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68´er:
Unser deutscher Rudi

35 Jahre nach der Studentenrevolte erklärt Bernd Rabehl, womit sich Rudi Dutschke vor allem beschäftigte: mit der »Deutschen Frage«...

Jörg Sundermeier

Im Dezember des vergangenen Jahres überraschte die Deutsche Stimme ihre Leser mit der Nachricht, dass Rudi Dutschke, wenn schon nicht einer der ihren, so doch ein guter »nationaler Revolutionär« gewesen sei. »Zwar gab es damals häufig handfeste Auseinandersetzungen zwischen der Apo und der NPD, bei genauerem Hinschauen finden sich manche inhaltliche Parallelen.«

Diese Erkenntnis, die so ganz falsch nicht ist, Dutschke dennoch nicht zwingend als Nationalen ausweist, verdankt der Autor des Artikels, Arne Schimmer, einer neuen Dutschke-Biographie von Bernd Rabehl. Das Buch »Rudi Dutschke. Revolutionär im geteilten Deutschland« erschien im vergangenen Jahr in der »Reihe Perspektiven« im Verlag Edition Antaios, welche von Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek herausgegeben wird. Rabehl, der sich anhaltend dagegen wehrt, als Neofaschist und Rechtsextremer eingeordnet zu werden, sieht offensichtlich darüber hinweg, dass Kubitschek und Weißmann zum Umfeld der rechtsextremen Jungen Freiheit gehören und dort als führende Köpfe gelten.

Rabehl gibt sich ahnungslos. Aber was seinen alten Genossen Dutschke angeht, ist er der Wissende. Gleich auf den ersten Seiten seines Buches macht er deutlich, dass die bisherigen Biographien einen wesentlichen Punkt nicht erfasst hätten: Dutschke dachte und fühlte ganz und gar deutsch. Insbesondere seiner Frau Gretchen Dutschke, einer Amerikanerin, blieb dieses Wissen über Dutschke aber verborgen, was Rabehl zufolge herkunftsbedingt war: »Gretchen Dutschke war sicherlich die intime Gesprächspartnerin ihres Mannes, aber sie hatte keinerlei Zugang zur Deutschen Frage, im Gegenteil waren und blieben ihr die deutschen Verhältnisse und Freunde immer suspekt.« So musste Rabehl, der »deutsche Freund«, antreten, um die Dinge ins rechte Licht zu rücken.

Denn die »Deutsche Frage« sei das zentrale Moment in Dutschkes Werk gewesen, schreibt Rabehl. Deutschland war besetzt, und die »Besatzer« taten alles, um »die Freiheit« zu unterdrücken. »Wie im 18. und 19. Jahrhundert Russland und England über ›Geheimdiplomatie‹ sich verständigt hatten, revolutionäre Veränderungen in Europa zu bekämpfen, so waren im 20. Jahrhundert USA und UdSSR bemüht, alle Erschütterungen der Machtstrukturen in der Welt zu vermeiden.« Die Sowjets bedienten sich nackter Gewalt, die USA hingegen hatten den »Konsum« auf ihrer Seite: »Er grub sich ein in die Psyche des Menschen, beraubte ihn seiner Persönlichkeit und schuf eine wachsende Charakterlosigkeit, die lediglich alle Nuancen von Konsum widerspiegelte. Alles war austauschbar, jeder war käuflich, alle spielten die Reklamespots nach, waren glücklich und schön, vor allem ›jung‹, und entdeckten sich selbst in den Heldengestalten von Film, TV, Sport und Krieg und waren schon deshalb immer der oder die andere, nie sie selbst.« Die distanzierenden Anführungszeichen gehören zu Rabehls Schreibe wie die eigenartige Grammatik.

Wie auch immer – die Rhetorik von der Besatzung zielt natürlich darauf ab, dass Deutschland sich befreien müsse. »Die deutsche Misere war für Dutschke immer auch ein europäisches Debakel und deshalb eine Misere der Linken. Solange sie nicht die selbstgelegten Fesseln zerriss, blieb sie bedeutungslos. ›Nation‹ war für Dutschke unter diesem Blickwinkel Instanz des Freiheitskampfes.« Der von Rabehl stets in Anführungszeichen gesetzte Internationalismus der Kommunisten dagegen sei nichts weiter als ein Deckmantel gewesen, unter welchem die UdSSR ihre Machtpolitik betrieben habe. Welcherart diese Machtpolitik war, bleibt unklar. Das muss Rabehl nicht irritieren, denn in seinem Weltbild ist Macht an sich bereits etwas Konkretes; die Vorstellung, dass ein Staat von der Bedeutung der UdSSR eine gewisse Sicherungspolitik notwendig zu betreiben hatte, kommt ihm nicht in den Sinn. Von Macht zu reden, das genügt in seiner windelweichen Theorie. Denn er selbst erliegt gern der Macht.

Dutschke wird bei Rabehl zu einer einzigartigen Führerfigur und zu einem großen Theoretiker, obschon er in seiner Argumentation beinahe ohne Zitate auskommt. Es versteht sich von selbst, dass Rabehl behauptet, diejenigen 68er, die militanter wurden, hätten Dutschke als »Commandante« mit sich in den Untergrund nehmen wollen. Und natürlich wird eine solch starke charismatische Führungsfigur nicht einfach niedergeschossen, nein, mysteriöse Mächte lassen sie liquidieren: »Josef Bachmann aus Peine, ein Mann aus den Unterschichten, Abhauer, Kleinkrimineller, ein Getriebener fühlte sich aufgerufen durch die Nationalzeitung, Deutschland von Dutschke zu befreien. (…) Dutschke war später überzeugt, dass Bachmann andere Motive und Hintermänner hatte. (…) Dutschke war immer überzeugt, dass der sowjetische oder DDR-Geheimdienst hinter diesem Attentat stand.« Und der erreichte laut Rabehl sein Ziel: »Der SDS zerfiel, und an seine Stelle wurden besatzungskonforme Organisationen gestellt oder Gruppen, die den inneren Zusammenhalt einer Opposition aufsprengten.«

Rabehls Dutschke aber kämpfte bis zuletzt dagegen, dass die »Deutsche Frage«, also die Freiheit, unterging. »Nation war deshalb die Rückbesinnung auf die Werte von Liberalismus und Konservatismus und vor allem auf die Ziele der Arbeiterbewegung, Freiheit mit Demokratisierung zu verbinden.«

Dieser allzu wirr daherkommende »Querfront«-Unsinn ist keine Strategie, er ist deutscher Ernst. Denn Rabehl, der seinen Dutschke verlor, sei, so schreibt er, schließlich selbst ins Visier geraten. Als es Proteste gegen seinen Vortrag vor der schlagenden Verbindung Danubia in München vor über vier Jahren gab, bei dem Rabehl nur die »nationalrevolutionäre Zielsetzung« Dutschkes, also offensichtlich sein eigenes Ansinnen, erläutert hatte, erkannte er gleich: »Die Regie (der Proteste, J.S.) verwies nicht auf Antifa-Sekten, sondern auf ausländische Geheimdienste.« An welche er denkt, schreibt Rabehl nicht, allerdings existiert der KGB nicht mehr. Im Ostpreußenblatt vom März dieses Jahres wird er deutlicher: »Die Amerikaner und der Mossad sind hier sehr aktiv, um Alternativen zu verhindern.« Fragt sich, wer den Bachmann macht.

www.jungle-world.com
Jungle World (Nummer 19 vom 30. April 2003)

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