Freier Knast:
In der KZ-Gedenkstätte Neuengamme wird die JVA abgerissen
Es klingt merkwürdig, wenn ein Hamburger
Regierungsvertreter 58 Jahre nach der Befreiung des faschistischen
Konzentrationslagers Neuengamme nahe Hamburg in diesen Tagen erklärt, man wolle
nun »auf dem Gelände ein würdiges Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus
ermöglichen«...
Hans Daniel
Am 30. Juni sagte das der Justizsenator der Hansestadt, Roger Kusch (CDU). An
diesem Tag war, so meldeten die Agenturen, »das umstrittene Gefängnis« auf dem
Gelände des ehemaligen KZ geschlossen und an die Gedenkstätte übergeben worden.
Fast genau 55 Jahre nach der Grundsteinlegung dieses Gefängnisbaus gehen nun
Abrißbagger ans Werk, um dieses »Schandmal« am »furchtbarsten Ort Hamburgs« zu
beseitigen. Etwa 105000 europäische Häftlinge haben die Hölle Neuengamme
durchleben müssen. An die 50000 wurden ermordet.
Gedenken wird an diesem Ort nicht erst jetzt möglich, wie es der Senator
ankündigte. Massiver Druck der Öffentlichkeit, vor allem engagierter
antifaschistischer Personen und Organisationen, sorgte längst dafür, daß die von
den Regierenden jahrelang verdrängte Geschichte des Lagers ans Licht gebracht
wurde. Neuengamme galt, stellte das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt am
25.Oktober 1981 fest, als »vielleicht eines der eklatantesten Beispiele der
Nachkriegszeit für Vergessen und Verdrängen«.
Das war offizielle Senatspolitik. Nach Aufgabe des Lagers als
Internierungsstätte für faschistisches Führungspersonal durch die britischen
Truppen sahen die Behörden »eine selten günstige Gelegenheit«, nun ausgerechnet
auf diesem Gelände eine Justizvollzugsanstalt (JVA) zu bauen und dies als Akt
der Vergangenheitsbewältigung darzustellen. So schrieb der Hamburger
Oberlandgerichtsrat Buhl allen Ernstes am 21.Oktober 1947 an den Senat: »Das
Schandmal der Vergangenheit möge ausgelöscht werden und Neuengamme uns eine
Verpflichtung zur Wiedergutmachung bedeuten, die wir willig übernehmen, um aus
dieser Anstalt nunmehr eine vorbildliche Anstalt der Menschlichkeit und des
modernen Strafvollzugs zu schaffen.« In einem weiteren Schreiben der
Justizbehörden vom Oktober 1947 wurde nachgelegt: »...Neuengamme lastet wie ein
Fluch auf Hamburgs Gewissen, seiner Ehre und seinem Ruf. Der Ruf seiner
Unmenschlichkeit und die grauenhaften Schrecken des Lagers müssen ausgelöscht
werden aus der Erinnerung unserer Zeit. Hierzu wird jetzt Gelegenheit geboten,
nämlich eine vorbildliche Gefangenenanstalt aufzubauen...«
Dafür aber wurde erst mal abgerissen, um Platz zu schaffen für ein
»architektonisch eingepaßtes Zellengebäude«. Auch die Wachtürme wurden
gesprengt. Am 6. September 1948 wurde bei der feierlichen Grundsteinlegung die
Flagge der Freien und Hansestadt auf dem Turm der ehemaligen SS-Hauptwache
gehißt. Keine drei Jahre später lehnte Bürgermeister Max Brauer (SPD) im Juni
1951 den Vorschlag ehemaliger französischer Häftlinge ab, am Ort des
KZ-Krematoriums eine Gedenkveranstaltung abzuhalten. Die »Schaffung eines
Wallfahrtortes« beeinträchtige den Gefängnisbetrieb. Zudem würden »die
Wallfahrer bei ihrem Besuch keine Spuren des ehemaligen KZ-Lagers mehr auf dem
Gelände einer inzwischen neu errichteten Gefängnisanstalt vorfinden«. Im übrigen
sollten die Franzosen nicht »an alten Wunden« rühren, sondern »die furchtbaren
Entsetzlichkeiten der vergangenen Epoche... allmählich aus der lebendigen
Erinnerung auslöschen.« (Siehe auch jW vom 8./9. Dezember 2001, Seite 10: »Das
vergessene KZ«)
50 Jahre nach Brauers Forderung an einstige Häftlinge, sich doch die
Vergangenheit endlich aus dem Kopf zu schlagen und den neuen Knast als
Wiedergutmachung für Erlittenes dankbar zu akzeptieren, gerieten Neuengamme und
der Hamburger Senat erneut in den öffentlichen Blickpunkt. Im Rahmen eines
Konzepts zur Neugestaltung der Gedenkstätte hatte die Bürgerschaft am 5.
September 2001 auf Druck deutscher und internationaler Verfolgtenorganisationen
beschlossen, die Justizvollzugsanstalt innerhalb der Gedenkstätte endlich zu
schließen und anderes, von der Justiz genutztes Gelände zu räumen. Nach den
Bürgerschaftswahlen vom 25. September 2001 kam eine neue Landesregierung unter
Beteiligung der Partei von Ronald Schill ans Ruder - und die hatte nicht
dringlicheres zu tun, als auf Drängen des Führers der Partei Rechtstaatliche
Offensive im Koalitionsvertrag festzuschreiben, daß die JVA doch nicht
geschlossen werde, was das Aus für die Umgestaltung Neuengammes bedeutet hätte.
Schills Geschoß (siehe jW vom 5. und 28. November 2001) erregte internationales
Ärgernis. Der Senat mußte schließlich zurückrudern. Nun ist die Anstalt zum
ursprünglichen von der Bürgerschaft festgelegten Termin geschlossen worden. Die
Bagger können ans Werk gehen. Und der von der Öffentlichkeit zurückgezwungene
Senat feiert sich.
Junge Welt
Junge Welt vom 16.07.2003
kt /
hagalil.com
/ 2003-07-26
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