Yad Vashem:
Denkmal und Name
Vor fünfzig Jahren wurde die Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem
gegründet...
Wladimir Struminski
Am 18. Mai jährte sich zum fünfzigsten Mal die Verabschiedung des israelischen
Gesetzes zur Gründung einer Schoa-Gedenkstätte. Damit wird das Jubiläumsjahr
einer Einrichtung eingeläutet, die das Holocaust-Bewußtsein nicht nur unter
Juden, sondern auch international in besonderem Maße gefördert und geprägt hat:
Yad Vashem.
Das Gesetz von 1953 markierte den Abschluß einer jahrelangen Debatte. Die Idee
einer im Lande Israel zu gründenden Gedenkstätte entstand bereits 1942, als
erste Details über das Ausmaß des nationalsozialistischen Völkermords an den
europäischen Juden bekannt wurden. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges
konkretisierten sich die Pläne weiter, doch wurde das Projekt durch die Wirren
der auslaufenden Mandatszeit, den Unabhängigkeitskrieg und die schweren ersten
Aufbaujahre des jüdischen Staates verzögert, so daß das Gesetz erst fünf Jahre
nach Israels Staatsgründung verabschiedet werden konnte.
Mit dem Yad-Vashem-Gesetz wurde das Gedenken an die Schoa zu einer staatlichen
und nationalen Aufgabe erklärt. Der der Bibel entnommene Name war Programm.
"We-natati lahem be-Wejti uw-Chomati Jad wa-Schem" - "Ich will ihnen in meinem
Haus und in meinen Mauern ein Denkmal und einen Namen geben", heißt es beim
Propheten Jeschajahu. Der gesetzliche Auftrag von Yad Vashem umfaßt das Gedenken
an die Holocaustopfer, an die von den Verfolgern zerstörte jüdische Lebenswelt
und an jüdischen Kampf gegen die Vernichtungsmaschinerie der Nazis ebenso wie
die Ehrung der "Gerechten der Völker": Nichtjuden, die aus uneigennützigen
Gründen und unter Einsatz ihres eigenen Lebens verfolgten Juden Hilfe leisteten.
Im Laufe der Jahrzehnte wurde der Yad-Vashem-Komplex im Südwesten Jerusalems
erheblich ausgebaut. Zum ursprünglichem Kern, zu dem neben dem Verwaltungs- und
Archivgebäude das weltberühmte Holocaustmuseum, die Gedächtnishalle und die
"Allee der Gerechten der Völker" gehören, kamen weitere Einrichtungen und
Gedenkbauten hinzu, darunter das Kindermahnmal, das "Tal der zerstörten
Gemeinden" und ein Museum der während des Holocaust entstandenen Kunst hinzu.
Der Ausbau ist auch fünfzig Jahre nach der Gründung nicht abgeschlossen: Im
kommenden Jahr zieht das Holocaustmuseum in ein modernes Gebäude um, das eine
Vielzahl historisch und didaktisch neuer Ausstellungsmöglichkeiten bieten soll.
Der Einstieg ins Informationszeitalter geht durch breitangelegte
Computerisierung und Internetpräsenz zügig voran.
Doch die "Behörde zum Gedenken an Holocaust und Heldentum" - so der offizielle
Name - ist mehr als ein Museum. Seinen Ruf verdankt Yad Vashem einer Konzeption,
die das Gedenken nicht bloß kontemplativ interpretiert, sondern als aktive
Arbeit versteht. Das gilt vor allem für die wissenschaftliche Tätigkeit, durch
die Yad Vashem eine international herausragende Stellung in der Schoaforschung
erlangt hat. Für die breite Öffentlichkeit weniger sichtbar, aber von
grundlegender Bedeutung ist das Yad-Vashem-Archiv, in dem sich heute mit
achtundfünfzig Millionen Dokumenten der größte Archivbestand der Welt zum Thema
Holocaust befindet, vervollständigt durch Bild- und Filmdokumente. Insbesondere
die audiovisuellen Interviews mit Überlebenden bilden eine Materialsammlung von
menschlich und historisch unschätzbarem Wert.
Ein besonderes Gebiet ist die Sammlung der Namen von Opfern der Schoa. Bisher
sind rund zwei Millionen von ihnen erfaßt: ein beachtenswertes Ergebnis, wenn
man bedenkt, daß es angesichts der Dimension der "Endlösung" in der
Nachkriegszeit nur wenige Überlebende gab, die Zeugnis über die Ermordeten
hätten ablegen können. Die Namensnennung hat nicht bloß historische, sondern
auch eine ethische Bedeutung: Sie gibt dem einzelnen Opfer seine Identität
wieder und macht die individuelle Komponente des Völkermords sichtbar.
Zu ihrem fünfzigsten Jahrestag steht der Gedenkstätte ihre größte
Herausforderung noch bevor: Achtundfünfzig Jahre nach dem Ende des
Nazi-Völkermords muß sie die zunehmende zeitliche Distanz zur Schoa überwinden,
ohne daß die menschliche Dimension dabei verloren geht. Jetzt schon richtet sich
die Jugendarbeit von Jad Vashem an eine Zielgruppe, deren Gros
Holocaustüberlebende persönlich kaum noch kennt. Und die Befragung von
Zeitzeugen wird zunehmend zu einem Wettlauf mit der Zeit.
Darüber hinaus stellt sich aber eine grundlegende Frage: Wie wird die Generation
der heute noch Ungeborenen zukünftig mit der Schoa umgehen? Wird sie sie noch
als persönlich empfundene Tragödie begreifen, oder nur noch als ein Thema für
den Geschichtsunterricht? Letzteres zu verhindern, wird vielleicht die
eigentliche Aufgabe der nationalen Gedenkstätte für die kommenden Jahrzehnte
sein.
www.juedische-allgemeine.de
Jüdische Allgemeine vom 21.Mai 2003
kt /
hagalil.com
/ 2003-05-22
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