Antisemitismus 1997?
Vorbereitet für: Dollase, R., Kliche, Th. & Moser, H. (Hrsg.).
Opfer und Täter fremdenfeindlicher Gewalt.
Weinheim, München: Juventa.
Wolfgang Frindte, Friedrich Funke & Susanne Jacob
Neu-alte Mythen über Juden
Ein Forschungsbericht
Am 25. April 1996 erschien in der "New
York Times – International" ein Artikel mit der Überschrift "Germans,
Jews And Blame: New Book, New Pain - A storm over a new study of the
Nazi era by a Harvard professor" :
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"The book's message is that the
Holocaust was a result of a deep strain of specifically German
anti-Semitism, growing from the 19th century onward, that sought the
elimination of Europe's Jews and drew enthusiastic, willing support
from possibly hundreds of thousands of ordinary Germans who
physically took part in Hitler's deadly campaign against the Jews.
The Holocaust, the book says, was a 'national project' ."
Goldhagen und Mommsen
Noch vor seiner deutschen Übersetzung
sorgte Daniel Goldhagens Buch "Hitler's Willing Executers: Ordinary
Germans and the Holocaust" für Aufsehen und Aufregung.
"Die Zeit" verglich die
wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit
dem Buch sogar mit dem "Historikerstreit" ("Die Zeit", 2. August 1996,
S. 15). Hans Mommsen verwahrt sich gegen Goldhagens Ausführungen zum
"eliminatorischen Antisemitismus" in Deutschland.
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"Nun leugnet niemand", so Mommsen,
"das Auftreten extremer antisemitischer Einstellungen auch in
Deutschland, wohl aber die Unterstellung, daß es sich dabei um eine
weit verbreitete und für die politische Kultur Deutschlands
repräsentative Tendenz gehandelt hat. Das ist füglich zu bestreiten.
Träfen die Argumente Goldhagens zu, wäre schlechterdings
unerklärlich, warum es überhaupt eine Judenemanzipation in
Deutschland gegeben hat" ("Die Zeit", 30. August 1996, S. 15).
Sieht man davon ab, daß die von Mommsen
angesprochene "Judenemanzipation" im Deutschland des 19. Jahrhundert
eine mehr oder weniger erzwungene Folge des deutschen Antisemitismus
war, dem manche Juden durch Assimilation an die nichtjüdischen deutschen
Verhältnisse begegnen wollten, scheint Mommsens Einwand, es habe sich
bei deutschen Antisemitismus um keine repräsentative Tendenz gehandelt,
zunächst nicht unbegründet zu sein. Auch Marion Gräfin Dönhoff
kritisiert in diesem Sinne "Goldhagens fragwürdige These" von der
"Kollektivschuld", in dem sie schreibt:
"Er sagt, der Holocaust sei ein
'deutsches Projekt' gewesen. Die Deutschen wären nicht nur im üblichen
Sinne antisemitisch, sie hätten auch noch einem Sonder-Antisemitismus
gehuldigt, dem 'Vernichtungs-Antisemitismus'. Dieser, wie er ihn nennt,
'eliminatorische Antisemitismus hätte die Ausmerzung der Juden zum Ziel
gehabt. Wenn diese Art Rassismus den Deutschen in ihren Genen steckt,
wie Goldhagen offenbar meint, dann wundert man sich, was nach 1945 mit
diesen Genen passiert sein mag, denn da haben die Deutschen sich, wie er
zugibt, total verändert" ("Die Zeit", 6. September 1996, S. 7).
Zwar behauptet Goldhagen weder in der
amerikanischen Originalfassung noch in der deutschen Übersetzung seines
Buches eine genetische antisemitische Prädisposition der Deutschen, im
"Vorwort zur deutschen Ausgabe" schreibt er allerdings u.a.: "Die
politische Kultur der Deutschen hat sich in den fünfzig Jahren seit dem
Ende des Zweiten Weltkrieges offensichtlich geändert. [...] Da die
Menschen Grundüberzeugungen weitgehend von ihrer Gesellschaft und Kultur
übernehmen, haben die neue politische und öffentliche Kultur in
Deutschland und auch der Generationswechsel zum erwarteten Ergebnis
geführt: zu einer Abschwächung und auch zu einem grundsätzlichen Wandel
des Antisemitismus" (1996, S. 12f.).
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