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Judentum und Israel
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Ted Honderich:
Bitte im Kontext

Ted Honderichs Kampf gegen die »zionistische Bedrohung«. Ein Hypertext...

Stefan Ripplinger

Prof. Dr. Ted Honderich?« werden die Gerechten fragen, »dieser tief moralische Prosecco-Sozialist soll ein Antisemit sein? Ist das nicht wieder so ein Fall, in dem die Zitate blindlings aus dem Zusammenhang gerissen werden?« Stimmt, ihr Gerechten, sollten wir Ungerechten da antworten. Wir müssen das nämlich alles im Zusammenhang oder, wie sagt man, im Kontext sehen. Wie schon Martin Walsers Antisemitismus im Kontext seines ironieschwangeren Werks so auch Honderichs Antisemitismus im Kontext des 11. September und der Linken, und wie Voltaires blutigen Antisemitismus im Kontext der Aufklärung so Himmlers praktizierten im Kontext des Mütterkults oder des Monopolkapitalismus. Ganz recht. Und die Kommentatoren, die nun gegen Honderich und Suhrkamp schreiben, sollten wir im Kontext ihrer israelfeindlichen Intelligenzblätter und ihrer suhrkamphudelnden Sophistereien sehen. Diese ganzen Kontexte ziehen wir dann zwanglos zusammen, und daraus ergibt sich ein, wie sagt man, Hypertext.

Micha Brumlik, »Brief an den Suhrkamp Verlag«: »Ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich in dem in manchen Aspekten durchaus lesenswerten, soeben publizierten Buch von Ted Honderich Nach dem Terror. Ein Traktat Auslassungen über den Staat Israel und den Zionismus lesen musste, die alles, was der inzwischen zu Tode gekommene Jürgen Möllemann von sich gegeben hat, bei weitem übertreffen.« Jürgen Habermas, »Erklärung einer Buchempfehlung«: »Ich glaube, dass mein Freund Brumlik ohne Augenmaß urteilt, wenn er Nach dem Terror mit Möllemanns Flugblatt und Walsers Roman (gegen dessen Veröffentlichung ich seinerzeit Stellung genommen habe) auf eine Stufe stellt.« Brumlik: »Mir schwante schon Übles, als ich auf Seite 51 so hanebüchenen Unsinn lesen musste, wie die Behauptung, dass zwischen 1989 und 1991 (!), also in zwei Jahren, 250 000 bis 400 000 sowjetische Juden auf arabischem Land (!) angesiedelt wurden.« Habermas: »Honderich stellt Fragen: ›Kann man annehmen, dass die Angriffe des 11. September rein gar nichts mit den uns bekannten Unterlassungen durch Amerika und uns selbst zu tun haben? Also nichts mit Malawi, Mozambique, Sambia und Sierra Leone? Ist es vorstellbar, dass letztere keinen notwendigen Kontext jener speziellen Absichten darstellen, die mit Palästina, dem Irak und Saudi-Arabien zusammenhängen?‹«

Edward Alexander, The American Spectator, Juni/Juli: »He stops a hair short of saying that bin Laden and his fellow idealists were justified in murdering thousands of people in order to feed millions.« Brumlik: »Honderichs subjektiv redliches Bekenntnis auf Seite 236 war gleichwohl nicht zu erwarten: ›Ich für meinen Teil habe keinen ernsthaften Zweifel, um den prominenten Fall zu nehmen, dass die Palästinenser mit ihrem Terrorismus gegen die Israelis ein moralisches Recht ausgeübt haben.‹« Habermas: »Brumlik bemängelt auch faktische Unrichtigkeiten. Dazu kann ich nichts sagen. Vor allem aber erhebt er den Vorwurf des Antisemitismus. Daraufhin habe ich mir die deutsche Übersetzung gestern Abend, wie ich gestehe, ängstlich durchgelesen. Die Person des Autors kenne ich nur flüchtig von einer professionellen Begegnung, im Text selbst finde ich aber für den Vorwurf keine Bestätigung.« Brumlik: »Nachdem der Suhrkamp Verlag mit Martin Walsers Tod eines Kritikers einen antisemitischen Roman publiziert hat, veröffentlicht er jetzt in seiner Jubiläumsreihe (!) einen politisch-philosophischen Traktat, der antisemitischen Antizionismus verbreitet, dabei die Ermordung jüdischer Zivilisten in Israel rechtfertigt und so – gemäß der strengen moralischen Logik des Autors Honderich – eben dies Tun auch zur Nachahmung empfiehlt.« Habermas: »Politische Äußerungen sind in hohem Maße abhängig vom Kontext.«

Ted Honderich, »Offener Brief an die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität zu Frankfurt/Main«: »Niemand kann mein Buch lesen und solche Dinge behaupten, sofern er nicht bereits dem ›Neuen Zionismus‹ angehört.« Stefan Reinecke, taz, 8. August: »Micha Brumliks Wort hat Gewicht. Er ist ein linker jüdischer Deutscher, der seit zwanzig Jahren gegen den Antizionismus der deutschen Linken gekämpft hat und gleichzeitig über jeden Verdacht erhaben ist, die israelische Politik schönzufärben. Sein offener Brief wirkt gleichwohl eher eilig als dringlich: ›Ich wähle diesen formlosen Weg‹, schrieb er an den Verlag, ›weil ich kurz vor meinem Urlaub stehe.‹ Nach Diktat verreist.« Honderich, Palestine Chronicle, 4. Dezember 2002: »The book has been seriously and respectfully received in meetings in nine universities here and in America, including Oxford and Columbia. There has been a litte Zionist fuss, but not much.« Reinecke: »Ist ›Nach dem Terror‹ antisemitisch? Nein – zumindest nicht im üblichen Sinne. Es gibt in dem Buch keinen Judenhass und keines der klassischen Ressentiments. Allerdings ist es voller Affekte gegen Israel, die in der forschen Rechtfertigung des Terrors gegen israelische Zivilisten kulminieren. Das ist etwas anderes als Antisemitismus – aber intellektuell nicht weniger blamabel.« Honderich: »The Palestinians are right to say they are the Jews of the Jews. (…) My view of the Palestinian? moral right to their terrorism is most confident with respect to the occupied territories, but I also extend it to Israel itself. (…) The rapist has no rights that bear significantly on the question of whether he should stop or be stooped. The analogy with Israel is not a wild one, but exact. (Der Protest gegen Cherie Blairs Satz, so lange junge Leute keine Wahl sähen, als sich selbst in die Luft zu sprengen, werde es keinen Fortschritt geben, sei hervorgerufen worden als) a result of Israeli and Zionist activity. There is no puzzle about that. Cherie Blair‘s statement did not elicit the response because people in general thought the comment was terrible. In fact, probably, most people thought the opposite.«

Habermas: »Allerdings gibt es auch verallgemeinernde Sätze, die mich bei der Lektüre aufstöhnen lassen: ›Als Hauptopfer von Rassismus in der Geschichte scheinen die Juden von ihren Peinigern gelernt zu haben.‹ Solche Sätze lassen sich, wenn man sie ohne hermeneutische Nachsicht aus dem Zusammenhang der Argumente löst, auch gegen die Intention eines Autors immer für antisemitische Zwecke verwenden.« Reinecke: »Falsch wäre es nun, wenn der Eindruck haften bliebe, dass Suhrkamp keine israelkritischen Bücher publizieren darf. Es gibt genug Gründe für fundierte, auch radikale Kritik an Israel.« Honderich, »Offener Brief«: »Solch katastrophale Vergehen an Wahrheit und Anstand sind mit akademischen Grundsätzen unvereinbar. Die einzig mögliche Konsequenz ist meines Erachtens, Micha Brumlik umgehend von den akademischen Positionen, die er bekleidet, zu entbinden.«

Denn Brumlik ist Teil des »Zionist threat« (Honderich). Das ist also der große Zusammenhang. Und Habermas und Honderich sind linke oder von mir aus linksliberale Philosophen in der Tradition der Aufklärung oder von mir aus des Humanismus, noch ein großer Zusammenhang. Wer einen Judenhasser findet, sollte nie den Kontext außer Acht lassen, in den er eingebacken ist. Und wer Honderich zur Hölle wünscht, vergesse nicht, die Suhrkampkultur, Habermasens hermeneutische Nachsicht und die ironieschwangere Tradition des aufgeklärten Mütterkults samt der fundierten und vor allem radikalen Israelkritik in den frommen Wunsch einzuschließen.

Jungle World
Jungle World Nummer 34 vom 13.August 2003

kt / hagalil.com / 2003-08-26

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