Verschwörungstheorien:
Fantomas kehrt zurück
Wird der WDR zur Zentrale der Verschwörungstheoretiker?
Gerhard Wisnewskis Film zum WTC-Anschlag legt dies nahe...
Ivo Bozic
Wer am vergangenen Freitag um 23 Uhr den Westdeutschen Rundfunk (WDR)
einschaltete, traute seinen Augen nicht. Nachdem vor nicht mal zwei Jahren ganz
Deutschland sich in »uneingeschränkter Solidarität« mit den USA und den Opfern
des Anschlags auf das World Trade Center (WTC) übte und dabei so manche
Krokodilsträne vergoss, prüfte der Film »Aktenzeichen 11.9. ungelöst« die
Möglichkeit, dass das Attentat gar nicht stattgefunden hat. Die Flugzeuge, die
in die beiden Türme der Twin Towers flogen, seien leer und ferngesteuert
gewesen, im Pentagon habe es niemals einen Flugzeugeinschlag gegeben. Letztlich
lief die Reportage auf die These hinaus, die amerikanische Regierung habe die
Anschläge selbst inszeniert. Natürlich wurde all das in dem Film nicht explizit
behauptet, sondern lediglich als Frage behandelt. Als rhetorische Frage. Denn
wer sich mit Gerhard Wisnewski, dem Autor des Films, beschäftigt hat, weiß, dass
sich in dessen phantasiebegabtem Hirn die Ereignisse längst zu einem riesigen
Verschwörungsszenario ausgewachsen haben (Jungle World, 26/02). Seine Homepage
(www.raf-phantom.de) und vermutlich auch sein in Kürze bei Knaur erscheinendes
Buch »Operation 9/11. Angriff auf den Globus« bestätigen das.
Es mag in der Tat viele offene Fragen zu den Anschlägen vom 11. September 2001
geben. Doch die Darstellungen von Gerhard Wisnewski sind hanebüchen. Die Aussage
eines Mannes, der als Kind im Innenhof des Pentagon auf einer Kiste gesessen
haben will, in der, wie man ihm sagte, Flugabwehrgeschütze gelagert seien, soll
flugs die Behauptung stützen, dass das Pentagon vor einem Flugzeugeinschlag
gefeit gewesen wäre. Ein alter Mann, der erklärt, in Pennsylvania an der
Absturzstelle kein Flugzeug gesehen zu haben, soll die These belegen, es habe
dort keinen Absturz gegeben. Insgesamt kommt Wisnewskis Argumentation jedoch
ohne Beweise aus. In dem Fernsehfilm stellt er den Betreiber einer Internetseite
vor, der offene Fragen zu den Ereignissen, wie sie sich am 11. September
abgespielt haben, sammelt. Diese Fragen sind der Ausgangspunkt für wilde
Spekulationen. Das gleiche Schema findet sich schon in dem von Wisnewski
mitverfassten Buch »Das RAF-Phantom«.
Natürlich wird einem im Fernsehen täglich jede Menge Unsinn erzählt. So ist es
auch nicht der Skandal, dass der WDR solche Räuberpistolen sendet. Der Skandal
ist, dass der WDR überhaupt mit einem Mann wie Wisnewski zusammenarbeitet. Denn
Wisnewski ist ein offener Antisemit, der auf seiner Homepage noch ganz andere
Schocker auf Lager hat. Beispiel gefällig? Okay. Also, der
Bundesnachrichtendienst arbeitet in Wirklichkeit nicht für die deutsche
Regierung, sondern für die amerikanische, der Giftgasanschlag auf irakische
Kurden in Halabja 1988 geht nicht auf Saddam Hussein zurück, sondern auf eine
CIA-Iran-Operation, die Geiselnahme im Moskauer Theater haben die USA
arrangiert, und die »merkwürdigen« Selbstmordattentate in Israel gehen
eigentlich auf das Konto des Mossad. Begründung? Die »angeblichen Attentate der
Palästinenser« nützen nur den Israelis, weil sie die Bevölkerung immer mehr in
die Arme Sharons treiben. Tja, so einfach ist das. Und konkret sieht das dann
wohl so aus: »Heuert irgendjemand einen ahnungslosen Palästinenser an, damit er
für zehn Schekel, oder wie diese Währung auch immer heißt, eine Plastiktüte oder
ein Paket transportiert, wobei dieser jemand dann im geeigneten Moment auf den
Knopf seiner Fernsteuerung drückt?« Da ist sie wieder, die Fernsteuerung, jenes
wichtige Utensil, mit dem Wisnewski die halbe Welt erklären kann. Aber er hat ja
nur mal gefragt – und sicherheitshalber diese Stelle inzwischen von seiner
Homepage wieder entfernt.
Auch eine andere Frage stellt Wisnewski auf seiner Website: »Steckte Sharon
hinter den Anschlägen vom 11. September 2001? Hat er so die arabische Welt in
Misskredit gebracht und die Aggression der Supermacht USA auf sie gelenkt?« Die
Antwort kennt Wisnewski natürlich auch. Scharon »will die arabische Welt
vernichten, und die Leiche Arafats als Sahnehäubchen obendrauf haben«. Die
arabische Welt stehe vor einem »Genozid«, vor einem »nie da gewesenen
Völkermord«.
Bei dieser Sicht auf die Dinge wundert es nicht, dass Wisnewski ein großer
Möllemann-Fan war. Den Tabubrecher feierte er als den »einzigen deutschen
Politiker weit und breit, der noch den Mut besitzt, israelische Verbrechen
Verbrechen zu nennen«. Wisnewskis Theorie zum Tod des Politikers steht noch aus,
aber es wird sicher nicht lange dauern, bis er uns auch hier mit einer eigenen
Version beglücken wird. Er sympathisiert zugleich offen mit rechtsextremen
Gruppen. So wird auf seiner Website wohlwollend die Junge Freiheit zitiert, und
zur Bundestagswahl empfahl Wisnewski, neben der PDS und kurzfristig auch der FDP
(wegen Möllemann), ausgerechnet die rechtsextreme LaRouche-Sekte Bürgerbewegung
Solidarität (BüSo). Es ist auffällig, dass er auch auf Diskussionsbeiträge aus
der LaRouche-Connection in seinem Forum hinweist. Der aggressiv-antisemitische
Chef der Bewegung, Lyndon LaRouche, behauptet, Sharon habe einen »weiteren«
Anschlag wie den vom 11. September auf die USA geplant, um Bush zum Krieg gegen
den Irak zu ermutigen. LaRouche verbreitet auf seinen Websites übrigens
ebenfalls eine Liste mit »offenen Fragen« bezüglich des 11. September.
Wie kommt es nun, dass der WDR Beiträge eines Mannes wie Wisnewski sendet? Um
das zu erklären, braucht es keine Verschwörungstheorie. Wisnewskis alter Kumpel
Wolfgang Landgraeber, Co-Autor des abstrusen »RAF-Phantoms«, ist dort inzwischen
Leiter der Programmgruppe Kultur, zuständig für Reportagen und Dokumentationen.
Auch der aus der Schule von Klaus Bednarz stammende langjährige
»Monitor«-Redakteur bastelt sich die Wirklichkeit gerne nach eigenem Gutdünken
zurecht. Im »RAF-Phantom« hatte er gemeinsam mit Wisnewski bereits gegen jede
Vernunft und Faktenlage behauptet, die dritte Generation der RAF habe es nie
gegeben und die Attentate jüngeren Datums gingen aufs Konto anderer Mächte. An
dieser Theorie hielten sie auch dann noch fest, als man zwei Mitglieder der
dritten Generation festnahm. (Jungle World, 22/01)
Doch auch im aktuellen Fall ticken Landgraeber und Wisnewski ähnlich. Bei der
Pressevorführung des 11. September-Films war Landgraeber persönlich anwesend und
streute vor den versammelten Pressevertretern selbst abenteuerliche Gerüchte: 80
Prozent der Firmen, die im WTC ansässig waren, seien gar keine aus den USA
gewesen. Viele sogar arabischer Herkunft! Die Message ist klar: Dann werden die
Attentäter wohl keine Araber gewesen sein, sondern die Amis selbst. Oder eben
der Mossad.
Am 30. Juni wollen führende Verschwörungstheoretiker übrigens in der Berliner
Humboldt-Uni zusammenkommen (www.hintergrund.de). Auch bei dieser
Podiumsveranstaltung soll es um den 11. September gehen. Dann ist neben
Wisnewski unter anderem auch der Publizist Mathias Bröckers dabei und noch ein
alter Bekannter: Ekkehard Sieker, neben Wisnewski und Landgraeber der dritte
Co-Autor des »RAF-Phantoms« und ebenfalls bekannt durch Beiträge für Monitor und
den WDR. Und wäre dieser Artikel ein »Monitor«-Beitrag dann würden jetzt an
dieser Stelle drei bedeutungsschwangere Pünktchen folgen.
www.jungle-world.com
Jungle World (Nummer 27 vom 25.06.2003)
kt /
hagalil.com
/ 2003-06-25
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