Medien:
Ende der Radioaktivität
Die Hamburger Radiogruppe FSK trennt sich wegen seiner
antisemitischen Positionen von ihrem antiimperialistischen Flügel...
Guido Sprügel
Es wurde jahrelang gestritten, debattiert, theoretisiert und am Ende dann ganz
nüchtern formuliert: »Mit der Trennung von der Radiogruppe Forum Radio hat die
Anbieterinnengemeinschaft einen Schlussstrich unter den jahrelangen Streit um
Antisemitismus und projektschädigendes Verhalten der Gruppe gezogen.« Das sagte
Erhard Wohlgemuth vom Vorstand des FSK am vergangenen Freitag.
Das Radio Freies Sender Kombinat (FSK) ist ein freies, linkes Radioprojekt, das
seit einigen Jahren in Hamburg auf der Vollfrequenz 93,0 sendet und aus fünf
Radiogruppen mit je unterschiedlichen Schwerpunkten und Positionen besteht. Die
Heterogenität des Senders hat ihren Ursprung in der linken Geschichte nach 1989,
es ist ein klassisch postautonomes Projekt. Von alten kommunistischen Gruppen
über klassische Antiimps bis hin zu Antideutschen – jedwede linke Schattierung
lässt sich beim FSK finden. Und jede dieser Gruppen ist mit eigenen Sendungen
vertreten. Bei dieser Zusammensetzung ließ der Streit nicht lange auf sich
warten.
Drei Jahre lang wurde über den Verbleib der Redaktion Forum Radio im FSK
gestritten. Erklärungen lösten Erklärungen ab, und immer wieder gab es
Sendeverbote für einzelne Mitglieder der Gruppe. »Die Gruppe Forum Radio steht
in der Tradition der antiimperialistischen Bewegung der achtziger Jahre«, so
Gerhard von der Redaktion Stadtteilradio, »und damit auch in der Tradition des
antiimperialistischen Verhältnisses zu Israel.« Und genau um dieses und um den
Antisemitismus ging es in den Streitigkeiten, die schließlich zum Ausschluss
führten. Genauer gesagt in den drei großen Auseinandersetzungen, die den Sender
in den letzten drei Jahren immer wieder beschäftigten.
Der erste Streit datiert auf das Jahr 1999. In einem vom Forum Radio
verantworteten Nachruf auf den verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats, Ignatz
Bubis, wurde dieser als »jüdischer Kapitalist« bezeichnet, der neben seiner
Funktion als Zentralratsvorsitzender auch ein übler Immobilienspekulant gewesen
sei. Aus den Reihen der anderen Projektbeteiligten hagelte es Protest gegen den
Nachruf. »Die Verwendung der eindeutig antisemitischen Verbindung von Jude und
Großkapital war unhaltbar. Damals wurde der alte antisemitische Topos des
›jüdischen Spekulanten‹ von vermeintlich linker Seite ungeniert aufgegriffen«,
erläutert Knut Wegener von der Radiogruppe Loretta den Streit. Den
Sendungsmachern wurde mit eindeutiger Mehrheit ein Sendeverbot erteilt. Diese
wiesen die Kritik zunächst mit der Begründung zurück, die Beschreibung von Bubis
als »jüdischem Kapitalisten« sei kein antisemitischer Topos, schließlich sei er
doch ein Kapitalist gewesen. Später räumten sie jedoch ein, dass die Kritik
berechtigt sei, und es folgte eine fruchtbare Phase der Diskussion um
Antisemitismus im FSK. Bis zum nächsten Eklat.
In einer Sendung der Redaktion »Knast und Justiz«, die ebenfalls zum Forum Radio
gehört, gab es im Dezember 2000 geradezu ein Feuerwerk links verbrämten
Antisemitismus. In der Sendung war u.a. ein Palästinenser zu Gast, der seine
Sicht auf den Nahostkonflikt unkommentiert verbreiten konnte. »Die Äußerungen
von dem so genannten ›Achmed› waren unhaltbar. Gleich an mehreren Stellen nahm
er historische Vergleiche vor, die in ihrer Konsequenz einen ganz klar
antisemitischen Hintergrund hatten«, so Steff Wolf von der Radiogruppe Loretta.
So meinte der Redner, der als »Achmed« auftrat, dass die Palästinenser »alles
erlebt haben, was die Juden damals erlebt haben – KZ, Vertreibung, hundert
Millionen Flüchtlinge, verschiedene Massaker«. Linke, die die Palästina-Bewegung
angriffen, stellten sich auf die Seite der Faschisten, auf die Seite des
israelischen Staats, der wiederum nur ein amerikanischer Stützpunkt mit
Atomwaffen sei. Die Redakteure von Forum Radio ließen diese Äußerungen
unkommentiert bzw. pflichteten ihnen bei. »Diese Aussagen zu Israel stehen
eindeutig in einem antisemitischen Kontext«, so Susan Kappelhoff von der
Radiogruppe Loretta. »Die Gleichsetzung des Holocaust mit der palästinensischen
Situation führt zu einer Relativierung des Holocaust und zu einer
Opfer-Täter-Umkehr, indem die Israelis die heutigen Faschisten darstellen.« Der
von den deutschen Nazis industriell betriebene Massenmord an den europäischen
Juden war ein staatlich gewolltes Vernichtungsprogramm, dass die totale
Eliminierung der Juden zum Ziel hatte. Dieses mit der Situation der
Palästinenser heute zu vergleichen, führt zu einer Bagatellisierung des
Holocaust. Im weiteren Verlauf rechnete »Achmed« dann die so genannten
Wiedergutmachungsleistungen von deutscher Seite um und kam darauf, dass
eigentlich jeder Jude in Israel Millionär sein müsste. »Diese Rechnung ist nicht
nur falsch, sie gehörte eigentlich nicht zur Sendung und dient nur dem Zweck,
Israel in den geschichtlichen Kontext mit dem NS zu stellen nach dem Motto:
Israel ist nur mit NS-Geldern so stark geworden«, so Steff Wolf von Loretta.
Über das von der Mehrheit der Anbieterinnengemeinschaft ausgesprochene
Sendeverbot setzten sich die Mitglieder von Forum Radio in der Folge hinweg.
Einer Auseinandersetzung stellte sich die Redaktion nicht.
Der jüngste Skandal im FSK ereignete sich im April 2002 in der Forum-Sendung
»Afrika, Asien, Lateinamerika InKontakt«. Darin kam ein Palästinenser zu Wort,
der erneut antisemitische Klischees unkommentiert verbreiten konnte. So
verlangte er von Paul Spiegel, er solle in seiner Funktion als Vorsitzender der
jüdischen Gemeinde in Deutschland doch gefälligst Stellung zur israelischen
Politik nehmen. Dieses Klischee, dass jüdische Mitbürger keine deutschen Bürger,
sondern Stellvertreter Israels seien, gehört zum Standardrepertoire
antisemitischer Argumentationen. Juden sind und bleiben Fremdkörper in
Deutschland, so die Quintessenz der Aussage. Im Verlauf der Sendung verglich der
gleiche Gast dann den Widerstand im Warschauer Ghetto mit dem Widerstand in
Jenin. »Auch hier wird eine unzulässige Verbindung zwischen israelischen
Verbrechen und Verbrechen der Nazis gezogen. Der Vernichtungswille der Nazis
wird somit bagatellisiert und die Besonderheit des Holocausts geleugnet«, so
Susan Kappelhoff von Radio Loretta. Trotz wiederholter Gesprächsangebote von
Seiten der vier weiteren Radiogruppen stellte sich die Forum-Redaktion nicht der
Kritik. Auch als die Gemeinschaft ein Sendeverbot für die Sendung »InKontakt«
verhängte, zeigte Forum Radio keine Gesprächsbereitschaft. Stattdessen
publizierte die Gruppe diverse Flugblätter, die immer wieder den Vorwurf der
Zensur erhoben. Über das Sendeverbot für »InKontakt« setzten sich Mitglieder von
Forum Radio im Sommer letzten Jahres mit Gewalt hinweg. Sie versuchten, sich den
Weg zu den Redaktionsräumen freizuprügeln – vorbei an Blockierern der anderen
Radiogruppen, die das Sendeverbot verteidigen wollten. Die Prügelei war der
vorläufige Höhepunkt der jahrelangen Debatten um Forum Radio. Dieses hatte schon
zu Beginn der Streitereien vor mehr als drei Jahren nach und nach seine
Zahlungen an das Projekt eingestellt und im November vergangenen Jahres alle
Delegierten aus der Anbieterinnengemeinschaft zurückgezogen.
»Mit einer Radiogruppe, die sich dieser Diskussion beständig verweigert, in der
Kritikabwehr bis zur körperlichen Gewalt geht und für eigene Zwecke das
Gesamtprojekt gefährdet, ist eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich«, so Erhard
Wohlgemuth. Der Neuanfang ohne Forum Radio, für den sich drei Gruppen der
Anbieterinnengemeinschaft ausgesprochen haben, soll in den nächsten Monaten mit
einer Programmreform und öffentlichen Veranstaltungen vollzogen werden.
Weitere Texte und Infos zu den Ereignissen auch unter www.fsk-hh.org.
www.jungle-world.com
Jungle World (Nummer 20 vom 07. Mai 2003)
DG /
hagalil.com
/ 2003-05-09
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