antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

 
[Der Pressespiegel im Klick nach Rechts]

Rechtsrock:
White Boy Music

Rechtsextreme Musik führe dirket ins gewaltbereite Milieu, sagt Otto Schily. Doch er verwechselt Ursache und Wirkung...

Jens Thomas

Alle Jahre wieder kommt der Weihnachtsmann vom Verfassungsschutz und lässt seine Informationen aus dem Sack. Wieder einmal heißt es, die Zahl rechtsextremer Straftaten habe zugenommen, im Jahre 2002 um 8,4 Prozent, die Zahl der Gewalttaten gar um 8,9 Prozent. Der Organisationsgrad rechtsextremer Parteien und Organisationen sei dagegen rückläufig. Eine stetige Ausdehnung des Personenkreises sei nur im subkulturellen Bereich, insbesondere bei den Skinheads, von 10 400 im Jahr 2001 auf 10 700 Personen, zu verzeichnen.

Eine weitere Erkenntnis des diesjährigen Berichts ist, dass die rechtsextreme Musikszene nach wie vor eine »bedeutende Rolle bei der Entstehung und Verfestigung von Gruppen rechtsextremistischer gewaltbereiter Jugendlicher« spiele. Der rückläufige Trend bei den Konzerten habe sich nicht fortgesetzt; im Jahre 2002 hätten 112 rechtsextreme Konzerte stattgefunden, 80 im Jahr 2001.

Als »Einstiegsdroge Nummer eins in das gewaltbereite Milieu« bezeichnete Innenminister Otto Schily (SPD) den Rechtsrock. Diese Musik, die in den achtziger Jahren in England in musikalischer Anlehnung und als ideologischer Antipode zum Punk entstand, hat Hochkonjunktur in Deutschland.

So erschienen im Jahr 1989 lediglich sechs LPs rechtsextremer deutscher Bands, 1993 waren es bereits 35. Heute ist der Markt kaum noch überschaubar. In seinem im Jahr 2000 veröffentlichten Werk »White Noise« berechnet Michael Weiss, dass es mittlerweile über 100 deutsche Neonazi-Bands gebe, die über 500 CDs in einer Gesamtauflage von über 1,5 Millionen Exemplaren produzierten.

Diese Zahlen legen es nahe, sich der Argumentation Schilys anzuschließen und die rechte Musikszene für das Abrutschen vieler Jugendlicher in den braunen Sumpf verantwortlich zu machen.

Doch so werden zwei wichtige Aspekte ausgeblendet. Zum einen verwechselt man die Ursache mit der Wirkung. Rechtsextreme Musik ist nicht der Grund für das Abgleiten ins gewaltbereite rechte Milieu, sondern der musikalische Ausdruck für Ressentiments, die in der Gesellschaft weit verbreitet sind. Zum anderen handelt es sich bei rechtsextremer Musik keineswegs nur um Skinhead-Musik. Längst ist rechtsextremes Gedankengut auch in andere Genres vorgedrungen.

Die Probleme beginnen bereits beim Wort Rechtsextremismus. Dieser Arbeitsbegriff des Verfassungsschutzes, der seit 1974 verwendet wird, suggeriert, dass es sich um ein Phänomen am Rande der Gesellschaft handele. Damit wird alles andere diesem Extrem als demokratisch gegenübergestellt.

Doch weder steht hinter einer rechtsextrem motivierten Tat zwangsläufig ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, noch werden Leute mit rechtsextremen Einstellungen immer gleich gewalttätig. Nur ein Viertel aller Taten von rechts werden von überzeugten Rechtsextremisten begangen, stellte der Soziologe Helmut Willems von der Universität Trier fest.

Auch die Hörer des Rechtsrock kommen nicht zwangsläufig aus dem rechten Spektrum, genauso wie sie nicht unmittelbar durch das Hören rechter Lieder gewalttätig werden. »Seemannslieder machen keine Seemänner und Liebeslieder bringen nicht die Liebe in die Welt«, formulierte es der Jugendforscher Kurt Möller. Zwei von Möller durchgeführte Studien ergaben, dass in keinem der untersuchten Fälle der Konsum von Rechtsrock unmittelbar Gewalt ausgelöst habe.

Dennoch gibt es einen Zusammenhang zwischen Gewalt und rechtsextremer Musik. Sie kann zu einer Tat anstacheln und sie beim anschließenden Hören bestätigen. Aber Rechtsextremismus ist kein ausschließliches Jugendphänomen, was rechtsextreme Gewalt und die rechte Musikkultur vorwiegend sind. Einstellungen, die den Nährboden für den Rechtsextremismus bilden, nehmen mit dem Alter tendenziell zu, wie die Berliner Politologen Richard Stöss und Oskar Niedermayer nachwiesen.

Es ist die politische Kultur eines Landes, in der Rechtsextremismus erst gedeihen kann. Diesen Aspekt griff der Soziologe Talcott Parsons auf. Rechtsextremismus könne sich erst ausbreiten und die Individuen ansprechen, wenn in der Gesellschaft eine rechte Ideologie verbreitet sei, die anerkannt werde.

»Der Erfolg des Rechtsrock basiert vor allem auf seinen klaren Stellungnahmen zu den Themen Einwanderung und Integration«, stellen Christian Dornbusch und Jan Raabe in ihrem Sammelband »Rechtsrock – Bestandsaufnahme und Gegenstrategien« fest. Diese Themen sind es, die nach der Shell-Studie 2002 Jugendliche zwischen zwölf und 25 Jahren bewegen und die auch immer wieder von den Volksparteien aufgegriffen werden. Beispiele hierfür sind etwa die Änderung des Asylrechts im Jahr 1993 und die Leitkulturdebatte.

So macht die politische Mitte rechte Themen akzeptabel. Gleichzeitig lernen Rechtsextremisten von dieser Mitte. Seit den neunziger Jahren entwickelte sich eine rechte Popästhetik, die keineswegs mehr nur am martialischen Erscheinungsbild des stiernackigen versoffenen Skinheads orientiert ist.

Flammen und Billardkugeln oder Slogans wie »Old School Racist 18« zieren peppige rechte T-Shirts und kokettieren mit Elementen aus dem HipHop- und Hardcore-Bereich. Auch musikalisch wurde das Konzept gelockert, die Behauptung Diedrich Diederichsens, rechtsextreme Bands seien zu allererst an ihren schlechten Schlagzeugern zu erkennen, ist längst überholt.

»Zu Rechtsrock wird die Musik erst durch ihre extrem rechte Botschaft«, stellen Dornbusch und Raabe fest. War es in den Neunzigern als erste subkulturelle Bewegung der Apocalyptic Folk, der rechte Symbolik zur handfesten rechten Ideologie werden ließ, ist die Rechte nun längst in sämtliche Bereiche des Dark Wave, Gothic, Neo-Folk und des Heavy Metal vorgedrungen.

Die einst plakative Eindeutigkeit der Skinhead-Ästhetik wich der Mehrdeutigkeit. Diese gehört zum Ästhetischen, auch die Rechte hat das erkannt.

www.jungle-world.com
Jungle World (Nummer 26 vom 18.06.2003)

kt / hagalil.com / 2003-06-19

Die im Pressespiegel veröffentlichten Texte spiegeln die Meinungen der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Verantwortlichen dieser Website wieder.


DE-Titel
US-Titel

Books

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2013 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved