Brandenburg:
Zone der Angst
Auch wenn keine rechtsextremen Organisationen vorhanden
sind, kann ein rechter Konsens bestehen. Das zeigt eine Studie am Beispiel
Oranienburg...
Jens Thomas
Oranienburg muss einfach schön sein: Gelangt man auf die Homepage des Städtchens
im Landkreis Oberhavel mit seinen 30 000 Einwohnern, wird man mit einem
freundlichen »Willkommen in Oranienburg« begrüßt und zum Besuch eingeladen.
Angepriesen wird die »reizvolle Lage in der urwüchsigen Märkischen Landschaft
mit zahlreichen Seen und Flüssen, insbesondere der Lage am westlichen Ufer des
Lehnitzsees«.
Die Homepage verrät jedoch nicht, welche gesellschaftlichen Probleme der
Rechtsextremismus in der idyllischen Kleinstadt mit sich bringt. Um dieser Frage
nachzugehen, fand sich im vergangenen Jahr eine Forschungsgruppe von Studenten
der FU Berlin unter Leitung des Politikprofessors Hajo Funke zusammen. In einer
einjährigen Studie sollte das Phänomen des Rechtsextremismus durch Interviews
untersucht werden. »Wir wollten die Menschen in dieser Region auf rechtsextreme
Tendenzen aufmerksam machen und zu Diskussionen anregen«, sagt Ingo Grastorf,
ein Soziologiestudent. Denn rechtsextreme Einstellungen sind in Oranienburg
weiterhin vorhanden und bergen eine akute Gefahr.
Zwar ist der offen ausgetragene, gewalttätige Straßenkrawall rechtsextremer
Jugendgruppen im Vergleich zu den Jahren 1992/93 etwas schwächer geworden, dafür
aber herrscht ein mehr oder minder rechter Konsens, in den sich rechte
Jugendliche stillschweigend eingliedern können.
Untersuchen wollte man insbesondere den Rechtsextremismus als Alltagskultur und
das Handeln auf kommunaler Ebene und in den Verwaltungsapparaten. Die Erhebung
baut auf Forschungsergebnissen auf, die 1998 in dem Buch »Wir wollen uns nicht
daran gewöhnen« von Markus Kemper, Harald Klier und Hajo Funke dargestellt sind.
Damals sollte Fremdenfeindlichkeit in Oranienburg untersucht und der Bürger dazu
ermutigt werden, den rechten Konsens nicht hinzunehmen. Das aktuelle Ergebnis
lautet: »Man nimmt ihn sehr wohl hin und hat sich an eine Alltagskultur mit
rechten Vorzeichen gewöhnt«, sagt Ralph Gabriel, ein pädagogischer Betreuer der
Gedenkstätte Sachsenhausen und Mitinitiator der Studie.
Wie viele andere Oststädtchen wurde Oranienburg nach 1989 von einem Rechtsruck
erfasst. 1992 hatte die offene rechtsextreme Gewalt mit bundesweit etwa 2 700
Übergriffen ihren Höhepunkt. Knapp 900 wurden in dieser Zeit allein in
Ostdeutschland verübt – bei einem Bevölkerungsanteil von einem Fünftel und einem
Migrantenanteil von weniger als zwei Prozent, wie Analysen des
Rechtsextremismusforschers Richard Stöss belegen.
Auch in Oranienburg kam es nach dem Mauerfall zu zahlreichen rechtsextremen
Gewalttaten. So wurde ein Mann von rechten Jugendlichen totgeschlagen und ein
Brandanschlag auf die Gedenkstätte Sachsenhausen verübt. »Eine selbst ernannte
Bürgerwehr fing sogar Gedenkstättenbesucher am Bahnhof ab und verlangte ihre
Ausweise«, berichtet Gabriel. Diese Formen der Gewalt seien zwar seltener
geworden, von Entwarnung könne aber nicht gesprochen werden. Im Jahre 2002 gab
es im Landkreis Oberhavel nach Polizeiangaben 83 rechtsextreme Straftaten. Im
Vergleich zu den Vorjahren hat die Gewalt wieder zugenommen, im Vergleich zur
Nachwendezeit ist sie dennoch wesentlich geringer. »Die Empfindung der
Zivilbevölkerung gegenüber der Gewalt hat sich aber relativiert. Das
Gewaltproblem wird heute stillschweigend akzeptiert«, sagt Gabriel. Zwar erkenne
man die Probleme, weise sie aber schnell von sich. In den umliegenden Orten
Henningsdorf und Wittstock sei es doch schlimmer, heiße es dann.
Lisa Wandt, Politologiestudentin und Mitarbeiterin der Studie, sieht die Ursache
für das Wegschieben des Problems vor allem darin, dass man das Bild der Gemeinde
wahren wolle: »Die Stadt will sich im positiven Licht darstellen.« Und Ingo
Grastorf macht darauf aufmerksam, dass rechte Gesinnungen heute nicht immer
sofort zu erkennen seien. »In den heutigen Biografien können verschiedenste,
eigentlich eher unvereinbare Stilelemente kombiniert werden. So bezeichnen sich
Jugendliche als Hip-Hopper, haben aber latent rechtsextreme Einstellungen.«
Damit bekräftigt die Studie, was Bernd Wagner vom Zentrum Demokratische Kultur
(ZDK) schon vor Jahren in seinen Untersuchungen feststellte: Von einer
Randerscheinung des Rechtsextremismus kann in den neuen Bundesländern nicht die
Rede sein. Vielmehr gebe es eine rechts kodierte kulturelle Hegemonie, in der
sämtliche Stile »koexistieren« können.
Diese kulturelle Hegemonie, eine Dominanz rechtsextremer Werte, findet die
Forschungsgruppe in sämtlichen Bereichen. So schöpften die Verwaltungen, die
Polizei und der Stadtrat ihre Möglichkeiten, gegen rechte Aktivitäten und Gewalt
vorzugehen, längst nicht aus.
Dabei sei der Organisationsgrad ziemlich schwach. So gebe es beispielsweise
keine »Kameradschaft« in Oranienburg, von denen laut Verfassungsschutzbericht
aus dem Jahr 2000 bundesweit etwa 150 existierten. Auch habe die NPD keine
örtliche Jugendorganisation, und ein rechter Jugendclub sei nicht vorhanden. Da
treffe man sich also in Gaststätten oder im Schlosspark, meint Gabriel.
»Die Strukturen in der Region sind eher informell«, sagt er weiter. Gute
Verbindungen zu den Kameradschaften in Wittstock gebe es dennoch. Aufgrund der
schwachen Organisationsstrukturen könne man auch nicht von »national befreiten
Zonen« im Sinne des Strategiepapiers des Nationaldemokratischen Hochschulbundes
(NHB) von 1991 sprechen. Ziel dieses Konzepts sei die »Etablierung einer
Gegenmacht« durch die Rechtsextremen. »Diese Strategie setzt jedoch einen hohen
Organisationsgrad voraus«, sagt Grastorf. Darum sei es besser, in Oranienburg
von »Zonen der Angst« zu sprechen. So ist nach Ansicht der Forscher die Siedlung
Leegebruch, die für die Heinkelwerke gebaut wurde, für fremd Aussehende und
politische Gegner in den Abendstunden sehr gefährlich. Auch am »weißen Strand«
am Lehnitzsee oder im Bahnhofsviertel dominierten rechte Gruppen.
Zwar gibt es auch Protest gegen den rechten Konsens. Das »Forum gegen Rassismus
und rechte Gewalt« oder die »AG gegen Rechts«, eine Initiative am
Runge-Gymnasium, versuchen, Projekte gegen Rechts zu inszenieren und an den
Schulen aufzuklären. »Doch diese Initiativen können an einer Hand abgezählt
werden«, stellt Grastorf fest. Auch hätten sie einen schweren Stand inmitten
eines rechten Klimas. Und daran wird wohl die nette Homepage der Stadt nichts
ändern, auch wenn die Lage am westlichen Ufer des Lehnitzsees noch so schön sein
mag.
www.jungle-world.com
Jungle World (Nummer 19 vom 30. April 2003)
kt /
hagalil.com
/ 030430
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