nationalsozialistisches Heldengedenken:
Neonazis mobilisieren zu Heß-Gedenkmarsch
In den vergangenen Jahren hob die Justiz Aufmarschverbote
in Wunsiedel in letzter Sekunde auf...
Hans Daniel
Mit dem Segen höchster bayerischer Gerichte und dem Freibrief des Innenministers
des Freistaates, Günther Beckstein (CSU), versehen, rüsten Verbände der
bundesdeutschen Neofaschisten für den 16. August zum Aufmarsch in der
fränkischen Stadt Wunsiedel, um dort wieder einmal den hier beerdigten, im
Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß 1946 zu lebenslanger Haft verurteilten
Stellvertreter des »Führers«, Rudolf Heß, zu feiern. Der wegen »Planung eines
Angriffskrieges« und »Verschwörung gegen den Weltfrieden« Verurteilte war am 17.
August 1987 im Kriegsverbrechergefängnis Berlin-Spandau gestorben.
Nach Agenturberichten hat das Landratsamt Wunsiedel Mitte Juli zwar den
Aufmarsch verboten, dies sei aber, so wird weiter gemeldet, »in den letzten
beiden Jahren durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof jeweils in letzter
Minute wieder aufgehoben worden«. Tatsächlich hatten im August 2001 erstmals
nach zehn Jahren wieder bayerische Gerichte unter Verweis auf das »Recht der
freien Meinungsäußerung« den Aufmarsch genehmigt. Auch 2002 waren
Verbotsverfügungen der örtlichen Behörden von den Gerichten aufgehoben worden.
Innenminister Beckstein, der bislang alle Forderungen von Verbänden der
Naziverfolgten nach einem generellen Verbot der »Gedenkmärsche« zurückgewiesen
hat, will nach einer Meldung der Welt am Sonntag unter Hinweis auf fehlende
Rechtsbestimmungen erneut auf ein Eingreifen verzichten. Er stellt sich damit
wiederum gegen die Öffentlichkeit der Stadt. Deren Bürgermeister Karl-Willi Beck
kündigte Gegenaktionen an und erklärte. »Wir wehren uns dagegen, daß unser
Wunsiedel in irgendeiner Weise mit dem unsäglichen Dritten Reich in Verbindung
gebracht wird.« Auch die Gewerkschaft der Polizei spricht von einer »der
Glorifizierung einer nationalsozialistischen Symbolfigur dienenden
Schauerveranstaltung«.
Versehen mit amtlich zugestandenem Recht auf freie Meinungsäußerung und
staatlicher Abstinenz hatten »Nationale Sozialisten« im vergangenen Jahr schon
verkündet, daß es nun wieder möglich sei, »für die bekannteste Symbolfigur des
Nationalsozialismus nach Adolf Hitler« zu demonstrieren. Spott ergoß sich über
den Landrat, dem nach dem für die Rechten positiven Gerichtsentscheid nur noch
der Erlaß von Auflagen, darunter auch die Änderung der Marschroute geblieben
war. Damit behindert die Justiz alle, die etwas gegen Aufmärsche dieser Art
unternehmen. Auch dieses Jahr drohen die Neofaschisten zu triumphieren. Für 2003
sei mit weitaus mehr Teilnehmern zu rechnen, »da auch im europäischen Ausland im
kommenden Jahr mit einer wesentlich stärkeren Mobilisierung zu rechnen ist.«
Mobilisiert wird vor allem über das Internet zum »Trauermarsch mit
Rahmenprogramm«. Auf das Zeigen von »zeitgenössischen Abbildern« von Heß solle
beim Marsch verzichtet werden. Es gilt die Order: striktes Alkoholverbot, keine
strafbare Uniformierung, kein Mitführen von Kampfhunden. Die Kampfhunde
allerdings sind jetzt schon auf der Homepage von »Widerstandnord« von der Leine.
Bürger der Stadt, die öffentlich gegen den Aufmarsch protestiert und
Gegenveranstaltungen angekündigt haben, werden als »dümmlich, abgestorben und
mit einem krankhaften Verhältnis zur eigenen Geschichte« geschmäht. Das gelte
»für die Kirche und so manchen Knieabrutscher«, sei er nun Kirchenvorstand wie
der Landrat Peter Seißer oder »eine Diakonissin wie Andrea Heussner, die mit
ihrer Ausstellung ›Gegen das Vergessen‹ offensichtlich in eine geistige
Umnachtung hineingestolpert ist«.
Junge Welt
Jznge Welt vom 23.07.2003
kt /
hagalil.com
/ 2003-07-26
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