NS-Literatur:
Höllenkreis der Familie
Der Nazidichter Will Vesper war ein wichtiger
Kulturfunktionär im Nationalsozialismus. Sein Sohn Bernward beschrieb ihn in dem
Buch »Die Reise«. Führers Bettlektüre Teil V...
Axel Klingenberg
In der Schule war ein schönes blondes Mädchen, das Karin Weiß hieß und schöne
Hefte mit weißem Papier und grünen Umschlägen besaß. (…) Sie wohnte in einem
Behelfsheim mit ihrem Vater, der ihr die Hefte aus Wien mitgebracht hatte. Ich
war mit ihr ›in einer Klasse‹, und sie schenkte mir und meiner Schwester je ein
Heft. Mein Vater fragte sofort, woher die Hefte kämen, und ich verstand nicht,
warum er wütend wurde und uns befahl, die Hefte sofort zurückzugeben. Auch
sollten wir auf keinen Fall mit Karin Weiß sprechen. Und zu meiner Mutter sagte
er, es wäre nur gut, dass Weiß, der Emigrant, bald wieder verschwände, der
Jude.« Bernward Vesper, dessen autobiographischem Roman »Die Reise« dieser
Auszug entnommen ist, war der Sohn Will Vespers, der als Schriftsteller und
Herausgeber wichtige Funktionen im Kulturapparat der Nationalsozialisten
innehatte.
Bekannt wurde der Bauernsohn Will Vesper durch die von ihm 1906 herausgegebene
Gedichtsammlung »Die Ernte. Aus acht Jahrhunderten deutscher Lyrik«. Er
arbeitete in dieser Zeit für die Verlage C.H. Beck und Langewiesche. Im Ersten
Weltkrieg diente er als Infanterist, später war er wissenschaftlicher
Mitarbeiter im Generalstab. Anschließend zeichnete er für den Kulturteil der
Deutschen Allgemeinen Zeitung verantwortlich.
Von 1923 bis 1943 gab er die Zeitschrift Die Schöne Literatur heraus, die ab
1931 Die Neue Literatur hieß. Hier hetzte er vor allem gegen jüdische Autoren
und emigrierte Schriftsteller. Die nationalsozialistische Zensur ging Vesper,
der seit 1931 Mitglied der NSDAP war, nie weit genug.
Die Machthaber dankten ihm diese Bemühungen, indem sie ihn in die Deutsche
Akademie der Dichtung beriefen. Außerdem gehörte er dem Vorstand des
Reichsverbandes Deutscher Schriftsteller an und trat bei der Bücherverbrennung
1933 als Redner auf. Sein eigenes Werk, darunter Naturlyrik und Hymnen auf
Hitler sowie Erzählungen und Romane, in denen er reale oder mythische Gestalten
aus der germanischen und deutschen Geschichte glorifizierte, fand allerdings
selbst in Deutschland nicht allzu viel Beachtung, was ihn wohl dazu bewog, sich
ab Mitte der dreißiger Jahre auf sein durch Heirat erworbenes Gut Triangel bei
Gifhorn in der Lüneburger Heide zurückzuziehen.
Die so genannte Stunde Null überstand er unbeschadet. Nach dem Krieg arbeitete
er als Herausgeber für den Bertelsmann-Verlag. Gute Kontakte pflegte er zu Hans
Grimm, der den Begriff »Volk ohne Raum« geprägt hatte, er las auch auf dessen
Lippoldsberger Dichtertagen. Schließlich trat er dem Deutschen Kulturwerk
europäischen Geistes bei, das der NPD nahe stand und mit seinen 2 300
Mitgliedern bis Anfang der siebziger Jahre zu den stärksten rechtsextremen
Organisationen in Deutschland gehörte.
Auch Will Vespers Sohn Bernward betrieb als Jugendlicher Wahlkampf für eine
Nachfolgeorganisation der NSDAP. Über das schlechte Abschneiden der Deutschen
Reichspartei zeigte er sich tief betrübt. Nachzulesen ist das in dem oben
genannten Buch »Die Reise«. Es wurde 1977 aus dem Nachlass Bernward Vespers
veröffentlicht und zählt, obwohl unvollendet, zu den wichtigsten literarischen
Dokumenten der 68er Revolte.
Denn Bernward Vesper schloss sich später der Apo an. Er lernte sie im Laufe
seines kurzen Lebens alle kennen: die alten Nazis samt ihrem konservativen
Umfeld, wie etwa Adolf von Thadden und Winifred Wagner, genauso wie die neuen
Linken Fritz Teufel, Klaus-Rainer Röhl, Ulrike Meinhof und Horst Mahler, von
denen einige später selbst nach rechts abwanderten. Und nicht zuletzt hatte
Bernward Vesper ein Kind mit Gudrun Ensslin, nämlich Felix Ensslin.
Am beeindruckendsten sind die Passagen, in denen sich Bernward Vesper an seinen
Vater erinnert: »Er bog mit dem Fahrrad um die Hausecke, sprang ab, lief noch
zwei Schritte neben dem ausrollenden Fahrrad her und schnaubte durch die
geschlossenen Lippen. (…) Er nahm den Kindern den Ball weg, wenn man auf dem Hof
spielt, können Scheiben kaputtgehen. Im Gras rollt der Ball genauso gut, jawohl.
(…) Beim Abendessen wartet jeder, hinter dem Stuhl stehend, bis er sich gesetzt
hat. (…) Er schickt den Schwiegersohn fort, der mit kurzen Hosen aus dem Garten
zu Tisch kommt. Die Adern an seiner Stirn schwellen an. Er stampft mit den Füßen
unter dem Tisch. Dreißig Esser schauen auf ihre Teller. Jemand bricht in Tränen
aus und läuft aus der Halle. Er läuft hinterher und verlangt, dass die Tür noch
einmal leise geschlossen werde.«
Vesper schildert die lustfeindliche Atmosphäre seiner Kindheit und zeigt auf,
warum die Apo nicht nur Karl Marx und G.W.F. Hegel, sondern eben auch Sigmund
Freud und Wilhelm Reich intensiv rezipierte. Durch die Einnahme von LSD, so
lautete Bernward Vespers Vorschlag, sollten die Menschen sich ihrer
Eingezwängtheit in die gesellschaftlichen Normen bewusst werden, um sie
schließlich zu überwinden. »Die Droge reißt den Schleier von der Wirklichkeit,
weckt uns auf, macht uns lebendig, und macht uns zum ersten Mal unserer Lage
bewusst.«
So schonungslos selbstkritisch die »Reise« auch wirkt, Bernward Vesper
beschönigte auch seine Vergangenheit. Wie sein Verleger Jörg Schröder
recherchierte, warb er nicht nur für den Nachlass seines Vaters, sondern schrieb
unter dem Namen Bernhard Michaelsen zusammen mit Gudrun Ensslin Briefe mit
rechtem Gedankengut an die Deutsche National-Zeitung, und zwar zu einer Zeit,
als er schon die Anti-Atom-Anthologie »Gegen den Tod« herausgegeben hatte. 1971
wurde Bernward Vesper in eine Nervenheilanstalt eingeliefert, wenige Monate
später beging er Selbstmord.
Will Vespers Bücher werden inzwischen nicht mehr verlegt, seine Texte finden
sich nur noch in wenigen Sammelbänden. »Die Reise« dagegen ist immer noch zu
erwerben, und das Buch ist es wert, gelesen zu werden.
Felix Ensslin arbeitet übrigens als Referent im Büro des grünen
Bundestagsabgeordneten Rezzo Schlauch. Sein Name ging vor gar nicht allzu langer
Zeit durch die Presse, als er gegen die Untersuchung des Gehirns seiner Mutter,
also gegen ihre Pathologisierung, protestierte.
www.jungle-world.com
Jungle World (Nummer 27 vom 25.06.2003)
kt /
hagalil.com
/ 2003-06-25
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