Henryk M. Broder:
»Sie haben ihre Antworten längst«
Die Attentate am 11. September 2001 in New York und
Washington seien von der CIA oder dem Mossad fingiert worden. Zahlreiche
Verschwörungstheoretiker versuchen, für diese These Indizien zu sammeln.
Darunter der Journalist Gerhard Wisnewski, der seine Ansichten auch in einem
WDR-Beitrag verbreiten durfte. Ende Juni trat er mit Gleichgesinnten bei der
Veranstaltung »Der inszenierte Terrorismus« auf. Am 7. September will der
gleiche Kreis weitere »offene Fragen« zum 11. September stellen...
Ivo Bozic befragte den Publizisten Henryk M. Broder
Laut einer Umfrage traut jeder dritte Deutsche unter dreißig der US-Regierung
zu, die Attentate am 11. September fingiert zu haben. Offensichtlich haben
Verschwörungstheorien Konjunktur. Wie erklären Sie sich das?
Ich bin selbst überrascht über diese Konjunktur. Und vor allem darüber, dass
Verschwörungstheorien nach und nach in der Mitte der Gesellschaft anzukommen
scheinen. Kaum waren die Flugzeuge in die Twin Towers gekracht, machte schon die
»Nachricht« die Runde, 4 000 Juden seien nicht zur Arbeit in das WTC gekommen,
also sei doch schon klar, wer dahinter stecke. Warum glauben Leute, die
ansonsten alles kritisch hinterfragen, einen solchen Dreck? Weil sie ihn glauben
wollen. Da ist eine Prädisposition vorhanden, die gefüttert und gestärkt werden
will. Als ob es irgendwo in Amerika einen Schalter gibt, wo man sich vor seinem
Arbeitsantritt unter Angabe seiner Religionszugehörigkeit einzuchecken hat. Da
sieht man doch, wie absurd eine solche »Nachricht« ist.
Sehen sie Parallelen zu anderen Verschwörungstheorien.
Es hat in der Bundesrepublik viele Verschwörungstheorien gegeben. Die
schönste ist die, dass die Gaskammern nach dem Krieg gebaut worden seien, um den
Deutschen die Schuld an etwas zu geben, was sie nie getan hätten. Und da sehe
ich in der Tat Parallelen zu den Verschwörungstheorien rund um das WTC. In den
60ern und 70ern gab es obszöne Debatten, welche Kapazität die Gaskammern gehabt
hatten, ob sie überhaupt so viele Leute »verarbeiten« konnten. Und dass die
Asche der Toten, zu einem Berg aufgehäuft, etwa die Höhe der Zugspitze erreicht
hätte, wenn es sie denn gegeben hätte. Und heute noch will Horst Mahler nach
Auschwitz fahren, um die Beschaffenheit der Gaskammern zu prüfen.
Geht es darum, Unvorstellbares erklärbar zu machen?
Ich glaube, es geht nicht darum, das Unerklärliche zu erklären. Das kann man
anders machen. Der Kern aller Verschwörungstheorien ist eine Weltsicht, die
begründet werden will. Wenn Leute wie Wisnewski sagen: »Wir fragen ja nur«, dann
stimmt das nicht. Sie haben ihre Antworten längst.
Das ist der Unterschied zu einem jederzeit notwendigen Misstrauen gegenüber
Regierungen und Medien.
Überall bleiben offene Fragen. Das Kennzeichen von Verschwörungstheorien ist,
dass sie geschlossen sind und auf alles eine Antwort haben, wenn auch oft nur
unterschwellig.
Hat das etwas damit zu tun, dass die Welt immer komplexer erscheint?
Die Welt war immer komplex, und es gab immer das Bedürfnis, alles erklären zu
können. An Nostradamus wird ja heute noch geglaubt. Es gibt natürlich ein frei
schwebendes Bedürfnis nach dem Metaphysischen, das institutionell nicht mehr
befriedigt wird. Die Kirchen sind moralisch bankrott. Also kristallisieren sich
diese Bedürfnisse andernorts. Als die Aids-Epidemie ausbrach, gab es sofort
Verschwörungstheorien, wer dahinter stecken könnte. Für die einen waren es die
Bolschewiken, für andere die Juden, die Kirchen oder die CIA. Es gibt auch das
Bedürfnis, diejenigen, die man nicht leiden kann, für Katastrophen
verantwortlich zu machen.
Was sind Verschwörungstheoretiker für Leute?
Alle Leute, die ich kenne, und die Verschwörungstheorien anhängen, sind
gescheiterte Existenzen, Leute die glauben, dass sie um etwas betrogen wurden,
dass sie es besser verdient hätten, dass das Leben nicht fair zu ihnen war. Für
ihr eigenes Scheitern machen sie dunkle Mächte verantwortlich und übertragen das
dann völlig unbedacht auf die globale Situation. Sehen Sie sich Wisnewski an,
der sich bis zur Selbstentblößung präsentiert, indem er über sich selbst in der
dritten Person schreibt und sich auf seiner Homepage als »Terrorismusexperten«
vorstellt, der er gerne geworden wäre, aber leider nicht ist. Ausgerechnet er
hat für alles eine Erklärung. Für ihn ist es ein Trost, dass die Welt so
funktioniert, wie ihm selbst mitgespielt worden ist.
Vor ein paar Jahren hätte man ihn ausgelacht, heute füllt er große Säle und
darf sich beim WDR austoben.
Dass so jemand Säle füllt, finde ich nicht erstaunlich. Bei Erich von Däniken
war auch stets der Saal voll. Irre gibt es immer genug. Neu ist die wachsende
gesellschaftliche Akzeptanz.
Könnte das daran liegen, dass der Hass auf die Amerikaner zur Zeit im Trend
liegt?
Ja, der sitzt viel tiefer, als wir alle angenommen haben. Tief im deutschen
Gemüt sitzt die Beleidigung, gekränkt worden zu sein durch die Befreiung vom
Faschismus. Ich glaube, dass der Antiamerikanismus teilweise an die Stelle des
Antisemitismus getreten ist, als Bindemittel nationaler Emotionen. Je schuldiger
die Amerikaner werden, desto unschuldiger werden die Deutschen.
Auch in den USA gibt es eine weit verbreitete Skepsis bezüglich der Anschläge
vom 11. September. Auch dort traut man der eigenen Regierung zu, diese Anschläge
angezettelt zu haben.
Amerika ist praktisch das Ursprungsland der Verschwörungstheorien. Für
Bröckers und Wisnewski wäre das dort das Paradies. Wenn sie nicht solche
Amerikahasser wären, hätten sie sich längst nach drüben verzogen. Der
entscheidende Unterschied ist: In Deutschland verknüpft sich das mit dem
Bedürfnis nach Unschuld, dem Bedürfnis, Opfer statt Täter zu sein. In den USA
entspringt es eher einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber der Regierung.
Ein solches Misstrauen wird hierzulande besonders bei der radikalen Linken,
aber auch bei der radikalen Rechten gepflegt. Dort finden auch
Verschwörungstheorien, gerade antiamerikanische, großen Anklang.
Radikale Linke wie Rechte leben davon, dass sie Rezepte haben, wie die Welt
geheilt werden könnte. Oftmals sehr einfache und einleuchtende Rezepte. Und
erstaunlicherweise nimmt die Bevölkerung diese Rezepte nicht an. Ähnlich wie bei
den persönlich gescheiterten Existenzen, können Linke wie Rechte ihr Scheitern
nicht erklären. Sie müssen dafür andere verantwortlich machen: ein böses
Verschwörungskonzept.
Während sich die Linke an der Aufklärung orientierte, hat die Rechte schon
immer Ambitionen zu Mythologie, Okkultismus, Weltverschwörungen. Seit wann ist
dies auch ein Phänomen der Linken?
Da täuscht die Perspektive. In der Linken gab es das auch. Als ich selbst
noch in linken Gruppen tätig war, versuchten wir, den Menschen zu sagen, was die
falschen und was die richtigen Bedürfnisse seien. Komischerweise haben die nicht
auf uns gehört. Die katholische Kirche macht in solchen Fällen den Teufel
verantwortlich, die Linke die Medienverführung – irgendwie muss man das ja
erklären können. Auch der Zusammenbruch der DDR war von verschiedenen
Komplotttheorien begleitet. Ein Land, das so haushoch überlegen war, ist in nur
wenigen Tagen kollabiert! Das kann ja nicht mit rechten Dingen zugegangen sein!
Ist der Antisemitismus ein grundlegendes Motiv jeder
Weltverschwörungstheorie?
Der Antisemitismus ist ein integraler Bestandteil der europäischen Kultur.
Man kann das prima testen: Sagen Sie in einer Runde zu Ihren Freunden, an allem
seien die Juden und die Radfahrer schuld. Neun von zehn werden fragen: Warum die
Radfahrer? Dem Phantasma der jüdischen Weltherrschaft ist mit keiner Aufklärung
beizukommen, es ist Teil des kollektiven Bewusstseins.
Jungle World
Jungle World Nummer 34 vom 13.August 2003
kt /
hagalil.com
/ 2003-08-26
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