Aus Schill wird kein Haider:
Die Erben des Skandals geben sich politikfähig
Die Geschwindigkeit, mit der sich die Abgeordneten der
Hamburger Schill-Partei von ihrem Gründer und Idol abgewandt haben, ist
atemberaubend. Ronald Schill spielt in den Zukunftsplanungen der Partei keine
Rolle mehr, auch sein ihm verbliebener Job als Landesvorsitzender wird zur
Disposition gestellt. Der Mann, der die Partei verkörpert hat, steht fast ganz
allein da. Den Medien und dem eigenen Ego zuliebe wird er den Part des
Ungebändigten auch als einfacher Abgeordneter geben. Doch irgendwann werden
selbst die Journalisten den Spaß daran verlieren....
Peter Ahrens
Schill wird also kein zweiter Jörg Haider, kein zweiter Helmut Kohl werden,
die nach ihrem Abschied von der Macht die Fäden in der Hand hielten, emsig
dabei, die Strippen zu ziehen. Diese Rolle hätte Schill zweifellos gern gehabt,
aber seine Abgeordneten werden dabei nicht mitspielen. Sie waren immer ganz
anders als ihr Chef. Dessen lockeres Leben, die Politik als große Party, das
sprunghafte Bohemiengehabe war seinen Epigonen immer fremd, ob sie nun
Nockemann, Mettbach oder Frühauf heißen. Die Führungsgarde der Partei besteht
aus kreuzbraven Bürgern, die zwar gern im Rampenlicht stehen, denen die große
Bühne aber immer etwas unheimlich war.
Schill war der Spieler, der mit Amt und Macht jonglierte und seinen Spaß
daran hatte, die Öffentlichkeit zu brüskieren, Regeln zu verletzen. Seine
Mitstreiter sind letztlich artige Kommunalpolitiker, die Akten lesen und sich in
Ausschüssen den Hintern platt sitzen - so wie Politiker möglicherweise auch sein
sollten. Sie haben Schill gebraucht, um in seinem Windschatten an die Macht zu
segeln. Sie benötigten seine Strahlkraft, um den Sprung aus der Anonymität in
die Medien und dann ins Parlament zu schaffen. Jetzt sitzen sie da, wo sie
hinwollten, und Schill hat mit seinen Ausfällen, seiner Unberechenbarkeit,
seinen Schnellschüssen beim Regierungsalltag nur noch gestört.
Schills Parteifreunde hätten sich so schnell nicht getraut, ihr Denkmal
selbst vom Thron zu stoßen. Auch wenn sie sich innerlich längst abgenabelt
hatten, offiziell hielten sie ihm in den vergangenen Monaten noch die Treue. Der
Bürgermeister hat ihnen jetzt die unangenehme Aufgabe abgenommen, den Chef auch
offiziell abzuservieren. Die klammheimliche Erleichterung unter den Schillianern
ist groß. Jetzt kann so Politik gemacht werden, wie sie es sich vorstellen. Der
ehemalige Popstar der Partei wird mit dem Titel des Ehrenvorsitzenden
abgespeist, der niemandem wehtut. Man kann das als reinen Machterhalt
verurteilen. Oder man nennt es Politikfähigkeit.
die tageszeitung
die tageszeitung vom 22.08.2003
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/ 2003-08-27
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