Manche konnten ihr Glück nicht fassen. Rund 2 000 TeilnehmerInnen
versammelten sich am Dienstag vergangener Woche im Hamburger Schanzenviertel zu
einer Jubeldemo und feierten ausgelassen mit den Polizisten die Entlassung des
Innensenators Ronald Schill. Mit dessen politischem Ende, so lautete wohl die
Hoffnung der Feiernden, werde auch das Ende des rechtspopulistisch-konservativen
Senats, der Hamburg seit knapp zwei Jahren regiert, eingeleitet. Die Party ging
so lange, bis die Ordnungshüter traditionsgemäß schlechte Laune bekamen und
vierzig Demonstranten in Gewahrsam nahmen.
Am Anfang des Niedergangs Ronald Schills steht die Affäre des Staatsrats der
Innenbehörde, Walter Wellinghausen. Der ehemalige Sozialdemokrat war Vorstand
der Münchner Isar Klinik II AG und hatte vermutlich noch lange nach seiner
Ernennung zum Staatsrat unerlaubte Nebeneinkünfte aus seiner Münchner Tätigkeit.
Da er dumm genug war, dies auch noch in zahlreichen Protokollen von
Aufsichtsratssitzungen schriftlich festhalten zu lassen, war seine Entlassung
eine Frage der Zeit.
Schills Problem bestand nun darin, dass Wellinghausen de facto dessen Job
machte, wenn man den Klagen von MitarbeiterInnen der Innenbehörde Glauben
schenken darf. Schon als Amtsrichter stand Schill nicht eben in dem Ruf, ein
großer Freund der Aktenpflege zu sein, als Innensenator nahm er endgültig davon
Abstand und lieber repräsentative Aufgaben wahr. Ohne Wellinghausen wäre
vermutlich schnell klar geworden, dass der Hamburger Innenbehörde ein Mann
vorsteht, der für den Job völlig ungeeignet ist und zudem von den aktuellen
Amtsgeschäften keine Ahnung hat.
In seiner Panik verfiel Schill offensichtlich auf die absurde Idee, seinen
Vorgesetzen, Bürgermeister Ole von Beust (CDU), der Wellinghausen entlassen
wollte, mit dem Vorwurf der Homosexualität zu erpressen. »Überleg es dir gut
heut, heute abend, Prime Time, bundesweit«, soll Schill laut von Beust gesagt
haben. Dass der 2. Bürgermeister versuchte, den 1. Bürgermeister zu erpressen,
ist aber durchaus vorstellbar. Dabei wäre es nichts Neues gewesen, dass von
Beust schwul ist, auch wenn er sich nicht wie der Regierende Bürgermeister von
Berlin, Klaus Wowereit (SPD), öffentlich dazu bekannte.
In der Pressekonferenz nach seiner Entlassung behauptete Schill dann, von
Beust habe ein Liebesverhältnis mit Justizsenator Roger Kusch (CDU). Der wohnt
in einer von Beust gehörenden Wohnung, beide kennen sich seit ihrer gemeinsamen
Studienzeit. AnwohnerInnen der Wohnung am Hansaplatz hätten Schill angerufen, um
ihm mitzuteilen, dass es »im Bereich der Wohnung zu Dingen komme, die auf
Liebesakte schließen lassen«.
Der Hansaplatz liegt im Hamburger Stadtteil St. Georg, der seit Jahren die
Gay Area der Stadt ist. Dass hier jemand zum Telefon greifen und Schill anrufen
könnte, um ihm zu verraten, dass der Bürgermeister schwulen Sex habe, ist schwer
vorstellbar. Die Vorstellung spiegelt vielmehr Schills eigene Homophobie sowie
das Vertrauen auf ähnliche Ressentiments der stockkonservativen Wählerschaft des
Senats wider. Trotzdem griff lediglich einer der anwesenden Journalisten Schill
in der Pressekonferenz offen an und bemerkte: »Das ist zutiefst unanständig, was
Sie hier machen.«
Noch offensichtlicher wurde Schills Paranoia, als er am Nachmittag des
gleichen Tages Sandra Maischberger beim Sender n-tv ein Interview gab. Nun war
die Wohnung am Hansaplatz bereits zu einer »Liebeshöhle« geworden. Trotzdem habe
er von Beust nicht erpressen wollen, es sei ihm nur um die unzulässige
Vequickung von Privatem und einem öffentlichen Amt gegangen. Im Übrigen
verkündete Schill, es bleibe sein Verdienst, dass in Hamburg Kriminalität wieder
bekämpft werde, nachdem »die SPD die Stadt 50 Jahre lang schutzlos dem
Verbrechen ausgeliefert« habe.
Doch Schill reüssierte nicht mit seiner homophoben Kampagne. Von Beust kam
ihm zuvor, am Ende distanzierte sich sogar die Schill-Partei selbst von Schill.
»Schock und Scham überkam uns«, sagte etwa Peter Paul Müller aus der
Schill-Fraktion. Schills Wunsch, wenigstens Fraktionsvorsitzender seiner Partei
in der Bürgerschaft zu werden, wurde von der eigenen Partei zurückgewiesen.
Schill bleibt wohl nur einfacher Abgeordneter.
Begonnen hatte er seinen Aufstieg als »Richter Gnadenlos«, der sich bei
seiner zukünftigen Wählerschaft dadurch beliebt machte, dass er besonders hart
durchgriff und als Strafrichter schon mal bei minder schweren Delikten
drakonische Haftstrafen verhängte. Dass sämtliche seiner Urteile von der
nächsten Instanz zurückgenommen wurden, interessierte seine Fans wenig. Später
wurde er sogar wegen Rechtsbeugung verurteilt, der Bundesgerichtshof revidierte
diese Entscheidung allerdings.
Der Machtwechsel in Hamburg im Oktober 2001 war nur möglich, weil Ole von
Beust, der als Spitzenkandidat der CDU zuvor ähnlich erfolgreich war wie die SPD
in Bayern, seine letzte Chance, den Sessel des Bürgermeisters zu besetzen,
gekommen sah. Mit den 26 Prozent der Wählerstimmen, die er für die CDU
erreichte, hätte er in jedem anderen Bundesland zurücktreten müssen, aber dank
der 19 Prozent der Schill-Partei und der wieder in der Bürgerschaft vertretenen
FDP reichte es für eine Mehrheit von vier Stimmen, und das interpretierte von
Beust flugs als Regierungsauftrag. Dass er damit erstmals in der Geschichte der
Bundesrepublik einen extremen Rechtspopulisten auf die Regierungsbank brachte,
kümmerte ihn wenig.
Seit dem Oktober 2001 ließ die Regierung dann nichts unversucht, ihrer
kleinbürgerlichen Wählerschaft und ihren großbürgerlichen Freunden zu gefallen
(siehe auch Seite 9.) Sozialabbau, Verschärfung polizeilicher Maßnahmen gegen
Obdachlose und Drogenverkäufer, die Räumung von Bauwagenplätzen: Die Liste ist
lang und schmutzig, der Widerstand dagegen war mal mehr, mal weniger laut. Am
Sturz des Innensenators hatte die Linke nun allerdings nicht den geringsten
Anteil.
Ronald Schill war in den 20 Monaten seiner Amtszeit das Aushängeschild des
Senats. Vor genau einem Jahr sorgte er für einen Eklat im Bundestag, als er als
Vertreter des Hamburger Senats die Debatte über das Hochwasser in Ostdeutschland
dafür benutzte, gegen MigrantInnen zu hetzen. Nur weil es »eine massive
Zuwanderung« in die Sozialkassen gebe, müsse der Bund die Kosten der
Flutkatastrophe durch Steuererhöhungen finanzieren.
Als er seine Redezeit überschritt, drehte ihm die stellvertretende
Präsidentin des Bundestags, Anke Fuchs (SPD), das Mikrofon ab. Dies
interpretierte Schill als »Verfassungsbruch« und drohte mit einer Klage. Von
Beust musste sich anschließend öffentlich für seinen Innensenator entschuldigen
und versicherte, so etwas werde nie wieder vorkommen. Ein anderes Mal forderte
Schill die Anschaffung jenes Betäubungsgases, das bei der Stürmung eines
besetzten Moskauer Musiktheaters 129 der Geiseln das Leben gekostet hatte.
Mit Dirk Nockemann, dem designierten Nachfolger Schills, übernimmt nun ein
Mann die Innenbehörde, dessen politische Vorstellungen von denen Schills kaum
abweichen. Er pflege »einen anderen Stil«, ließ Nockemann die Hamburger Presse
wissen, aber mit den Ansichten des Parteigründers hatte er nie auch nur die
geringsten Probleme. Seine angebliche Fachkompetenz erwarb er sich als Leiter
des Landesamtes für Asylbewerber und Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern, wo
er eine rigide Abschiebepolitik betrieb.
Auch dass nach wie vor rund 20 Prozent der WählerInnen in Hamburg bereit
sind, für eine mehr oder weniger rechtsextreme Partei zu stimmen, ist äußerst
bedenklich. Zum Feiern gibt es auf St. Pauli noch lange keinen Grund.