Rechtsrockband Landser:
Kahl rasiert auf der Anklagebank
Laut Bundesanwaltschaft ist die Neonazi-Band Landser eine
kriminelle Vereinigung. Die Prozesstage im Kammergericht sind für die rechte
Szene Ereignisse: Wenn der Richter CDs vorspielen lässt, steigt unter den Skins
im Saalpublikum die Stimmung...
Heike Kleffner
Das Publikum im Saal 145 des Kammergerichts hat sich herausgeputzt. "Odins
Krieger" hat sich eine Jungglatze in den Nacken tätowieren lassen. "Hate keeps
me warm", lautet die Botschaft, die ein Kahlgeschorener auf seinem T-Shirt an
der Sicherheitsschleuse vorbeiträgt. Im Flur macht er Platz für eine knappes
Dutzend Männer Mitte dreißig. Sie tragen ihre massigen Bierbäuche wie Trophäen
vor sich her und schieben breitbeinig germanische Mythengestalten auf
Schienbeintattoos durch die Halle des Kammergerichts. Jeden Dienstag und
Mittwoch halten sie hier Hof, Berlins älteste Neonazigruppierung, die
"Vandalen".
In ihrer Mitte: Michael R., ein schmächtiger Enddreißiger im blau-weiß karierten
Holzfällerhemd. Ein knappes Jahrzehnt lang soll der Mann mit dem Spitznamen
"Luni" - eine Abkürzung für die russische Wodkamarke "Lunikoff" - den Takt
vorgegeben haben in Deutschlands bekanntester Neonaziband namens Landser. Nun
steht R. nicht mehr vermummt auf improvisierten Bühnen in Jugendclubs, sondern
sitzt stumm mit seinen beiden mutmaßlichen Mitspielern auf der Anklagebank im
Kammergericht.
Die Bundesanwaltschaft wirft Michael R. vor, als mutmaßlicher Sänger von Landser
"Rädelsführer" in einer kriminellen Vereinigung gewesen zu sein. Sein ehemaliger
Freund André M., der mit Vorliebe in schwarzem Anzug und schwarzem Hemd
erscheint, soll dabei die Bassgitarre gespielt haben. Auch der jüngste des
Trios, der 27-jährige mutmaßliche Schlagzeuger von Landser, gibt sich mit Hemd
und Markenjeans trotz kahl rasiertem Kopf bürgerlich: Als Polizeibeamte der
Sondereinheit "Politisch motivierte Straßengewalt" (PMS) von der biederen
Ordnung in seiner Wohnung und den Kinderfotos mit Landser-T-Shirts berichten,
knetet Christian W. nervös einen Stoffteddy mit roten Herzen. Weil W. nach
seiner Festnahme im Herbst 2001 umfangreiche Aussagen zu seinen Aktivitäten bei
Landser machte, wird er von den Zuschauerbänken mit "Verräter"-Rufen empfangen.
Im Publikum steigt die Stimmung immer dann, wenn der Vorsitzende Richter
Wolfgang Weißbrodt die CDs abspielen lässt. Fünf CDs hat Landser seit 1993 auf
den Markt gebracht, keine einzige davon kann legal im Plattenladen gekauft
werden. Trotzdem schätzen Szenekenner, dass derzeit in Deutschland rund 100.000
Landser-CDs mit Titeln wie "Republik der Strolche", "Rock gegen oben" und "Ran
an den Feind" im Umlauf sind. Die meisten werden schwarz gebrannt und unter der
Hand auf Schulhöfen oder in Jugendclubs weitergegeben. Für Originale verlangten
die Zwischenhändler der Band bis zu 30 DM; heute zahlen "Liebhaber" Stückpreise
ab 50 Euro. Mehrere 10.000 Mark sollen die Bandmitglieder selbst kassiert haben.
Landser, so die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage, mit der erstmals in
Deutschland einer rechtsextremen Band der Vorwurf "kriminelle Vereinigung"
gemacht wird, habe mit ihrer Musik vor allem ein Ziel verfolgt: massenhaft
rechtsextreme Ideologie an jugendliche Konsumenten zu bringen. Dafür habe die
Band bewusst gegen Strafgesetze verstoßen.
Um diesen Vorwurf zu untermauern, lässt die Bundesanwaltschaft die zehnjährige
Geschichte der Band Revue passieren. Puzzlestück um Puzzelstück fügen sich die
Aussagen von Gründungsmitgliedern und Zeugen zu einem Bild zusammen, das vor
allem den Sicherheitsbehörden und "akzeptierenden Sozialarbeitern" ein
schlechtes Zeugnis ausstellen.
Glaubt man Landser-Gründungsmitglied Sören B., begann die Karriere der Band im
ehemaligen "Judith-Auer-Club" in Lichtenberg, wo ein Sozialarbeiter sein
Schlagzeug zur Verfügung stellte. Es sind die Jahre 1992 und 1993: In
Rostock-Lichtenhagen wird ein Heim vietnamesischer Vertragsarbeiter unter dem
Beifall von tausenden Zuschauern von militanten Neonazis und Jungskins in Brand
gesetzt. Türkische Migranten sterben in Mölln und Solingen bei Brandanschlägen.
Und Landser verbreitet auf einem Demotape Lieder wie "Berlin bleibt deutsch" und
"Schlagt sie tot".
Im November 1992 zeigt diese Aufforderung Wirkung: Der Hausbesetzer Silvio Meier
wird im U-Bahnhof Samariterstraße von Naziskins erstochen. Im Zeugenstand sagt
der ehemalige Landser-Produzent Jens O., Anfang der 90er-Jahre selbst Mitglied
der verbotenen Nationalistischen Front (NF): "Nationalismus gab es damals
überall. Überall wurden Deutschlandfahnen gezeigt." Dass Landser, die sich
selbst gerne als "Terroristen mit E-Gitarre" bezeichneten, in ihren Liedern über
hilflose Polizisten und Politiker spotteten und zum "Totschlagen" von
Afrikanern, Türken und Juden aufriefen und damit Karriere machten, habe vor
allem an ihrem "konspirativen Image" und an ihrer eingängigen Tanzmusik gelegen,
findet ein anderer Zeuge. Und offenbar auch an den Strafverfolgern, die
jahrelang nur mit Nadelstichen gegen die Band vorgingen, obwohl deren Besetzung
in der rechten Szene ein offenes Geheimnis war. Mal wurde ein Bandmitglied bei
der Einfuhr von Landser-CDs aus dem Ausland festgenommen und zu einer
Bewährungsstrafe verurteilt, mal wurde - erfolglos - nach CD-Covern gesucht.
Dabei traf sich die Band unter dem Codewort "Frühschoppen" immer sonntags zum
Proben im Berliner Umland und bediente sich eines Netzwerks aus polizeibekannten
Neonazis, um die CDs an die Kundschaft zu bringen.
Erst nachdem die Bundesanwaltschaft 1999 auf die Band aufmerksam wurde, weil
Rechtsextremisten beim Überfall auf zwei Vietnamesen in Eggesin das Landser-Lied
"Fidschi, Fidschi, gute Reise" sangen, verschärfte sich die Gangart. Ein Jahr
lang überwachten die Fahnder nun Telefone und observierten die Bandmitglieder.
Die Botschaft der Musik, die schon Jahre zuvor von antifaschistischen
Publikationen als "Begleitmusik zu Mord und Totschlag" bezeichnet worden war,
hatte sich da längst verselbstständigt. Der Landser-Song "Afrika-Lied" lief in
den Autos der Rechten, die in Guben den algerischen Flüchtling Farid Gouendul in
den Tod trieben, und im Walkman des Angreifers, der in Dessau den Mosambikaner
Alberto Adriano erschlug.
Zu der Frage, ob der Prozess Einfluss auf die weitere Entwicklung der
neonazistischen Musikszene haben wird, will man sich beim LKA in Berlin derzeit
nicht äußern. In der Szene wird Michael R. als Märtyrer gefeiert. Bundesweit
stieg die Zahl neonazistischer Konzerte im vergangenen Jahr wieder auf über
einhundert an, mit teilweise über 1.000 Zuschauern. Keinen Rückgang gibt es auch
bei der Zahl der Bands, die versuchen, die Nachfolge von Landser anzutreten,
oder bei den einschlägigen "Rechts-Rock"-Versandquellen.
Ob die Angeklagten am Ende tatsächlich wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung oder lediglich wegen Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhass
und Verherrlichung des Nationalsozialismus verurteilt werden, ist derzeit nicht
absehbar. Ein Urteil wird frühestens Ende August erwartet.
www.taz.de
taz Berlin vom 23.07.2003
kt /
hagalil.com
/ 2003-07-26
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