Italien:
Italienische Division
Die föderalistischen Pläne der Lega Nord könnten zur
Spaltung Italiens führen...
Wibke Bergemann
Umberto Bossi, der Vorsitzende der separatistischen und rassistischen Lega Nord,
hat vor allem ein Ziel: die Unabhängigkeit des reichen Nordens Italiens vom
verhassten armen Süden. Mitte April stimmte das italienische Parlament nun einem
Gesetzesentwurf zu, der die Regionen stärken soll. Der Entwurf wurde von Bossi
vorgelegt und sieht vor, dass den Regionen eine exklusive Gesetzesvollmacht in
den Bereichen der Gesundheit, der Bildung und der lokalen Polizei übertragen
wird. Während der Abstimmung verließ die Opposition das Parlament. »Umberto
Bossi bringt die Sezession immer wieder in neuer Verkleidung vor«, erklärte
Luciano Violante, Fraktionsvorsitzender der Linksdemokraten.
Seit dem Regierungswechsel arbeitet Bossi unermüdlich an einer Föderalisierung
des zentralistischen Staates. Unter der Bezeichnung »Devolution« brachte er sein
Projekt im Regierungsprogramm unter. Dennoch hat Bossi auch gegen Kritiker im
eigenen Regierungslager zu kämpfen, gegen die so genannten Zentralisten in der
postfaschistischen Alleanza nazionale und die Splitterparteien, die aus der
Democrazia Christiana entstanden sind. In einem Interview mit der Tageszeitung
La Repubblica warnte Rocco Buttiglioni (UDC), Minister für Europapolitik, vor
einer Auflösung des italienischen Staates. Um den Regionen eigenständige
Kompetenzen zu übertragen, müsse zuvor der Vorrang der zentralen Staatsmacht
festgelegt werden. Die Zentralisten drängen daher auf eine Verfassungsreform,
die dem Staat auch in einem föderalistischen Italien das Recht auf Koordination,
die politische Rahmengebung und die Kontrolle über die Regionen sichert.
Doch Bossi, Minister für institutionelle Reformen und Dezentralisierung, hat
sich gegen alle Gegner seines Föderalisierungsprojektes durchgesetzt. »Ich bin
nicht in diese Regierung eingetreten, um mich von irgendwelchen
Post-Christdemokraten verstricken zu lassen«, versicherte er. Denn er sieht sich
auf einer Art Wiedergutmachungsmission. »Die Christdemokraten wollten die
Diktatur der Diebe, die Kommunisten die Diktatur des Proletariats«, erklärte er
der Tageszeitung La Repubblica. Sein bestes Argument ist die regelmäßige
Drohung, die Koalition platzen zu lassen. Für die bequeme Mehrheit, die
Ministerpräsident Silvio Berlusconi im Parlament derzeit besitzt, ist er auf die
Lega Nord angewiesen. Schon die erste von ihm geführte Koalition scheiterte an
dem unberechenbaren Bossi. Das soll sich nicht wiederholen.
Selbst von Staatspräsident Azeglio Ciampi kam scharfe Kritik. Er warnte die
Regierung vor einer Spaltung in ein reiches und ein armes Italien: »Ich kann und
werde es nicht tolerieren, sollte es ein Italien der ersten Liga geben und ein
Italien, das in die zweite Liga verbannt wird.« Denn gerade hier liegt die
Brisanz des Projektes.
So wird den Regionen die Verwaltung und Organisation der Polizei, des
Gesundheitswesens und der Schulen übertragen. Die Regionen sollen die
Möglichkeit erhalten, in Bereichen, in denen sie ein spezifisches Interesse
haben, das Lehrprogramm der Schulen selbst zu bestimmen. So könnten demnächst
die Lokalgeschichte oder Sprachunterricht in den diversen Dialekten auf dem
Lehrplan auftauchen.
Doch vorgesehen ist darüber hinaus auch eine Föderalisierung des Steuerwesens.
Bossi ist angetreten, um die Steuerzahler im reichen italienischen Norden zu
verteidigen. Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, verkündete er nach der
Abstimmung im Parlament vor der versammelten Presse noch einmal seinen
Schlachtruf: Roma ladrona – Rom, die Diebin. »Wenn ich für ein Fünfsternehotel
bezahle, will ich nicht in einer Viersternepension untergebracht werden.« So
sieht die Vorsitzende der Lega Nord im Veneto, Manuela Dal Lago, das Problem.
Die erwirtschafteten Steuern sollen den Bürgern zugute kommen.
Im Gespräch ist unter anderem ein Modell, bei dem 70 Prozent der Einnahmen aus
der Mehrwertsteuer in der Region bleiben. Für den Süden Italiens würde das den
Bankrott bedeuten. Die Region Lombardien um Mailand beispielsweise verfügte dann
über jährliche Mehreinnahmen von rund 1,6 Milliarden Euro, der südlichen Region
Apulien ständen 400 Millionen, Kampien sogar 600 Millionen weniger zur
Verfügung.
Kritiker gehen davon aus, dass im Süden die Gehälter im öffentlichen Dienst
sinken, qualifizierte Kräfte in den Norden abwandern würden. Schon jetzt besteht
in der Privatwirtschaft ein Nord-Süd-Gefälle mit Lohnunterschieden bis 50
Prozent. Höhere Steuereinnahmen könnten zudem im Norden zu einer Senkung der
Steuersätze führen und weitere Unternehmen in diese Regionen locken. Der Graben
zwischen den norditalienischen Regionen, die zu den reichsten in der EU gehören,
und dem verarmten Mezzogiorno müsste sich zwangsläufig vergrößern.
Kritiker wie der Wirtschaftssoziologe und Mitbegründer der
Fair-Trade-Zeitschrift Altreconomia, Tonino Perna, sehen in der
Dezentralisierung eine Strategie, die sozialen Auseinandersetzungen von der
nationalen auf die lokale Ebene zu verlagern. Durch den Steuerföderalismus werde
das Defizit der öffentlichen Haushalte auf die ärmsten Regionen abgeschoben. Der
Abbau des italienischen Sozialstaats würde Perna zufolge in einem
föderalisierten Italien vergleichsweise schmerzfrei für die Regierung in Rom
verlaufen.
Noch steht Bossis Projekt am Anfang. Die im April verabschiedete institutionelle
Reform muss, weil es sich um eine Verfassungsänderung handelt, zunächst noch ein
zweites Mal den Senat und das Parlament passieren und dort mit einer
Zweidrittelmehrheit bestätigt werden, bevor sie in Kraft treten kann. Doch die
Reform ist nur der erste Schritt.
Denn Bossi will mehr. Zwar fand er wenig Begeisterung für seine Vorschläge, das
Verfassungsgericht zu regionalisieren und außer Rom vier Vizehauptstädte zu
ernennen. Eine »bizarre Idee«, meinte der stellvertretende Premierminister
Gianfranco Fini. Weitaus mehr Erfolg versprechen dagegen die Pläne zur
Einführung einer Länderkammer sowie zur Umwandlung der parlamentarischen in eine
Präsidialdemokratie.
Vor allem mit dem Vorschlag des »presidenzialismo« findet Bossi in der
Regierungskoalition auch bei der autoritären, postfaschistischen Alleanza
nazionale und bei dem machthungrigen Regierungschef Berlusconi Interesse. Denn
der träumt davon, Italien in ein Präsidialsystem umzuformen, in dem er sich, am
Ende seiner Amtszeit als Premierminister, zum Präsidenten wählen lassen könnte.
www.jungle-world.com
Jungle World (Nummer 20 vom 07. Mai 2003)
DG /
hagalil.com
/ 2003-05-09
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