Verfassungsschutz:
Neonazis informiert
Neuer Verfassungsschutzskandal in Brandenburg: Ein V-Mann
soll Neonazis vor Razzia gewarnt haben...
Heike Kleffner
Kann Brandenburgs Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin den dritten
V-Mann-Skandal seiner Amtszeit aussitzen? Oder wird Innenminister Jörg Schönbohm
(CDU) seinen obersten Schlapphut opfern, um das Ausmaß behördlicher
Schlampereien und mangelnder Führung zu vertuschen? Diese Fragen beschäftigen
die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Potsdamer Landtags, die heute
zu einer Sondersitzung zusammenkommt.
Anlass: Am Wochenende hatten Recherchen des Tagesspiegel und der Märkischen
Allgemeinen Zeitung enthüllt, dass ein Spitzel des Brandenburger
Verfassungsschutzes im Februar 2001 eine Polizeirazzia an einen Neonazi verraten
hatte. Diese Affäre hat das Innenministerium gegenüber der PKK knapp zwei Jahre
verschwiegen. Besonders brisant: Die Polizei hatte gehofft, mit der groß
angelegten Razzia bei Rechtsextremisten in Potsdam und Umgebung Hinweise auf die
Neonaziterrorgruppe "Nationale Bewegung" zu finden. Die Gruppierung hatte sich
zwischen Januar 2000 und Januar 2001 zu insgesamt 16 Aktionen bekannt; dazu
gehörte etwa ein Brandanschlag auf die Trauerhalle des Jüdischen Friedhofs in
Potsdam, auch ein türkischer Dönerimbiss wurde angezündet. Darüber hinaus
versandte die "Nationale Bewegung" antisemitische und rassistische Drohbiefe und
startete Propagandaaktionen vor jüdischen und linken Einrichtungen in Potsdam.
Die Suche nach Gruppenmitgliedern liegt seit zwei Jahren in den Händen der
Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe und verlief bisher erfolglos.
Die Razzia im Februar 2001 sollte für Unsicherheit in der Neonaziszene sorgen.
Laut Tagesspiegel erfuhr das LKA durch Abhörmaßnahmen bei dem bekannten
Potsdamer Neonazi Sven S., dass dieser von einem V-Mann des Verfassungsschutzes
vor der Razzia gewarnt worden war. Sven S. betreibt einen rechtsextremen
Musikhandel. Wegen des Lecks soll das Potsdamer Polizeipräsidium dann
entschieden haben, die Razzia vorzuverlegen. Sie erbrachte jedoch nicht die
erhofften Hinweise über die "Nationale Bewegung". Gegen den V-Mann-Führer, der
seinen Spitzel in der rechten Szene über die Razzia informiert hatte, läuft bei
der Staatsanwaltschaft Potsdam ein Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrats.
Die PDS-Innenpolitikerin Kerstin Kaiser-Nicht, Mitglied der PKK, forderte
gestern eine "umfassende Aufklärung der Affäre". Zudem müsse Innenminister
Schönbohm die PKK darüber informieren, ob der Verfassungsschutz inzwischen
Konsequenzen gezogen habe - aus dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens vor dem
Bundesverfassungsgericht sowie aus der Verurteilung des Brandenburger V-Manns
Toni S. im letzten Sommer. Gestern zumindest lehnte Innenminister Schönbohm
einen Rücktritt von Verfassungsschutzchef Wegesin noch ab.
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TAZ vom 20.05.2003
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/ 2003-05-21
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