Gedenkstätte KZ Lety:
Schweine und Kosten
Auf dem Gelände des ehemaligen KZ Lety werden Schweine
gezüchtet. Roma-Verbände protestieren seit langem dagegen...
Jörg Kronauer
In dem tschechischen Dorf Lety wird jedes Jahr im Mai der Roma gedacht, die
zwischen 1940 und 1943 im dortigen Konzentrationslager ermordet oder von dort
nach Auschwitz verschleppt wurden. Jedes Jahr umgibt die Trauernden, darunter
Überlebende des Lagers, bestialischer Gestank. Denn auf dem KZ-Gelände in Lety
steht seit den siebziger Jahren eine Schweinefarm. Und die stinkt.
Roma-Verbände protestieren seit Jahren gegen den unhaltbaren Zustand. Erst
kürzlich hat Cenek Ruzicka, der Vorsitzende des Ausschusses für die
Entschädigung des Roma-Holocaust, die Forderungen bekräftigt: Die Schweinefarm
muss endlich abgerissen werden; an ihre Stelle solle ein würdiges Mahnmal für
die KZ-Opfer treten. Ein selbstverständlicher Wunsch, dessen Verwirklichung
überdies durch internationale Vereinbarungen festgelegt ist. Die Tschechische
Republik ist verpflichtet, alle ehemaligen Konzentrationslager auf ihrem
Territorium als Gedenkstätten zu erhalten.
Die Regierung in Prag hat sich inzwischen mehrfach mit dem Fall Lety
beschäftigt, herausgekommen ist dabei fast nichts. »Die Kosten sind das
Hauptargument der Regierung«, klagt Gwendolyn Albert, die sich seit Jahren für
die Belange der Roma einsetzt. Der Staat könne es sich angeblich nicht leisten,
die Schweinefarm zu kaufen und abzureißen. Viele halten das für eine Ausrede.
Kritische Stimmen vermuten einen anderen Grund hinter der Untätigkeit der
Regierung. Lety war das einzige KZ im »Protektorat Böhmen und Mähren«, das
ausschließlich von Tschechen betrieben wurde. Es erinnert deshalb nicht nur an
die Folgen der deutschen Okkupation, sondern ebenso unangenehm an die
Diskriminierung der Roma und an die Kollaboration, die es eben auch im
Protektorat gab.
In Betrieb genommen wurde das KZ Lety im Frühjahr 1939. Seine Vorgeschichte ist
allerdings um einiges älter; sie umfasst die jahrhundertelange Diskriminierung
der Roma im Habsburgerreich, speziell im Königreich Böhmen. Die Regierung der
noch jungen Tschechoslowakischen Republik reagiert auf den wachsenden
Antiziganismus im Jahr 1927 mit einem Gesetz, das als Versuch zur
»Zivilisierung« der Roma ausgegeben wird und deren bürgerliche Freiheitsrechte
einschränkt. Immer wieder kommt es auch zu Übergriffen.
Im Herbst 1938 folgt die entscheidende Wende. Die Wehrmacht besetzt das
»Sudetenland«, polnische Truppen annektieren das Industriegebiet bei Cesky
Tesin, Ungarn erhält die Südslowakei zugesprochen. Frantisek Chvalkovsky, der
neue Außenminister des geschwächten Staates, der gerade 30 Prozent seiner
Bevölkerung und 40 Prozent seines Bruttosozialprodukts verloren hat, wird nach
Berlin zitiert; dort verspricht er dem »Führer«, er werde »in Zukunft eine
Politik der engsten Zusammenarbeit mit Deutschland verfolgen«.
Die Roma bekommen das rasch zu spüren. Am 2. März 1939 beschließt die
tschechoslowakische Regierung nach Berliner Vorbild strenge Gesetze gegen die
tschechischen Roma. Wer keinen festen Wohnsitz und keine geregelte Erwerbsarbeit
nachweisen kann, soll – nach dem Vorbild der deutschen »Zigeunerlager« –
interniert werden. Das Gesetz wird am 28. April 1939 vervollständigt, jetzt
schon von der Regierung des deutschen »Protektorats Böhmen und Mähren«.
Mit dem 1940 in Lety errichteten KZ wurden die Bestimmungen von 1939 umgesetzt;
ohne deutsche Hilfe, allein von den Protektoratsbehörden und den tschechischen
Kollaborateuren. Die Behandlung der Roma durch das tschechische Lagerpersonal
soll, so berichten Überlebende, besonders grausam gewesen sein. Die Angaben über
die Anzahl der Todesopfer schwanken; meist ist von mehr als 300 Ermordeten und
fast 600 nach Auschwitz Deportierten die Rede.
»Die gesamte Geschichte des Lagers«, berichtet der Schriftsteller Paul Polansky,
»ist in den Archiven von Lety festgehalten.« Erforscht ist das wohl am besten
dokumentierte tschechische KZ aber kaum. Als Polansky sich zu Beginn der
neunziger Jahre für Lety zu interessieren begann, stieß er auf eine Mauer des
Schweigens. Die Zeitzeugen erinnerten sich an nichts, die Archivmaterialien
lagen unter Verschluss.
Gwendolyn Albert nennt den in Tschechien weit verbreiteten Antiziganismus als
Ursache dafür. Nach einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Umfrage bekennen
sich drei Viertel aller Tschechinnen und Tschechen zur »Intoleranz gegenüber den
Roma«. Romakinder müssen oft Sonderschulen besuchen, weil sie nicht Tschechisch
als erste Sprache sprechen. Im Herbst 1999 konnten die Behörden von Ústí nad
Labem nur von der Regierung daran gehindert werden, ein von Roma bewohntes
Wohngebiet mit einer meterhohen Mauer vom Rest der Stadt abzutrennen. Auch die
Gewalt gegen Roma nimmt zu – allein zwischen 1990 und 1998 wurden zehn Roma
ermordet, meist von Naziskins.
An Alberts Vermutung mag vieles dran sein; die ganze Wahrheit ist sie nicht. Als
der polnische Staatspräsident im Juli 2001 eingestand, 1941 seien Polen am
Pogrom von Jedwabne beteiligt gewesen, da frohlockte die deutsche Presse: Es
seien eben nicht »nur die Deutschen« die Täter. Derlei Gleichmacherei droht auch
bei einer öffentlichen Debatte über Lety. In der Tschechischen Republik, die
sich verzweifelt gegen die Nivellierung der Geschichte in der Debatte um die
Umsiedlung der Deutschen wehrt, weckt das böse Ahnungen.
Eine Einmischung aus Deutschland ist beim Thema Lety ohnehin unangebracht.
Schließlich führte gerade die »Politik der engsten Zusammenarbeit mit
Deutschland« zur Errichtung des KZ und zur Ermordung der tschechischen Roma. Wer
sich gegen Antiziganismus wendet, hat in Deutschland genug zu tun. Nicht die
tschechische, sondern die deutsche Grenzpolizei hindert tschechische Roma
regelmäßig an der Ausreise; nicht in Tschechien, sondern in Köln werden Roma
inzwischen wieder in Lagern untergebracht. Und der Kölner Express
veröffentlichte vor einem Jahr unter dem Titel »Die Klau-Kids von Köln«
steckbriefartige Fotos von 53 Romakindern.
Jungle World
Jungle World (Nummer 30 vom 16.07.2003)
kt /
hagalil.com
/ 2003-07-25
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