Italien:
Ich, der Staat
Berlusconi vor Gericht...
Wibke Bergemann
»Angriff ist die beste Verteidigung«, dachte sich wohl der italienische
Premierminister Silvio Berlusconi und trat in der vergangenen Woche entgegen dem
Rat seiner Anwälte persönlich in einem juristischen Verfahren auf. Berlusconi
ist vor einem Mailänder Gericht angeklagt, im Zusammenhang mit dem Kauf des
staatlichen Lebensmittelkonzerns SME Mitte der achtziger Jahre Richter bestochen
zu haben. Den Auftritt nutzte er nun, um seine Version der Affäre zum Besten zu
geben: Er habe damals keine eigenen Interessen verfolgt, sondern lediglich eine
Situation verhindert, die den Staatsinteressen zuwider gelaufen sei. Es handle
sich um paradoxe Anschuldigungen, so der Regierungschef.
Es sind schwierige Zeiten für Berlusconi. Erst Ende April wurde einer seiner
engsten Vertrauten, der Senator und ehemalige Verteidigungsminister, Cesare
Previti, wegen Bestechung römischer Richter zu elf Jahren Haft verurteilt. In
einem der beiden Korruptionsfälle, die verhandelt wurden, hatte Previti als
Anwalt Anfang der neunziger Jahre die Richter geschmiert, um seinem Klienten
Berlusconi das Kaufrecht an dem Verlagsriesen Mondadori zu sichern. Berlusconi
entkam einem Verfahren in diesem Fall lediglich wegen Verjährung. Auf die
Verurteilung Previtis reagierte er mit einer Kampfansage an die italienische
Justiz.
Mit mehreren neuen Gesetzen ist es der Rechtsregierung gelungen, die
Möglichkeiten der Staatsanwälte und der Gerichte zu beschränken. Vom Gesetz, das
die Verwendung von Beweismaterial aus dem Ausland erschwert, bis zum so
genannten Cirami-Gesetz, das die Überweisung eines Verfahrens an ein anderes
Gericht erleichtert. Letzteres war auf den nun abgeschlossenen Prozess gegen
seinen Freund Previti zugeschnitten.
Nun hat Berlusconi in seinem persönlichen Feldzug gegen die Justiz den Ton noch
einmal verschärft. Ausgerechnet er, der seine privaten Probleme zu
Staatsangelegenheiten macht, wirft den Richtern eine »Politisierung« vor. Die
Gerichte seien kommunistisch unterwandert. Den verurteilten Previti nennt er
einen »Verfolgten der Justiz«. Die »politisierten und kämpfenden Richter« seien
»ein Krebsgeschwür, das ausgemerzt werden muss«, tönte er vergangenen Freitag in
einem Fernsehinterview, das von dem staatlichen Sender RAI ausgestrahlt wurde.
Darin bekräftigte er auch seine Absicht, während er selbst gerade vor Gericht
steht, wieder die Immunität von Politikern einzuführen, die nach den vielen
Skandalen in den neunziger Jahren aufgehoben wurde.
In seiner Selbstherrlichkeit macht Berlusconi aus der Entscheidung der Richter
einen nationalen Notstand. Die Verurteilung seines Vertrauten Previti erklärt
der Premierminister zu einem Angriff auf den Staat, und die Richter beschimpft
er als Putschisten, die versuchten, die Regierung zu stürzen. Dabei setzt er
sein eigenes Wohlergehen und das seines engsten Kreises mit dem des
italienischen Staates gleich. L’état c’est moi.
So war es keine Übertreibung, als der Musiker Daniele Silvestri beim großen 1.
Mai-Konzert auf der Piazza San Giovanni von einem Krieg der Regierung gegen die
Justiz sprach: »Ich habe Angst vor Berlusconi. Dieser Staat hat eine Vorstellung
von sich selbst, die mich mit Schrecken erfüllt.«
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Jungle World (Nummer 21 vom 14. Mai 2003)
DG /
hagalil.com
/ 2003-05-14
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