NÜRNBERGER NACHRICHTEN
Auf die jüdische Gemeinde in Weiden
wurden seit Mai vier Anschläge verübt, die Stadt-
spitze schweigt hauptsächlich
Es gibt nur noch ein Zerwürfnis gegen Rechts
OB Schröpf (CSU) will mit dem Bündnis gegen
Rechtsradikalismus nichts mehr zu tun haben – „Es gab keinen Anlass, was
zu sagen“
VON MICHAEL KASPEROWITSCH
WEIDEN – Weidens Oberbürgermeister Hans Schröpf
(CSU) geht jetzt entschlossen in die Offensive. Lange hat er sich
zurückgehalten, jetzt lässt er kaum eine Gelegenheit aus, um auch mal
scharf zu reagieren. In seiner Stadt gibt es kein Potenzial
judenfeindlicher Bürger, keinen braunen Sumpf und keinen Fremdenhass.
„Ich lasse es nicht zu, dass der Stadt der Stempel ,rechtsradikal' und
,antisemitisch' aufgedrückt wird.“
Das Stadtoberhaupt hat es mit dieser Aufgabe
allerdings nicht ganz leicht, schon deshalb, weil selbst nach vier
Anschlägen innerhalb eines halben Jahres auf jüdische Einrichtungen und
das Geschäft der Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Gabi Brenner,
eigentlich gar niemand versucht, der Stadt diesen Stempel aufzudrücken.
Auch Frau Brenner tut das nicht, obwohl sie persönlich vielleicht am
ehesten Grund dazu hätte.
Bundesweites Aufsehen
Schröpf wehrt sich aber mit solcher Vehemenz gegen das
Phantom, von dem er seine Stadt bedroht sieht, dass er inzwischen
Beifall auch von einer Seite bekommt, von der er ihn ganz bestimmt nicht
haben möchte. Im Internet wird Schröpf auf Homepages unterstützt, auf
denen bekanntermaßen eine stramm rechte Gesinnung gepflegt wird.
Die „Chefin der ortseigenen Jüdischen Gemeinde“, steht
dort zum Beispiel, gehe Oberbürgermeister Schröpf „mit ihren Bemerkungen
auf die Nerven, dass seine Stadt ein Zentrum von Rechtsextremisten sei,
weil einige jüdische Einrichtungen beschmiert worden seien“. Mit den
Medien im Rücken versuche man „die Stadt moralisch an den Pranger zu
stellen“. Kein Wunder, dass unter solchen Umständen die Lage in Weiden
inzwischen bundesweit Aufsehen erregt.
Pflastersteine gegen Schaufenster
Das Interesse an Schröpfs Rolle als strenger Hüter des
Ansehens der Stadt ist mittlerweile größer als das an den Taten selbst.
Am 14. Mai warfen Unbekannte ein Glas Farbe gegen das Mahnmal, das an
die 34 Weidener Juden erinnert, die dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer
fielen. Drei Wochen später zerbarsten zwei Fenster im Erdgeschoss des
Hauses der 350 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde unter faustgroßen
Kieselsteinen. Anfang September wurde auf den Treppenaufgang dieses
Gebäudes in der Innenstadt ein Einmachglas mit weißer Farbe
geschleudert. Zwei Monate danach flogen Pflastersteine gegen die
Schaufenster des Geschäfts der Familie Brenner.
Zu den ersten beiden Anschlägen schwiegen die
politisch Verantwortlichen der Stadt beharrlich. „Es gab damals keinen
Anlass, was zu sagen“, meint Hans Schröpf noch heute trotzig. Nach dem
dritten Vorfall reagierte er eher unglücklich. Es gehe nicht an, dass
sich alles um die jüdische Gemeinde drehe, alle anderen aber außen vor
blieben, sagte Schröpf bei einem Ehrenabend des CSU-Ortsverbandes
Rothenstadt, der „voll hinter den Aussagen des OB steht“. Bei anderer
Gelegenheit spricht er lediglich von „hässlichen Ereignissen“. Ein
„kleiner Kreis von Chaoten hat verwerfliche Beispiele geliefert, die ein
negatives Meinungsbild von unserer Stadt gezeichnet haben“. Die
Anschläge in Weiden ordnet er einem politischen Niemandsland zu:
„Auswüchse an den Rändern unserer Gesellschaft – vereinzelt links und
vermehrt rechts – sind leider Alltag geworden.“ Die Anschläge stehen für
ihn in einer Reihe mit Taten von Rowdys: „Ich bedauere in diesem
Zusammenhang ebenso Schmierereien an der Josefskirche und den
Vandalismus an der Dreifaltigkeitskapelle in Muglhof.“ Diese Sätze
fielen immerhin während einer Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht
am 9. November 1938.
Die Polizei nahm die Angelegenheit von Anfang an etwas
ernster als der OB. Von rund 80 bekannten Rechtsextremisten im Bereich
der Polizeidirektion Weiden – sie umfasst neben dem Stadtgebiet noch
zwei Landkreise – hat Walter Melzner, Leiter des Kommissariats
Staatsschutz, bereits im August gesprochen. Man könne davon ausgehen,
dass die antisemitischen Anschläge in Weiden von rechts kommen. Melzner
leitet eine sechsköpfige Gruppe, die bis heute an der Aufklärung der
Taten arbeitet.
Jeden Abend fahren außerdem seit gut einer Woche 20
bis 30 Beamte der Bereitschaftspolizei von Nürnberg nach Weiden. In
Zivil führen sie dort nachts bei Verdachtsmomenten Personenkontrollen
durch und haben ein wachsames Auge auf jüdische Einrichtungen und die
Familie Brenner.
Ein solch besorgtes Interesse hat OB Hans Schröpf
öffentlich nie bekundet. Bis heute gingen in der jüdischen Gemeinde
weder ein Brief noch ein Anruf der Stadtspitze zu den Anschlägen ein.
Einen vorläufigen Höhepunkt erreichten seine Bemühungen, Weiden trotz
der Ereignisse der vergangenen Monate praktisch als Stadt des
Reinheitsgebots in Sachen rechte Gewalt zu präsentieren, vor gut zwei
Wochen. Auf einer bemerkenswerten Kundgebung gegen Rechtsextremismus vor
1500 Menschen brachte er das in dieser Situation wirklich nicht ganz
leichte Kunststück fertig, die jüdische Gemeinde, das Opfer der
Anschläge, mit keinem Wort zu erwähnen.
Gabi Brenner, die nach Schröpf auf der Demonstration
sprach, wurde deutlicher. Sie machte ihrer seit Monaten aufgestauten
Enttäuschung und ihrem Ärger Luft: „Wir erwarten von der politischen
Leitung dieser Stadt, dass sie die Dinge beim Namen nennt und eine klare
Solidaritätsadresse dorthin richtet, wo sie hingehört, nämlich zur
jüdischen Gemeinde.“ Wer zu den Anschlägen schweige und das Problem
verdränge, „der kommt allmählich in Erklärungsnot, auf welcher Seite er
eigentlich steht“.
Seither ist aus dem Weidener „Bündnis gegen
Rechtsradikalismus“ eher ein Zerwürfnis gegen rechts geworden. Schröpf
und die CSU wollen mit dem Kreis nichts mehr zu tun haben. Gabi Brenner
und Hans Schröpf verbindet längst eine herzliche Abneigung, die sich vor
allem darin zeigt, dass sie über die örtliche Presse ständig
Gesprächsbereitschaft bekunden und vehement bestätigen, dass alle Türen
offen stehen. Nur keiner von beiden geht hindurch.
Schröpf wirft Frau Brenner einen „rücksichtslos
inszenierten Rufmord der Stadt“ vor. Selbst amerikanischen Zeitungen
habe sie entsprechende Interviews gegeben. Und er warnt sie. In ihrer
„Arroganz und Anmaßung“ bereite sie einen Boden vor, den sie selbst in
Weiden vorzufinden vorgebe. Mit Zitaten belegen will Schröpf seine
Vorwürfe nicht: „Wir sind doch hier nicht ineiner Prüfung.“ Frau Brenner
versichert, nie mit US-Zeitungen gesprochen zu haben.
Längst führt jeder der beiden Kontrahenten den Kampf
auf seine ganz eigene Weise fort. Gabi Brenner war kürzlich in Kiel und
hat dort an einer Podiumsdiskussion über Rechtsradikalismus
teilgenommen. Sie lernte dabei zwei junge Leute kennen, die aus der
rechten Szene ausgestiegen sind. Dieses Paar will sie zu einer
Veranstaltung mit Jugendlichen nach Weiden holen: „Die können am besten
erklären, wie man in solche Kreise reinrutscht und wie es dort zugeht.“
„Ich will keine Jüdin mehr sein“
Die Geschäftsfrau will auch weiter nicht zu einer
„Weg-Schau-Gesellschaft“ schweigen, „selbst wenn mir vorgeworfen wird,
ich würde dadurch rechtsextreme Vorfälle erst provozieren“. Was sie
schmerzt, sind die kleinen Hässlichkeiten des Alltags, die sie nun
häufiger zu hören bekommt. Die Teilnehmerin eines VHS-Kurses habe
öffentlich erzählt, der neben ihr sitzende Polizist habe nichts lernen
können, weil er auf die „dummen Juden aufpassen“ musste. Auch eine
empfindliche Reaktion ihrer zehnjährigen Tochter auf die Weidener
Verhältnisse belastet sie. „Mama, ich will keine Jüdin mehr sein“, sagte
das Kind kürzlich.
Hans Schröpf ist auch aktiv. Er hat jetzt einen
Brand-Brief an den ZDF-Intendanten Stolte geschrieben. Er habe gehört,
so der OB, dass der ZDF-Redakteur Werner Doyé zu Dreharbeiten für eine
Reportage – geplanter Sendetermin ist der 11. Februar – mit dem Titel
„Deutschlandreise“ in Weiden war und seine Stadt in eine Reihe mit
Solingen, Mölln und Lichtenhagen gestellt werden soll.
„Das ist mir schleierhaft“
Schröpf ist „schleierhaft“, wie „Herr Doyé schon nach
zwei Tagen Aufenthalt zu dem Schluss kam, Weiden in eine Reihe der Orte
mit rechtsradikalen Ausschreitungen einzureihen“. Es gebe noch keinen
Hinweis auf rechtsradikale Täter und es gebe keine rechtsradikale Szene
in Weiden. „Ich bitte Sie deshalb im Namen aller 43 000
Weidener, die Stadt Weiden i. d. Opf. nicht in die geplante Reportage
,Deutschlandreise' aufzunehmen.“ Den Film werden sich jetzt bestimmt
viele anschauen.
In Weidens Nachbarstadt Amberg drehte das ZDF-Team
nicht. Auch dort gab es einen noch nicht aufgeklärten
Farbbeutel-Anschlag gegen eine jüdische Einrichtung – nur einen
einzigen. OB Wolfgang Dandorfer (CSU) hat die Gemeinde unmittelbar
danach besucht und ihr im Namen der Stadt vorbehaltlos den Rücken
gestärkt. Seither herrscht Ruhe in der Stadt.
NÜRNBERGER NACHRICHTEN
Besuch nach Anschlägen:
Der Kanzler in Weiden
Gespräche mit der jüdischen Gemeinde – Nicht im
Rathaus
WEIDEN (nn) – Nach mehreren Anschlägen
auf Einrichtungen der jüdischen Gemeinde in Weiden hat Bundeskanzler
Gerhard Schröder (SPD) überraschend einen Besuch bei deren Vertretern
angekündigt.
Der Kanzler wird sich am 18.Dezember etwa fünf Stunden
in der Oberpfalz aufhalten. Ein Besuch bei Oberbürgermeister Hans
Schröpf (CSU) im Weidener Rathaus ist nicht geplant. Diese Planung birgt
eine gewisse Brisanz, weil Schröpf und die Vorsitzende der jüdischen
Gemeinde, Gabi Brenner, einen heftigen Streit über die Reaktion der
Kommune auf die Taten austragen (dazu nebenstehende Reportage).
Schröpf erklärte zu dem Ablauf lapidar: „Die
Programmgestaltung ist nicht meine Sache.“ Er sei zu der
Regionalkonferenz mit dem Kanzler eingeladen worden. Dort geht es unter
anderem um den Weiterbau der A6. |