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Judentum und Israel
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IV.
Von Interaktions- und Kommunikationsgewohnheiten in "rechten" Jugendcliquen

Deutegemeinschaften mit rechtsextremen Wirklichkeitskonstruktionen werden erst dann zum handgreiflichen gesellschaftlichen "Problemfeld", wenn sich aus diesen Gemeinschaften funktionierende soziale Gruppen herausbilden, die auf der Basis der gemeinsam geteilten fremdenfeindlichen und rechtsextremen Konstruktionen durch ihre gruppenspezifischen Gewaltaktionen auffallen.

Was liegt also näher, als sich die gruppenspezifischen Interaktions- und Kommunikationsgewohnheiten in jenen Jugendcliquen anzusehen, die sich selbst als "rechts" bezeichnen. 1994 haben Beate Niebergall, Jörg Neumann und Klaus Jabs mit Mitgliedern aus solchen Cliquen umfangreiche Interviews geführt (vgl. Niebergall 1995, Neumann 1995, Jabs 1995). Lesen Sie, was die Jugendlichen, die Klaus Jabs interviewte, über sich zu erzählen wußten. Zunächst beschreibt er, wie er auf "seine" Clique traf:

"In welcher Stadt ich sie traf, ist eigentlich belanglos. Es gibt viele dieser Art und sie gleichen sich zumindest auf den ersten Blick: Häuserfluchten, Wohnblocks, Kaufhalle, neue Geschäfte, Schulen. Das Bild von den trostlosen, dafür gewaltvollen Neubauwohngegenden ist oft strapaziert worden und entbehrt natürlich nicht eines gewissen rationalen Kernes. Als einzige Ursache für Gewalt kommen die Wohnsiedlungen aber wohl kaum in Frage, zumal gerade im besagten Wohngebiet z.B. die Anzahl der Jugendeinrichtungen im Verhältnis zu anderen Stadtteilen und im Verhältnis zur Bevölkerungsdichte deutlich höher ist als in anderen vergleichbaren Städten. Dennoch scheint die Anzahl dieser Einrichtungen immer noch zu gering zu sein, um allen Jugendlichen ein potentielles Angebot für die Freizeit bieten zu können. Not macht auch hier erfinderisch und Räume finden Jugendliche meist - ob in Hauseingängen, an der Tischtennisplatte im Hofrondell der Häuser oder in leerstehenden Baracken. Nebenbei entstehen mit den Räumen auch diverse Gruppennamen: Brücken-Clique, Passagen-Gang, Hof-Clique u.a. (Namen geändert). Die Abgrenzung zu anderen Gruppen und die Zugehörigkeit zur eigenen Clique werden so symbolisiert und erhalten Gestalt. Einige Cliquen nennen sich auch nach den Clubs, in denen sie sich bevorzugt aufhalten und die u.U. auch von ihnen beherrscht werden. Freizeit in einem Club zu verbringen, heißt dann auch, in einer Clique zu sein und umgekehrt: zu einer Clique zu gehören, ist hauptsächlich mit der Freizeit im Club verbunden. In der Clique, die ich kennenlernte, funktionierte diese einfache Wechselseitigkeit allerdings nicht oder nur bedingt. Die Clique war und ist mehr für die Jugendlichen, die sich selbst als rechts bezeichnen. Ideologisches spielt zwar nicht die tragende Rolle für die Mitgliedschaft in der Gruppe. Die Selbstdarstellung als rechts ist jedoch die nach außen hin sichtbare Gemeinsamkeit der Gruppenmitglieder. Ihr Selbstverständnis verbalisieren sie zum einen in unterschiedlicher Intensität ...neutral, mit einem leichten Drall nach rechts; ...rechts aber nicht radikal; und zum anderen ist es an offen gezeigte Symbole (Springerstiefel, Haarschnitt etc.) gebunden..." (Jabs 1995, S. 192f.).

Klaus Jabs, bei dem ich mich herzlich für die Überlassung der Interviews bedanke, interviewte die Jugendlichen mit Hilfe eines Interviewleitfadens. Die folgenden Auszüge aus zwei Interviews orientieren sich an den Kategorien dieses Leitfadens. Die Antworten der Jugendlichen sind jeweils kursiv hervorgehoben.

Aus dem Interview mit Doreen

Feinde:

Was so auf der Straße rumhängt, sind ja alles Linke. Drogen und Linke, das ist für mich ein Thema. Links - Punks, Drogen, dreckig, eklig, stinken, Ausländer.

Bedeutung der Clique:

...wie eine Familie. ...wie ein zweites Zuhaus. Ich würd ohne das...eingehen. ...ganz bestimmte Leute, die sind das Wichtigste, was ich habe. ...man hilft sich gegenseitig...wenn man Probleme hat Zuhause. ...die wissen, wenn sie mit uns Ärger kriegen, wird das ganz böse, weil noch Leute hinter uns stehen. ...ganz bestimmte Leute, wo ich weiß, ich kann hingehen...mit denen kann ich alles besprechen, die helfen mir auch... weil man dadurch seine ganzen Probleme...erstmal vergessen kann. ...um den Alltagsstreß zu vergessen. ...um sich mit Freunden auszutauschen...

Verantwortungsübernahme:

Führung würd ich nicht übernehmen, ich hätte immer das Gefühl, daß jemand hinter meinem Rücken... Tresen, wird übernommen.

Geschlechterrollen:

Was würden die denn machen, wenn auf einmal diejenige weg ist, die alles für sie gemacht hat, dann stehen sie da und wissen nicht weiter.

Denkhintergründe, politische Meinung:

Meiner Meinung nach ist das wie bei den Erwachsenen, die einen wählen CDU, die anderen SPD... ...in den Medien und überall,... die bösen Rechten. Wenn ein Rechter vor Gericht steht, der wird härter bestraft. ...als wenn bloß die ganzen Rechten den Stunk machen...die Zecken sind auch nicht viel besser. ...immer, wenn irgendwas ist, haben nicht wir den Stunk jemacht, sondern die Zecken.

Begründungen für Nichthandeln:

...jetzt, weil wir hier drin sind im Club (gibt’s keine Prügeleien oder sonstwas). Wir haben auch so unsere Beschäftigungen, spielen Karten oder unterhalten uns. Wenn man auf der Straße rumhängt, da hat man halt Langeweile. Wir sind rechts, ja. Aber warum sollen wir denn hier Leute verprügeln? Was bringt uns denn das?

Aus dem Interview mit Alfred

Feinde:

...na, die Rapper, da haben wir uns oft geprügelt und Anzeigen gekriegt. Wenn die weg gewesen wären, hätten wir uns vielleicht neue gesucht. Feinde gibt es jetzt immer noch, für mich aber kein Problem.

Freizeitort:

...oft hier rumhängen oder mal bei Kumpels oder Disco, vielmehr ist nicht drin... außer mal Fußball... Hauptbeschäftigung hier: Quatschen.

Kultur, Musik, Outfit:

...deutsche Musik, weil ich die Texte verstehe, fast ausschließlich Böhse Onkelz... wenn man da länger drüber nachdenkt, gibt das einen Sinn, nicht nur was Ausgedachtes, sondern Tieferes, glaub ich. Flatliners, so ein Film über das Leben nach dem Tod. Outfit ist nicht so wichtig.

Clique als sozialer Ort:

...feste Clique, nee kann man nicht so sagen, man kennt sich eben. Früher mal mit Skins zusammengewesen, war schon eher eine feste Clique. Doc Martens haben wir uns damals genannt. Man hat sich so aus der Schule gekannt, irgendeiner hat sich was ausgedacht und denn ist man da hin, wo man es am besten fand. ...da waren meine ganzen Freunde... die, die ich am besten leiden konnte... die Clique hat sich aufgelöst...war ein gutes Zusammenleben. Gruppe ist schon sehr wichtig, aber Familie auch. ...jeder, der wollte, kam nicht rein, man mußte jemand kennen und kein Vollidiot sein. Wir haben einen Führer bestimmt, weil wir einen haben wollten... war mehr eine Imagefrage: Die haben ihren Führer, also wollen wir auch einen.

Clique als Aktionsraum:

...haben uns in dem Haus getroffen und das und das gemacht... durch Discos gezogen und einen Harten gemacht. ...haben uns da ein Zimmer eingerichtet, wie die Verrückten Steine gesammelt, für irgendwelche Schlachten... Molotow-Cocktails gebaut, an Straßenschlachten gedacht und dann kam nie einer... haben wir uns gegenseitig damit beworfen.

Werte, Moral, Frauenbild:

...soll ich jetzt ehrlich antworten? Is richtig, daß die Frau dem Mann das Leben schön machen soll, der Mann ist eben dazu geboren. Wenn meiner Familie was passieren würde, denjenigen würde ich totschlagen. Wenn irgend jemand meinen Kumpel anmacht, würde ich meinen Kumpel verteidigen. Man kann sich nicht nach einem Idol richten, indem man es nachmacht. Kommt sowieso anders als man sich vorstellt.

Machthaben:

...auf jeden Fall stoppen, daß nicht so viele Ausländer reinkommen... zwar nicht so kraß wie damals, mit umbringen, aber so ähnlich... Aber ich möchte nicht sagen, daß ich ein Nazi bin... nur ein paar Züge von damals würde ich schon wieder reinbringen.

Geschichtsbild:

...viele Sachen von damals, wie die sich um die Jugend gekümmert haben, fasziniert mich. Ich fand viele Sachen nicht schlecht, was mir meine Großeltern erzählt haben... alles war nicht richtig, aber vieles schon in Ordnung.

Zukunft:

...reich werden ohne viel arbeiten. Lehre werde ich schon schaffen, ansonsten muß ich noch ein Jahr dranhängen...ich hab keine Angst vorm Tod, also kann ich mich auch vor nichts anderem fürchten.

Gegenwärtige Situation:

...Ich hab eine Lehre in einer Westfirma...kriege drei bis viermal mehr Geld als im Osten...mir geht’s gut.

Familie als sozialer Raum:

Ich wohn noch bei meinen Eltern. Das Verhältnis zu meinen Eltern ist unheimlich gut, hab alle Freiheiten und werde von vorn bis hinten bedient. Meine Mutter interessiert sich für meine Probleme...sie würde mir auf jeden Fall helfen, egal, was ich gemacht habe, auch wenn ich einen umgebracht hätte oder so.

Politische Einstellungen:

Rechtsextremismus und Linksextremismus sind zwei politische Einstellungen... die sind dann eben verfeindet. Die einen sind genau für das Gegenteil der anderen, irgendwie durcheinander. Meine Clique - rechts. ...die Aufspaltung in Rechts und Links, na das kommt drauf an, was einer macht, der was zu sagen hat in der Gegend. In beiden (rechts und links) wird in der Regel Gewalt ausgeübt...jeder hat seine Klamotten, wie eine Uniform, sieht bloß anders aus. Wenn man bei der Musik die Texte tauschen würde, würden die in die andere Musik passen...also, irgendwo ist da schon eine Gleichheit dabei.

Lassen wir zum Schluß Klaus Jabs noch einmal selbst zu Worte kommen und einige seiner Befunde bewerten:

"Die Selbstdarstellung als Rechte ist die nach außen hin sichtbare Gemeinsamkeit und war, wie gesagt, ein Suchkriterium für die Auswahl meiner Interviewpartner. Die grundlegende Bedeutung des Rechtsseins läßt sich in der damit möglichen Gemeinsamkeit und in der Voraussetzung erkennen, in einer Gruppe zusammen zu sein (...Linke könnten bei uns nicht mitmachen). Für einzelne Gruppenmitglieder hat diese Bedeutung eine Orientierungsfunktion für die persönliche Entwicklung, die bis zu strafrechtlichen Konsequenzen führen kann. Rechtssein bietet die Möglichkeit des Einstiegs in die Gruppe und fungiert als Mechanismus für den Zusammenhalt. Das Thema Rechtssein ist für einen der Jugendlichen eigentlich kein Thema, weil es gibt eben solche und solche. Die Clique ist so dem Reden nach zu urteilen, rechts aber so rechts-links ist nicht so.... Dabei ist sich der Jugendliche, von dem diese Aussage stammt, seiner Außenseiterrolle in der Clique durchaus bewußt (ich bin Außenseiter, das ist so). So eine Position läßt aber auch Freiräume zu, die sonst vielleicht nicht möglich wären. Die Außenseiterrolle bietet die Chance, sich aus der politischen Problematik und vor allem aus gefährlichen Aktionen der Clique herauszuhalten. Man weiß nie was passiert....Für andere Cliquenmitglieder ist das Rechtssein hingegen auch mit politisch extremen Einstellungen verbunden: gegen Ausländer, für ein deutsches Deutschland, für mehr Ordnung, ein bißchen so, wie damals. Die politische Selbstkategorisierung einiger Cliquenmitglieder hat eine entscheidende Funktion für die Wahrnehmung der sozialen Umwelt. Das Abstraktum Rechts ist in diesem Sinne auch ein Angebot erwachsener Deutegemeinschaften (politischer Parteien, Organisationen etc.) für Jugendliche, sich selbst und ihre Umwelt wahrzunehmen und entsprechend zu handeln, u.U. auch mit Gewalt gegen Ausländer, Linke usw. Die Bilder von ihren Feinden oder von Gruppen, mit denen die Jugendlichen nichts zu tun haben wollen, zeigen das deutlich. Die Gegengruppen werden stigmatisiert, indem ihnen Verhaltensweisen zugeschrieben werden, die in der Erwachsenen-Gesellschaft auf Ablehnung stoßen bzw. sie werden mit minderwertigen Attributen ausgestattet: Drogen, auf der Straße rumhängen, Zecken, stinken, Dreck etc. Die andere Seite der Medaille ist eine Art Opfersicht auf die eigene Gruppe. Wenn ein Rechter vor Gericht kommt, wird er härter bestraft; in den Medien und überall, (...) die bösen Rechten. Die Ebene, auf der sich derartige Wirklichkeiten bilden, möchte ich als eine abstrakte bezeichnen. Sie entspringen dem Erleben Dritter, ihren Darstellungen, aus abstrakten, dem eigenen (sinnlichen) Erleben entfernten Sphären. Durch die Gruppendynamik in der Clique werden solche Wahrnehmungsfilter ausgeformt und können sich zu gruppeninternen Normen und Werten weiterentwickeln. Die Clique organisiert sich zunehmend selbst als rechte Gruppe. Aber auch andere, selbst erlebte, also mit dem eigenen Erfahrungshintergrund verbundene Begegnungen, können die Wahrnehmungsfilter prägen. Als Beispiel Doreen: Ein Mädel aus meiner Klasse, mit der versteh ich mich ganz gut, hab ich schon immer. Die ist in so einer Clique drin, so in der ganzen linken Szene. Genauso wie ich, nur genau die andere Richtung..." (Jabs 1995, S. 205f.).

Bietet sich da nicht als Schlußfolgerung eine Aussage von Farin und Seidel-Pielen an?:

"Jugendliche werden nicht als Rechtsradikale oder Rassisten geboren - geschweige denn als Gewalttäter -, sondern sie werden dazu gemacht. Die Fokussierung unseres Blickes auf jugendliche Gewalt blendet die Mehrheitsanteile an eigener Verantwortung der Erwachsenengeneration aus" (Farin & Seidel-Pielen 1993, S. 252).


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