Schule:
Alltagsrassismus, ade
Das Projekt "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage"
will das Engagement von Schulen gegen alle Formen von Rassismus und
Diskriminierung fördern. Vier Berliner Schulen beteiligen sich bereits...
Susanne Lang
Ein Berliner Schulhof, ein Mädchen polnischer Herkunft und der Satz "Deine
Eltern stehlen ja". Ist das Rassismus? Ein schwarzes Brett, ein Plakat mit
Mündern, die für die verschiedene Sprachen werben, und ein Kreuz: Der
israelische Mund ist durchgestrichen. Ist das Antisemitismus?
Für Franziska Rummel und Claire Zeidler ist das keine Frage, sondern ein klarer
Fall: Alltagsrassismus, wie er versteckt überall vorkommt. "Die Begriffe
Rassismus oder Diskriminierung klar zu definieren, ist schwierig", sagt Claire.
Bei einem Spielprojekt konnte sie dies feststellen. Viele Schüler und
Schülerinnen hatten sehr unterschiedliche Auffassungen. Fest steht für
Franziska, Claire und 13 Mitschüler aus ihrer Projektgruppe an der
Hermann-Hesse-Oberschule aber, dass sie an ihrer Schule solche Sätze nicht mehr
hören und solche Kreuze nicht mehr sehen wollen. Dass sie zum Nachdenken anregen
wollen. Dass sie deshalb eine "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" (SOR)
werden möchten.
Vier Schulen tragen in Berlin bereits diesen Titel und gehören zu dem
europaweiten Schulennetzwerk, das in Deutschland von der Initiative "Aktion
Courage" getragen und koordiniert wird. Das Projekt möchte Schulen dazu
ermutigen, sich aktiv gegen Rassismus, Diskriminierung und Gewalt einzusetzen
und nicht wegzusehen. "Es ist ein Schüler-und-Schülerinnen-Projekt für
diejenigen, die sich gegen Rassismus einsetzen wollen", betont Projektleiterin
Sanem Kleff. "Wir unterstützen sie dabei, selbstverantwortlich Projekte zu
entwickeln."
Im Unterschied zu anderen Initiativen sollen den Schulen keine starren
inhaltlichen Vorgaben auferlegt werden. Zu den wenigen Bedingungen des Projekts
gehören eine Unterschriftenliste im Vorfeld, um den Titel zu erhalten, und die
Vorgabe, mindestens einmal im Jahr ein Projekt zum Thema "Rassismus,
Diskriminierung" durchzuführen. Außerdem müssen Schulen einen Paten für die
Aktion suchen. Kontrolliert wird jedoch nicht. "Wir sind ja nicht der TÜV, der
Schulen auf den Prüfstand stellt", so Eberhard Seidel, SOR-Geschäftsführer. "Wir
wollen ein Umfeld für zivilgesellschaftliches Engagement schaffen."
Die Kreuzberger Schüler befinden sich gerade in der Endphase der
Unterschriftenaktion. Mindestens 70 Prozent der Schulzugehörigen - jeweils der
Lehrer, Schüler und anderen Schulbediensteten - müssen unterschreiben und somit
erklären, dass sie sich aktiv und dauerhaft gegen Rassismus und Diskriminierung
einsetzen. Bis auf die Stufen 12 und 13 haben alle Klassen der Kreuzberger
Schule bereits unterschrieben. Die geforderten 70 Prozent hätten sie bereits
erreicht, auch wenn das Projekt nicht bei allen Schülern auf Zustimmung gestoßen
ist.
"In meiner Klasse wollten einige nicht unterschreiben, weil sie denken, dass es
Rassismus bei uns an der Schule nicht gibt", erzählt die Neuntklässlerin
Charlotte Muijs, die ebenfalls zur Projektgruppe gehört. Mitmachzwang wollen die
Schüler trotzdem vermeiden. Schließlich soll man von dem Projekt überzeugt sein
und "nicht unterschreiben, weil es alle machen und man dazu gehören möchte",
betont Charlotte, und Franziska stimmt ihr zu. "Es geht ja nicht darum, eine
Plakette zu bekommen, sondern darum, Aufmerksamkeit zu und das Bewusstsein für
diese Themen zu schaffen."
Die Bundeskoordinationsstelle will dabei begleiten und selbst Anlaufstelle sein
für engagierte Schüler. Sie organisiert Seminare und Veranstaltungen,
beispielsweise im Juni einen so genannten Open Space, eine offene
Meinungsplattform, zum Thema Islam und Sexualität. Und sie ermöglicht den
Erfahrungsaustausch der Schulen bei Kontakttreffen, etwa zwischen Ost und West -
ein Bereich, der der Initiative besonders in Berlin am Herzen liegt.
Weiterer Schwerpunkt in der Berliner Arbeit von SOR wird die multikulturelle
Gesellschaftsstruktur sein. "Aus der vielfältigen Gemengelage können sich auch
andere Formen von Rassismus und Diskriminierung entwickeln", so Seidel. Nicht
nur von der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Minderheiten, auch zwischen den
einzelnen Migrantengruppen. Deshalb will man auch auf bezirklicher Ebene mit
Initiativen zusammenarbeiten.
Franziska, Claire, Charlotte und all die anderen werden bald alle Unterschriften
haben. Dann gilt es, das überreichte Schild mit dem SOR-Logo gut sichtbar an der
Schulmauer anzubringen und einen Paten zu finden. "Es soll jemand aus Kreuzberg
sein", sagt Clair. Jemand mit Bezug zu unserer Umgebung und der Schule.
"Vielleicht jemand von der jüdischen Synagoge oder Christian Ströbele."
www.taz.de
TAZ vom 16.5.2003
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/ 2003-05-21
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