Berlin:
NPD baut Schlägertrupps als Nachwuchs auf
Neuer Landesverband in Berlin gegründet/Radikalisierung
erwartet/Kameradschafts-Szene »ruht«...
Rainer Funke
Handfeste Typen werden gesucht. Sie sollen von ehernem Charakter,
weltanschaulich gefestigt, einsatzwillig und opferbereit sein. In Lehrgängen
will man sie ausbilden, »Dienst an der Gemeinschaft zu leisten«. Die Rede ist
von Schlägertrupps der NPD, in der Partei selbst OD-Struktur oder Ordnungsdienst
genannt. Sie sollen dieses Jahr - als so genannter Eigenschutz bei Demos oder
Versammlungen - erheblich ausgebaut werden. Auf diese Art versucht man, die
Anhänger der vier derzeit in Berlin aktiven »Kameradschaften« und andere
»heimatlose« Jung-Neonazis stärker in die NPD-Strukturen einzubinden. Nach einer
vielmonatigen eher depressiv-lähmenden Phase in der hauptstädtischen Formation
der Neonazi-Partei, geschuldet den staatlichen Vorbereitungen für ein
NPD-Verbot, müht man sich derzeit offenbar wieder um einen gewissen Schwung. Zu
diesem Zwecke ist jüngst der Landesverband Berlin-Brandenburg aufgelöst und in
jeweils eigenständige Verbände mit je sechs Kreisgruppen in beiden Bundesländern
umgewandelt worden.
Wie in der NPD-Zeitung »Deutsche Stimme« dazu dargestellt wird, möchte man damit
»den unterschiedlichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheit in
beiden Bundesländern Rechnung tragen«. Beim Berliner Verfassungsschutz vermutet
man jedoch eine Kurskorrektur »mit einem neonazistischen Hintergrund«. Der
Berliner NPD-Verband sei dabei, sich deutlich stärker neonazistisch
auszurichten. Für diese Einschätzung spreche schon die personelle
Zusammensetzung des neuen Verbandes und seiner Führung. »Dies könnte zukünftig
zu einer weiteren inhaltlichen Radikalisierung der NPD führen«, heißt es beim
Berliner Verfassungsschutz.
Offenbar versucht die NPD zugleich, den seit längerem anhaltenden
Mitgliederschwund aufzuhalten. Bundesweit hatte die Partei noch vor zwei Jahren
6500, in Berlin 250 Mitglieder. Voriges Jahr sanken die Zahlen auf 6100 bzw.
240, im Land Brandenburg von 200 auf 190.
Vermehrt begeben sich deshalb NPD-Spitzen dorthin, wo sich junge Intellektuelle
treffen, etwa letzte Woche an der Humboldt-Uni. Am Rande eines Diskussionsforums
über den 11. September hatte man einen Infostand mit entsprechendem
Propagandamaterial aufgebaut, verteilte kostenlos eine CD-Rom mit dem Titel »Die
Septemberlüge« und flüchtete durch einen Nebeneingang, als man erkannt wurde und
es zu Tumulten kam. Dass die NPD aber auch bei Studenten einen gewissen
Nährboden für ihre Ideen vorfindet, lässt sich daraus schließen, dass gegen die
NPD protestierende Autonome auf dieser Veranstaltung von einem Teil der
Anwesenden als Störer tituliert wurden.
Nach wie vor hat die NPD Schwierigkeiten mit den Kameradschaften, die sie so
gern als Nachwuchs-Trupp sehen würde. Doch blieb ein durchschlagender Erfolg
bisher aus. Entgegen dem Trend in anderen Bundesländern gelang es der NPD kaum,
solche politischen Ziele zu formulieren und entsprechende Aktionen zu starten,
die Jugendliche dauerhaft ansprechen und motivieren würden. Deshalb sei eine
feste Einbindung in eine Kameradschaftsstruktur, die der NPD ja auch nur als
Vehikel dient, eher unattraktiv, meint man beim Geheimdienst. Die
Kameradschaftsszene selbst ist momentan kaum noch aktiv in der Stadt. Diejenigen
namens »Adlershof« oder »1375« sind seit zwei Jahren nicht mehr in Erscheinung
getreten. Die umtriebige »Germania« hat sich aufgelöst, nachdem ein
Kameradschafts-Verbund mit Führungsanspruch derselben gescheitert war. Derzeit
wird die Szene von etwa 40 Personen geprägt, die sich auf die Kameradschaften
»Hohenschönhausen«, »Pankow«, »Preußen« und »Tor Berlin« verteilen. Aber auch um
sie ist es eher stiller geworden. Hinzu kommt allerdings eine ebenfalls
40-köpfige Jugendclique im Dunstkreis des 1. FC Union, wie der Innensenat
mitteilte. Sie ist als »Gruppe 9« bekannt und setzt sich »zum Teil aus
ideologisch gefestigten Neonazis« zusammen.
Trotz der anscheinenden Ruhe um die Kameradschaften ist für den
Verfassungsschutz erkennbar, dass es »vor allem in den östlichen
Peripheriebezirken ein großes Potenzial an Jugendlichen gibt, das für
neonazistisches Gedankengut empfänglich ist«. Auf längere Sicht jedenfalls
stelle dies ein Risiko dar.
www.nd-online.de
Neues Deutschland vom 08.07.2003
kt /
hagalil.com
/ 2003-07-08
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