antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

 
[Der Pressespiegel im Klick nach Rechts]

Neonazis:
Bitte alle aussteigen!

Nur wenige Neonazis nutzten bisher das Ausstiegsprogramm des Verfassungsschutzes. Ist der Geheimdienst der passende Träger für das Programm...

Saskia Gailius

Nein, eine Interessenkollision bestehe nicht zwischen dem Einsatz von V-Leuten in der rechtsextremen Szene und dem gleichzeitig bestehenden Angebot zum Ausstieg für Rechtsextremisten, sagte ein Pressesprecher des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) der Jungle World. Man müsse hier strikt trennen: V-Leute seien ein nachrichtendienstliches Mittel und dienten der Gewinnung von Informationen. Das Aussteigerprogramm hingegen sei als Angebot an Hilfe suchende ausstiegswillige Rechtsextremisten zu verstehen. Man gehe nicht auf solche Leute zu, um Informationen zu beschaffen.
Dennoch mutet es recht seltsam an, dass ausgerechnet ein Nachrichtendienst die Ausstiegshilfe anbietet. Das Ziel des Programms, das im April 2001 gestartet wurde, ist es, Ausstiegswilligen den Weg zu erleichtern und so die Szene zu schwächen.
Das Programm steht auf zwei Säulen. Im »aktiven Teil« sprechen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes ausgesuchte rechtsextremistische Kader an, um ihnen den Ausstieg schmackhaft zu machen. Den »passiven Teil« stellt ein Kontakttelefon dar. Hier können sich Ausstiegswillige melden, die dann, so erklärt der Verfassungsschutz, mit Rat und Tat, nach dem Prinzip der »Hilfe zur Selbsthilfe«, bei der Wohnungs-, Arbeits- und Lehrstellensuche unterstützt werden sollen. Unter Umständen winkten auch Strafmilderung oder die Einstellung von Strafverfahren, erklärte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm.
Anfangs liefen die Drähte der Hotline heiß. Allein im ersten halben Jahr riefen 720 Personen an, darunter zahlreiche Journalisten, »Informationssuchende« und »Provozierende«, wie die Bundesregierung im Jahr 2002 auf eine kleine Anfrage der PDS im Bundestag bekanntgab.
Danach ebbte das Interesse aber schnell ab. Nach den folgenden sechs Monaten war die Gesamtzahl der Anrufer nur um 30 gestiegen. Von den 170 »potenziell Ausstiegswilligen« wurden 66 in das Programm aufgenommen, 27 Betreuungen wurden vorzeitig abgebrochen. Auch wenn das BfV selbst das Programm als Erfolg wertete, fiel die Bilanz nach einjähriger Laufzeit recht dürftig aus. Und die im April dieses Jahres vom BfV veröffentlichten Zahlen scheinen dies für das zweite Jahr zu bestätigen.
Von April 2001 bis April 2003 sollen sich insgesamt 850 Anrufer bei der Hotline gemeldet haben, von denen etwa 200 als »potenziell ausstiegswillig« betrachtet werden, dieselbe Zahl, die bereits im August 2002 angegeben wurde. Wurde damals noch von 75 Personen gesprochen, die sich in »intensiver Betreuung« befänden, seien es nun 80 Personen. »Einige Fälle sind inzwischen erfolgreich abgeschlossen«, erklärt der Verfassungsschutz äußerst nebulös.
Die genannten Zahlen lassen angesichts eines »rechtsextremistischen Personenpotenzials« von 45 000 Neonazis, das der Verfassungsschutzbericht 2002 nennt, am Sinn des Aussteigerprogramms zweifeln. Es stellt sich auch die Frage, ob das BfV überhaupt der geeignete Träger des Programms ist. Ausstiegswillige Rechtsextremisten dürfte es eine große Überwindung kosten, sich ausgerechnet an den Verfassungsschutz zu wenden, eilt diesem doch der Ruf voraus, stets auf der Suche nach neuen Mitarbeitern und weniger daran interessiert zu sein, Personen aus der Szene zu lösen.
Der Verfassungsschutz betont, dass Personen, die sich im Rahmen dieses Programms an das BfV wenden, nicht als V-Leute geworben und eingesetzt werden und dass keiner der potenziellen Aussteiger als V-Mann geführt wurde und wird. Allerdings würden von den Ausstiegswilligen die Informationen gefordert, die das BfV zur »Überprüfung der Ernsthaftigkeit« des Ausstiegsinteresses benötige, sagte die Bundesregierung ebenfalls auf die oben erwähnte Anfrage der PDS.
Die Hemmung, sich gerade an eine staatliche Stelle zu wenden, ist vermutlich auch in der mit dem Rechtsextremismus einhergehenden Ablehnung des parlamentarisch-demokratischen Systems begründet. Und die Abkehr von der rechtsextremen Ideologie kommt bei den meisten Rechtsextremen erst im Anschluss an die Loslösung vom organisierten Rechtsextremismus. Jemand, der von seinen rechtsextremen Zielen überzeugt ist, dürfte sich auch nicht beeindrucken lassen, wenn ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes ihn anspricht.
Der Verfassungsschutz weiß das. »Auch wenn vor überhöhten Erfolgserwartungen zu warnen ist, gibt es erfahrungsgemäß auch unter den Führungskadern Rechtsextremisten, die die Aussichtslosigkeit ihres ›Kampfes‹ erkannt haben. Hier kann eine Hilfestellung zum Ausstieg ansetzen«, heißt es auf der Internetseite des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Personen, die tatsächlich aus der rechtsexttremistischen Szene aussteigen wollen, bevorzugen mitunter das nichtstaatliche Pendant Exit als Anlaufstelle, weil es nicht mit der Polizei oder dem Verfassungsschutz zusammenarbeitet. Exit wurde im Herbst 2000 vom Zentrum Demokratische Kultur (ZDK) ins Leben gerufen, unterstützt wird es von der Aktion »Mut gegen rechte Gewalt« des stern.
Exit fordert mehr von den Ausstiegswilligen, eine Arbeit mit aktiven Rechtsextremisten lehnt man, anders als der Verfassungsschutz, ab. »Schwerpunkt der Ausstiegsbegleitung ist die inhaltliche Aufarbeitung des rechtsextremen Weltbildes und der in der rechtsextremen Szene angeeigneten, unsozialen Verhaltensweisen«, heißt es in einer Erläuterung des Programms.
»Was Exit nicht leisten kann und will, ist eine ökonomische und soziale Rundumversorgung ehemaliger Rechtsextremisten«, wird betont. Hingegen musste sich der Verfassungsschutz gegen Vorwürfe wehren, er habe an Rechtsextreme Ausstiegsprämien gezahlt. Finanzielle Hilfen gebe es nur für »zwingend erforderliche Umzugsmaßnahmen«, rechtfertigte man sich.
Im Übrigen scheint auch bei Exit der anfangs kontinuierliche Zuspruch nachgelassen zu haben. Dem stern zufolge unterstützte Exit im Januar dieses Jahres rund 100 ausstiegswillige Rechtsextremisten. 30 Personen sei der Ausstieg mithilfe von Exit gelungen. Das entspricht in etwa den Angaben vom Sommer 2002.

www.jungle-world.com
Jungle World (Nummer 28 vom 02.07.2003)

kt / hagalil.com / 2003-07-04

Die im Pressespiegel veröffentlichten Texte spiegeln die Meinungen der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Verantwortlichen dieser Website wieder.


DE-Titel
US-Titel

Books

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2013 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved