Diskussionen:
Kein Lied geht um die Welt
Nach französischem Vorbild wünscht sich Wolfgang Thierse
eine Quote für einheimische Musik...
Jens Thomas
Die Deutschen sollen gefälligst mehr deutsche Musik hören. Diese Forderung wird
hierzulande immer wieder laut. Angefangen bei Heinz Rudolf Kunze, der bereits
1996 in einem Spiegel-Interview Heimatklänge durch eine Quote verlangte, über
Dieter Thomas Heck, der sich im Musikexpress räusperte und erklärte, man müsse
es den Menschen »eben per Gesetz zeigen«, bis zum kürzlich fehlgeschlagenen
Versuch des CSU-Politikers Erwin Huber, den Bayrischen Rundfunk per Gesetz zum
Senden deutscher Titel zu zwingen. Ein »Alpenradio«, so Huber, habe er nicht im
Sinn, aber eins, das aktuelle einheimische Produktionen bevorzuge.
Nun hat auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) eine Radioquote für
deutsche Produktionen gefordert. Am 12. Juni ließ er zum Auftakt der 53. Bad
Hersfelder Festspiele verlauten, deutschsprachige und in Europa produzierte
Musik habe in deutschen Radios eine viel geringere Chance als englischsprachige
aus den USA. Darum neige er zu einem Experiment wie in Frankreich. Dort müssen
seit 1996 Musiksender zwischen 6.30 und 22.30 Uhr vierzig Prozent ihrer Auswahl
aus französischer Produktion bestreiten. Es gehe ihm bei seiner Forderung jedoch
keineswegs um nationales Pathos, sondern um die Verteidigung der kulturellen
Vielfalt Europas.
»Fast alle Stationen – auch die öffentlich-rechtlichen – senden inzwischen ein
Musikprogramm, das dem – angeblichen – Massengeschmack entspricht, sich
jedenfalls vor allem an den globalen Verwertungsinteressen der Produzenten
orientiert. Für Sperriges, Unkonventionelles dagegen gibt es oft keinen
Sendeplatz«, behauptet Thierse und kündigt die Einsetzung einer
Enquete-Kommission zur Situation der Kultur in Deutschland an, die im Herbst mit
einer Bestandsaufnahme beginnen soll.
Ein bisschen drängt sich der Verdacht auf, als nutze Thierse die von Jürgen
Habermas und Jacques Derrida entfachte Diskussion um ein neues europäisches
Selbstbewusstsein, das sich in Abgrenzung gegen den »hegemonialen
Unilateralismus der Vereinigten Staaten« definiert, um die alte Quotendebatte
wieder zu beleben. Gezielt stellt er eine bedrohte europäische Pluralität der
amerikanischen Dominanz gegenüber. Warum, fragt Thierse, solle man dem drohenden
Verlust dieser Vielfalt tatenlos zusehen?
Die von Thierse initiierte Diskussion setzt auf einen Mentalitätswechsel:
Amerikanische Kultur wird im Zuge des politischen Hegemonialstrebens aus dem
Pentagon zunehmend als übermächtig abgelehnt. Das Empfinden aus einer Zeit, als
Rock’n’ Roll und Jazz in den Endsechzigern gerade darum so befreiend wirkten,
wie Klaus Theweleit schreibt, weil es sich um »undeutsche Sprachen« handelte,
scheint sich zu verflüchtigen.
Allerdings ist die Ablehnung amerikanischer Kulturprodukte zumeist reine
Rhetorik und findet keine Entsprechung im Verhalten der Konsumenten und
Rezipienten. Hollywood-Großproduktionen wie »Matrix« und US-amerikanische Rapper
wie Eminem sind Bestandteile der Massenkultur.
Oft wird die Quotenforderung mit rein wirtschaftlichen Argumenten
gerechtfertigt, um die dahinter liegende nationalistische Motivation zu
verschleiern. Eine Quotierung, heißt es, diene der Förderung deutscher und nun
eben auch europäischer Interpreten. Und gerne richtet man dabei den Blick nach
Frankreich. Dort konnten die Umsätze durch den Zuwachs nationaler Produktionen
um fast zehn Prozent gesteigert werden, wie aus einer Studie von Media Control
hervorgeht. Dabei beruht der Erfolg französischer Radiosender wohl weniger auf
der Abwehr angloamerikanischer Musik mit Hilfe der Quote, sondern ist vor allem
ein Resultat einer gezielten Künstlerförderung durch die Musikkonzerne und
Labels. Und auch wenn das Oktroyieren einheimischer Klänge verkaufsfördernde
Wirkung haben sollte, was nicht erwiesen ist, wird es hierzulande kaum zu einem
solchen Effekt wie in Frankreich kommen: Im Vergleich zu deutschen Texten sind
frankophone durch das Erbe des Chansons schon immer populär gewesen. Auch sind
sie an ein globales Publikum adressiert, Französisch wird überall gesprochen.
Die deutsche Sprache dagegen ist auf einem global agierenden Musikmarkt einfach
nicht wettbewerbsfähig.
Die Franzosen versuchten 1996, mit dem Chanson in die Weltoffensive zu gehen, so
der damalige französische Kulturminister Jacques Toubon. Natürlich spielte da
auch kultureller Größenwahn mit nationalistischen Anwandlungen eine Rolle.
Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen beiden Ländern, der darauf verweist,
dass das französische Quotenmodell nicht auf hiesige Verhältnisse übertragbar
ist. Die französische Sprache wirkt integrierend, und so speist sich der Erfolg
frankophoner Musik vor allem aus dem Segment HipHop. Dieses Genre, allen voran
die Medienstars Iam (Marseille) und MC Solaar (Paris), repräsentiert gerade auch
die französischen Vorstädte, die so genannten »banlieues«, in denen die sozial
stigmatisierten »beurs«, die Generation nordafrikanischer Einwanderer aus den
Staaten des Maghreb, leben. Das Französische als Widerspiegelung der politischen
Kultur bindet den Bürger in eine »politische Gemeinschaft mit ein«, wie es der
Schriftsteller und Philosoph Ernest Renan formuliert hat, zu der der Bürger per
Geburt (»ius soli«) zählt und zu der sich alle Bürger Frankreichs mehr oder
minder bekennen.
In Deutschland funktioniert das anders. Von einer politischen Integration
migrantischer Kulturen ist die Gesellschaft noch weit entfernt, ist sie doch –
trotz der Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft – noch in weiten Teilen
vom »ius sanguinis«, dem 1913 formulierten Staatsbürgerschaftsrecht, geprägt,
welches sich auf Basis blutsinduzierter Abstammung begründet. Die Fixierung auf
die Abstammung hat Auswirkungen: So folgern die Migrationsforscher Hartmut Esser
und Jürgen Friedrichs, dass sich hierzulande immer mehr Migranten in die im
Herkunftsland gesprochene Sprache flüchten, weil sie sich nicht integriert
fühlen.
Eine Quotierung deutscher Klänge würde darum nationales Pathos sehr wohl
unterstreichen, sie hätte kaum integrative Wirkung. Auch ist die Präsenz
deutschsprachiger Musik keineswegs so gering, wie gerne behauptet wird. So ergab
eine vom Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin in Auftrag gegebene Studie im
Jahr 2002, dass sich der Anteil deutschsprachiger Titel hierzulande bei
Schlagern, Oldies und Volksmusik zwischen 85 und 95 Prozent bewegt. Bei Rock und
Popmusik allerdings liegt der Anteil zwischen zehn und 20 Prozent.
Umfragen zeigten, dass Franzosen überwiegend für eine heimische Quote sind,
während die Deutschen eher Verordnungen zum Abspielen von Heimatklängen
ablehnen. Diese Akzeptanz englischsprachiger Globalkultur spiegelt sich auch in
den Programmen der Radiostationen wider. Schließlich repräsentieren deren
Angebote die Wünsche der Hörer. Sie verfügen über Marktforschungsinstrumente,
die die Geschmäcker analysieren. Denn auch die Sender sind daran interessiert,
durch eine breite Hörerschaft hohe Einschaltquoten zu erzielen.
Und überhaupt: Wie soll das Deutschsein oder Aus-deutscher-Produktion-Sein
definiert werden? Sind deutsche Bands, produziert in Deutschland aber mit
nichtdeutschem Gesang, deutsch? Oder müssen sie nur deutsch singen, dürfen aber
im Ausland produziert werden? Die Debatte darüber wird eine Definitionslawine
ins Rollen bringen, was als deutsch gilt und was nicht. Und wollen die von
Thierse angesprochenen Interpreten überhaupt per Quote vereinnahmt werden, wo
Thierse doch Sendeplätze gerade für »Sperriges, Unkonventionelles« fordert?
Frank Spilker, Sänger der Band Die Sterne, verneint: »Was wäre das für ein
Hemmschuh für die von uns geplanten Hits in chinesischer Sprache – wir hätten
keine Chance mehr.«
www.jungle-world.com
Jungle World (Nummer 28 vom 02.07.2003)
kt /
hagalil.com
/ 2003-07-04
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