Neonazis:
Bitte alle aussteigen!
Nur wenige Neonazis nutzten bisher das Ausstiegsprogramm
des Verfassungsschutzes. Ist der Geheimdienst der passende Träger für das
Programm...
Saskia Gailius
Nein, eine Interessenkollision bestehe nicht zwischen dem Einsatz von V-Leuten
in der rechtsextremen Szene und dem gleichzeitig bestehenden Angebot zum
Ausstieg für Rechtsextremisten, sagte ein Pressesprecher des Bundesamtes für
Verfassungsschutz (BfV) der Jungle World. Man müsse hier strikt trennen: V-Leute
seien ein nachrichtendienstliches Mittel und dienten der Gewinnung von
Informationen. Das Aussteigerprogramm hingegen sei als Angebot an Hilfe suchende
ausstiegswillige Rechtsextremisten zu verstehen. Man gehe nicht auf solche Leute
zu, um Informationen zu beschaffen.
Dennoch mutet es recht seltsam an, dass ausgerechnet ein Nachrichtendienst die
Ausstiegshilfe anbietet. Das Ziel des Programms, das im April 2001 gestartet
wurde, ist es, Ausstiegswilligen den Weg zu erleichtern und so die Szene zu
schwächen.
Das Programm steht auf zwei Säulen. Im »aktiven Teil« sprechen Mitarbeiter des
Verfassungsschutzes ausgesuchte rechtsextremistische Kader an, um ihnen den
Ausstieg schmackhaft zu machen. Den »passiven Teil« stellt ein Kontakttelefon
dar. Hier können sich Ausstiegswillige melden, die dann, so erklärt der
Verfassungsschutz, mit Rat und Tat, nach dem Prinzip der »Hilfe zur
Selbsthilfe«, bei der Wohnungs-, Arbeits- und Lehrstellensuche unterstützt
werden sollen. Unter Umständen winkten auch Strafmilderung oder die Einstellung
von Strafverfahren, erklärte der Präsident des Bundesamtes für
Verfassungsschutz, Heinz Fromm.
Anfangs liefen die Drähte der Hotline heiß. Allein im ersten halben Jahr riefen
720 Personen an, darunter zahlreiche Journalisten, »Informationssuchende« und
»Provozierende«, wie die Bundesregierung im Jahr 2002 auf eine kleine Anfrage
der PDS im Bundestag bekanntgab.
Danach ebbte das Interesse aber schnell ab. Nach den folgenden sechs Monaten war
die Gesamtzahl der Anrufer nur um 30 gestiegen. Von den 170 »potenziell
Ausstiegswilligen« wurden 66 in das Programm aufgenommen, 27 Betreuungen wurden
vorzeitig abgebrochen. Auch wenn das BfV selbst das Programm als Erfolg wertete,
fiel die Bilanz nach einjähriger Laufzeit recht dürftig aus. Und die im April
dieses Jahres vom BfV veröffentlichten Zahlen scheinen dies für das zweite Jahr
zu bestätigen.
Von April 2001 bis April 2003 sollen sich insgesamt 850 Anrufer bei der Hotline
gemeldet haben, von denen etwa 200 als »potenziell ausstiegswillig« betrachtet
werden, dieselbe Zahl, die bereits im August 2002 angegeben wurde. Wurde damals
noch von 75 Personen gesprochen, die sich in »intensiver Betreuung« befänden,
seien es nun 80 Personen. »Einige Fälle sind inzwischen erfolgreich
abgeschlossen«, erklärt der Verfassungsschutz äußerst nebulös.
Die genannten Zahlen lassen angesichts eines »rechtsextremistischen
Personenpotenzials« von 45 000 Neonazis, das der Verfassungsschutzbericht 2002
nennt, am Sinn des Aussteigerprogramms zweifeln. Es stellt sich auch die Frage,
ob das BfV überhaupt der geeignete Träger des Programms ist. Ausstiegswillige
Rechtsextremisten dürfte es eine große Überwindung kosten, sich ausgerechnet an
den Verfassungsschutz zu wenden, eilt diesem doch der Ruf voraus, stets auf der
Suche nach neuen Mitarbeitern und weniger daran interessiert zu sein, Personen
aus der Szene zu lösen.
Der Verfassungsschutz betont, dass Personen, die sich im Rahmen dieses Programms
an das BfV wenden, nicht als V-Leute geworben und eingesetzt werden und dass
keiner der potenziellen Aussteiger als V-Mann geführt wurde und wird. Allerdings
würden von den Ausstiegswilligen die Informationen gefordert, die das BfV zur
»Überprüfung der Ernsthaftigkeit« des Ausstiegsinteresses benötige, sagte die
Bundesregierung ebenfalls auf die oben erwähnte Anfrage der PDS.
Die Hemmung, sich gerade an eine staatliche Stelle zu wenden, ist vermutlich
auch in der mit dem Rechtsextremismus einhergehenden Ablehnung des
parlamentarisch-demokratischen Systems begründet. Und die Abkehr von der
rechtsextremen Ideologie kommt bei den meisten Rechtsextremen erst im Anschluss
an die Loslösung vom organisierten Rechtsextremismus. Jemand, der von seinen
rechtsextremen Zielen überzeugt ist, dürfte sich auch nicht beeindrucken lassen,
wenn ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes ihn anspricht.
Der Verfassungsschutz weiß das. »Auch wenn vor überhöhten Erfolgserwartungen zu
warnen ist, gibt es erfahrungsgemäß auch unter den Führungskadern
Rechtsextremisten, die die Aussichtslosigkeit ihres ›Kampfes‹ erkannt haben.
Hier kann eine Hilfestellung zum Ausstieg ansetzen«, heißt es auf der
Internetseite des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Personen, die tatsächlich aus der rechtsexttremistischen Szene aussteigen
wollen, bevorzugen mitunter das nichtstaatliche Pendant Exit als Anlaufstelle,
weil es nicht mit der Polizei oder dem Verfassungsschutz zusammenarbeitet. Exit
wurde im Herbst 2000 vom Zentrum Demokratische Kultur (ZDK) ins Leben gerufen,
unterstützt wird es von der Aktion »Mut gegen rechte Gewalt« des stern.
Exit fordert mehr von den Ausstiegswilligen, eine Arbeit mit aktiven
Rechtsextremisten lehnt man, anders als der Verfassungsschutz, ab. »Schwerpunkt
der Ausstiegsbegleitung ist die inhaltliche Aufarbeitung des rechtsextremen
Weltbildes und der in der rechtsextremen Szene angeeigneten, unsozialen
Verhaltensweisen«, heißt es in einer Erläuterung des Programms.
»Was Exit nicht leisten kann und will, ist eine ökonomische und soziale
Rundumversorgung ehemaliger Rechtsextremisten«, wird betont. Hingegen musste
sich der Verfassungsschutz gegen Vorwürfe wehren, er habe an Rechtsextreme
Ausstiegsprämien gezahlt. Finanzielle Hilfen gebe es nur für »zwingend
erforderliche Umzugsmaßnahmen«, rechtfertigte man sich.
Im Übrigen scheint auch bei Exit der anfangs kontinuierliche Zuspruch
nachgelassen zu haben. Dem stern zufolge unterstützte Exit im Januar dieses
Jahres rund 100 ausstiegswillige Rechtsextremisten. 30 Personen sei der Ausstieg
mithilfe von Exit gelungen. Das entspricht in etwa den Angaben vom Sommer 2002.
www.jungle-world.com
Jungle World (Nummer 28 vom 02.07.2003)
kt /
hagalil.com
/ 2003-07-04
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