. Ihre Stimme zittert und sie kann ihre Finger nicht ruhig halten. Sie lächelt, denn schließlich will sie überzeugend wirken. Es ist ein großer Tag für die Landesvorsitzende und für ihre Partei.

Der Berliner Ableger der Partei Rechtsstaatliche Offensive (Pro), noch Schill-Partei genannt, ist sesshaft geworden. Eine lauschige kleine Wohnung im gutbürgerlichen Charlottenburg wurde zur Landesgeschäftsstelle umgebaut. Gleich nebenan ist die Autobahn, die »direkt zu unseren Parteifreunden in den Norden führt«. Wie praktisch.

Ungefähr 50 Leute stehen eng beieinander, schwitzen und essen. Es herrscht Festzeltstimmung. Die VeranstalterInnen haben ihre Volksmusik-CDs mitgebracht, es gibt Bier, Sekt und Häppchen. Grund genug für einige BürgerInnen, die neue Landesgeschäftsstelle zu besuchen. Bis auf zwei Jugendliche, die die Partei »rassistisch« finden, sind die Gegner der Pro fein zu Hause geblieben.

Dass der Bundesvorsitzende Mario Mettbach die Eröffnung wegen wichtiger Termine absagte, scheinen die Anwesenden ebenso gut zu verkraften wie die Ereignisse der letzten Tage. »Wir sind nicht dabei gewesen und können uns kein Urteil über die Ereignisse in Hamburg erlauben«, meint Michael Schlembach, der Landesvorsitzende der Partei in Nordrhein-Westfalen. Außerdem rät er Ronald Barnabas Schill, Urlaub zu machen. Der ehemalige Innensenator Hamburgs sei nur ein Mensch und keine Politmaschine. »Und wir lieben Menschen auch in unserer Partei«, sagt Schlembach. Als das Hamburger Mitglied Gerda Witthuhn sagt, dass Schill die Wahrheit gesprochen habe, jubeln die Anwesenden. Die Freude steigert sich noch, als Anke Soltkahn erklärt, dass sie in drei Jahren mit einem zweistelligen Wahlergebnis für ihre Partei in Berlin rechne. »Wer einen gesunden Menschenverstand hat, der wählt die Schill-Partei.«

Menschen mit Verstand sind nach Ansicht von Arnfried Wünscher aus Charlottenburg-Wilmersdorf vor allem Rentner und Arbeiter. »Wenige Akademiker wählen die Pro, weil sie eine modernere Politik bevorzugen.« Das ist verständlich, wenn man hört, dass Anke Soltkahn an die »Tugenden der letzten 1 000 Jahre« appelliert.

Und doch gibt es Jugendliche, die der rechtspopulistischen Partei etwas abgewinnen können. Maurice Woelcken, der 15jährige Jugendbeauftragte der Jungen Offensive für Reinickendorf und Sohn des Ortsvereinsvorsitzenden Bernd Woelcken, hat »seinem Leben durch die Partei einen Sinn« gegeben. Dass die Mitschüler ihn als Rechten abstempeln, interessiere ihn wenig. »Die Partei ist mein Leben und nach Beendigung der Schule will ich weiter aufsteigen.«

Jungle World
Jungle World Nummer 36 vom 27.08.2003

kt / hagalil.com / 2003-08-28

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