An Herrn Oberbürgermeister
Hans Schröpf
Rathaus
92637 Weiden
Weiden 13.11.00
Sehr geehrter Herr Schröpf,
nach all den Vorfällen der letzten Wochen und Monate,
allen weiteren unnötigen Aufgeregtheiten und nach Ihrer Rede am 9.11.,
möchte ich auf diesem Wege meinen Standpunkt und den meiner Gemeinde
hierzu darlegen. Bisher hatten wir leider noch nicht die Gelegenheit zu
einem persönlichen Gespräch über diese Dinge. Vielleicht aber kann sich
daraus eines entwickeln.
Wir sehen uns als deutsche Juden, wir sind keine auch
dazugehörigen Mitbürger, sondern die Verfassung tragende und
steuerzahlende Bürger dieses Landes und dieser Stadt. Wir nehmen mit
offenen Augen wahr, was um uns herum passiert. Wir müssen uns im
Fernsehen frei ins Wohnzimmer geliefert anschauen, wie unter dem Schutz
der Polizei in München und in Berlin am Brandenburger Tor Neonazis
aufmarschieren und nicht diese die von der Polizei Zurechtgewiesenen
sind. Vielmehr werden diejenigen, die dagegen protestieren ohne
Rücksicht auf Alter und Geschlecht von den Polizeiknüppeln getroffen
(siehe Hagalilseiten). Am Haus einer jüdischen Familie in Bamberg wird
gerade noch rechtzeitig eine Bombe entschärft, während sie an der
Düsseldorfer U-Bahnstation leider hochgegangen ist. Ich brauche das
nicht alles aufzuzählen, Sie wissen es selbst, oder können es in der
Sonderausgabe der FAZ nochmals nachlesen.
Zur selben Zeit wird in Weiden das Mahnmal für die
umgekommenen Juden Weidens geschändet und die Fenster der Synagoge
eingeworfen, zuletzt ein Anschlag auf mein geschäftliches Privateigentum
verübt, in dem über 40 Personen Brot und Arbeit finden.
Wir haben auch die Form der polizeilichen Ermittlungen
erlebt, die inzwischen formal korrekt laufen, denen wir aber
gefühlsmäßig nicht vertrauen können.
- Wenn die Ermittlungen bei den eingeworfenen
Synagogenfenster innerhalb kurzer Zeit eingestellt werden,
- wenn eine Teilnehmerin eines Englischkurses an der
vhs öffentlich erzählt, der neben ihr sitzende Polizist habe das
letzte Mal nichts lernen können, weil er auf die "dummen Juden
aufpassen" müsse,
- wenn mich der leitende Kripobeamte nach dem
Anschlag auf das Schaufenster als erstes fragt, ob dies nicht doch
ein unzufriedener Kunde gewesen sein könne.....,
dann zeugt dies von der unangenehmen
Berührtheit derer, die solche Vorfälle aufklären
sollen, dass sie diese lieber verdrängen und nicht wahrhaben wollen.
Sollen wir uns da ernst genommen fühlen, sollen
wir uns da gar sicher fühlen? Welches Zutrauen hätten Sie in unserer
Situation dann zu der Polizei? Es ist noch kein Personenschaden
aufgetreten, bei uns noch nicht. Soll ich darauf
warten, bis er kommt? Dürfen wir uns dann sicherer fühlen?
Weiden liegt in diesem unserem Lande,
nicht außerhalb. Weiden hat auch eine Geschichte
und hatte auch eine am 9.11.1938. Wir wären Narren der Geschichte,
würden wir vor dem Menetekel an der Wand die Augen
verschließen. Darum haben wir einen Koffer stets gepackt.
Letztendlich wären die passierten Dinge Lappalien. Doch sie sind nicht
vergleichbar mit Schmierereien an der Josefskirche
oder der Zerstörung der Kapelle in Muglhof. So sehr ich
diese Vorfälle auch bedauere - diejenigen, die das verübt haben, sind in
der Tat Chaoten und Außenseiter der Gesellschaft.
Sie muss dies auch mit einer gewissen Ohnmacht hinnehmen, lässt jedoch
im Bild der öffentlichen und wohl auch der persönlichen Meinung für
die Tolerierung dieser Taten keinen Spielraum. Diese
Menschen verfügen über keinerlei Konsens mit der
Gesellschaft (wenngleich man auch fragen kann, warum unsere Gesellschaft
so etwas hervorbringt), in der wir leben. Vandalismus an der Stadtmauer,
an Parkbänken oder Kinderspielplätzen hat eine vergleichbare Qualität
mit den von Ihnen beschriebenen Ereignissen. Er
ist letztlich nicht politisch motiviert und stellt weder eine
unmittelbare Bedrohung noch einen symbolischen, historischen Bezug her.
Anders ist es bei den Taten vom
Gedenkstein über die eingeworfenen Synagogenfenster bis
zu den Schaufenstern. Der Sachschaden ist nicht der Rede wert, es geht
um den symbolischen Gehalt und den politisch-historischen Bezug. Die uns
mitgeteilte Botschaft lautet damals wie heute: wir
wollen euch jüdische "Mitbürger", die ihr bis jetzt geduldet wurdet,
nicht mehr! Schmierereien und Beschädigungen hier wie dort haben vor dem
vergangenen und aktuellen Hintergrund eine völlig
andere Qualität.
In dieser Situation haben wir von Ihnen
stellvertretend für die Bürger dieser Stadt eine eindeutige
Solidaritätsadresse an uns erwartet. Ich meine damit nicht mich als
Person, sondern als Repräsentantin der religiösen, jüdischen Gemeinde
Weidens. Sie hätten zweimal Gelegenheit gehabt - ohne eine allzu große
belastete vorhergehende Diskussion- hierzu Stellung
zu nehmen, nämlich nach dem Anschlag auf den Gedenkstein und nach den
eingeworfenen Fenstern der Synagoge. Die jüdische
Gemeinde hatte keine offizielle Erklärung zu den beiden Vorfällen
abgegeben, sondern geschwiegen. Es entspräche wohl nicht nur unserer
Erwartung, sondern auch der Pflicht eines Stadtoberhauptes, hier
politisch einen glasklaren Standpunkt zu beziehen.
Der Amberger Oberbürgermeister war diesbezüglich seiner Aufgabe
gewachsen. Eine Stadtratsresolution, ohne Kommentar und ohne Diskussion,
offensichtlich als notwendiges Übel hingenommen, und in der Presse unter
der Überschrift "Tag des Fahrrads im Frühjahr
2001" (NT 24.10.2000) dargestellt, kann wohl auch nicht der
Sinn der Übung gewesen sein.
Als dann beim Gedenken am 8.11.2000 diese
verwerflichen Ereignisse Ihrerseits noch immer nicht beim Namen genannt
wurden, stellt sich für die jüdische Gemeinde die Frage
nach dem Grund Ihres Schweigens. Sollte dies in der gegenseitigen
Befindlichkeit zwischen uns begründet sein, so
wäre dies noch das geringste Problem. Doch Sie als Oberbürgermeister wie
ich als gewählte Vorsitzende der jüdischen Gemeinde stehen in einer
politischen Funktion. Ich kann und will es mir
nicht leisten, angesichts des politischen Umfeldes in
Deutschland und der Situation in Weiden darauf zu verzichten, die Dinge
beim Namen zu nennen, die zu nennen sind. Ich
werde diese Dinge auch weiterhin beim Namen nennen,
selbst wenn mir vorgeworfen wird, durch die Darstellung der Wahrheit,
rechtsextreme Vorfälle erst zu provozieren. Diese
werden nur dann provoziert, wenn die Täter die stillschweigende
Übereinkunft zumindest eines Teils der Gesellschaft mit ihren Taten
voraussetzen können. Dies hat nichts mit Provokation und Fanatismus
meinerseits zu tun.
Ich sehe nach einer angemessenen Frist
des Schweigens nicht tatenlos zu, wie uns Fenster
eingeworfen werden und durch das Schweigen der politisch
Verantwortlichen - und hier
zuallererst durch Ihr Schweigen - diesen Taten wenn nicht
billigend zugesehen, so zumindest nicht
widersprochen wurde. Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?
Ich weiß, dass es seitens der Weidener
Bevölkerung schwer ist, aus einem Gefühl der
Ohnmacht gegenüber solchen Vorgängen heraus Betroffenheit spürbar
auszudrücken. Umso wichtiger wären Ihre Worte
gewesen, die leider fehlten. Ihnen muss aber auch klar sein, dass
Sie in Ihrer Person auch nicht die Öffentlichkeit per se präsentieren,
sondern ihr gegenüber verantwortlich sind. Es
braucht Sie daher nicht zu verwundern, wenn bei einem solchen
Negieren der Tatsachen und durch dieses provokante Schweigen die
Öffentlichkeit von anderen hergestellt wird, und
dies deutschlandweit.
Es ist auf die objektive Situation nicht
angemessen reagiert, wenn ein eingetragener Verein,
der die interkonfessionelle Verständigung pflegen will, Ihre öffentliche
Solidaritätsadresse erhält. Diese von Ihnen
gewählte Adresse ist keine Ersatzadresse für die originäre jüdische
Gemeinde. Sie haben doch bisher noch keinen interkonfessionellen
Bibelkreis mit der eigentlichen katholischen oder evangelischen Kirche
verwechselt. Soviel Differenzierungsvermögen muss ich bei einem
Oberbürgermeister voraussetzen können.
Ihr Schweigen gegenüber solchen Dingen
korrespondiert durchaus mit der Umgangsweise in
der Stadtverwaltung gegenüber denen aus der jüdischen Gemeinde, die auf
fremde Hilfe angewiesen sind. Denn dieses
Schweigen deckt auch manches menschliche Fehlverhalten
Ihrer Mitarbeiter (das in der einen oder anderen Position durchaus
verständlich sein kann), von denen ich die
einzelnen sehr genau einschätzen kann. Ich bin oft genug mit unserem
Klientel bei der Verwaltung und weiß, vor wem sie zittern und sich
fürchten und vor wem nicht. Dies habe ich auch
Herrn Seibert gegenüber sehr deutlich zum Ausdruck
gebracht.
Und damit diffamiere ich keineswegs die gesamte
Verwaltung. Die jüdische Gemeinde ist auch kein zu
Dank verpflichteter Sozialhilfeempfänger dieser Stadt, wenngleich
wir uns auch für deren Belange engagieren.
Ich bin eine unabhängige, steuerzahlende
Unternehmerin in dieser Stadt und weder Ihnen noch sonst jemanden
gegenüber weisungsgebunden und befehlsempfangend. Darum kann ich mir -
im Gegensatz zu vielen anderen - erlauben,
Klartext zu sprechen und werde bei Bedarf auch weiterhin davon Gebrauch
machen.
Noch ein Wort dazu, dass 99% der Weidener
weder antisemitisch noch rechtsextrem seien. Es
geht nicht um Prozentzahlen, sondern darum, mit wie viel
unausgesprochener Zustimmung in der Bevölkerung ein gewaltbereites
Potential rechnen kann. 1% hat am 9.11.1938
gereicht, um das anzurichten, was angerichtet wurde. Das entscheidende
war nicht das eine Prozent, sondern die 99, die
zugeschaut haben und dies hätten verhindern
können, aber es nicht taten. Und vor allem, warum sie es nicht taten:
stimmten sie klammheimlich zu, in jenem Augenblick
oder schon vorher und waren erschrocken, was daraus wurde.
Für mich steht fest und wir wissen es aus
der Antisemitismusforschung zur genüge: es ist
noch kein Antisemit und Rechtsradikaler vom Himmel gefallen. Sie sind
alle erst geworden im Laufe ihrer Biografie und
unter Duldung der Gesellschaft. Autoritäre Strukturen, treten
und getreten werden, unangenehmes verdrängen, nicht wahrhaben wollen und
anderen die Schuld in die Schuhe schieben für
etwas, wofür diese nichts können, dies sind die Wurzeln
jener verwerflichen Verhaltensweisen. Nur - dies sind ganz normale
menschliche Charakterzüge, die es zu jeder Zeit und überall gibt, die
sich aber unter gewissen Bedingungen virusartig vermehren können. Erst
wenn diese Charakterzüge offen und organisiert zum Ausbruch
kommen, sich gegen bestimmte Gruppen in der Bevölkerung wenden, spricht
man von
Rechtsradikalismus oder Antisemitismus. Und wenn man in
Deutschland von diesem Phänomen spricht, meint man ganz bestimmte
Verhaltensformen. So gesehen ist der Unterschied zwischen einem
autoritären Charakter und einem Antisemiten nur ein gradueller. Und
über autoritäre Charakterzüge verfügt jeder Mensch. Insofern liegt der
Keim des Antisemitismus und des Rechtsradikalismus nicht am Rande,
sondern in der Mitte der Gesellschaft, in jedem
einzelnen. Ob es uns gelingt, ihn in Schach zu halten, ist eine Frage
unserer politischen Kultur auf allen Ebenen der Gesellschaft. Im Moment
scheinen die Ventile dafür geöffnet zu werden.
Geradezu gefährlich wird es aber, wenn
man diesen Zusammenhang verleugnet und verdrängt. Das ist das
eigentlich, was mich an Ihren Äußerungen erschreckt. Es sind keine
Chaoten am Rande der Gesellschaft, die hier aktiv werde.
Es sind Mitglieder der Gesellschaft, die aus unserer Mitte heraus
wurden, was sie heute sind. Darauf kann und darf man
nicht mit Schweigen reagieren, schon gar nicht als Stadtoberhaupt. Das
wäre die doppelte Verdrängung der Wahrheit.
Wenn ich Ihrer Argumentation noch eine positive Seite abgewinnen mag,
dann diese: in gewisser Weise erfüllt sie eine pragmatische Funktion der
Solidarisierung, weil kein normaler Weidener einer von diesen
Rechtsradikalen sein will.
Wir können aber auf Dauer nicht so tun, als lägen die
Ursachen außerhalb unserer zivilisierten Gesellschaft. Sie kommen viel
mehr aus ihrer Mitte. Nur indem wir ihnen ins Gesicht
schauen und sie beim Namen nennen, können wir sie beherrschen, nicht
indem wir sie verschweigen. Hierzu fordere ich Sie
auf, dies zu tun.
Weil dieses Verdrängen und Verschweigen
sehr oft passiert, hat wohl ein Ignaz Bubis ein
negatives Fazit seines Lebenswerkes gezogen und ein Paul Spiegel laut
darüber nachgedacht, ob unter den gegenwärtigen Bedingungen es richtig
gewesen sei, wieder jüdische Gemeinden in
Deutschland zu gründen. Wir haben uns den Ort unserer Geburt nicht
ausgesucht, aber wir werden ihn behaupten. Und wir wissen, dass wir
dabei Freunde haben,
die uns unterstützen und ermutigen.
Nachdem ich - bei allen Dissonanzen - Ihr
bisheriges Engagement von der Gedenksteinsetzung und der damaligen
100-Jahr Feier der Synagoge durchaus respektiere, bin ich
jetzt neugierig darauf, ob Ihr Appell zur Vernunft, Toleranz und
wechselseitiger Unterstützung auch uns erreicht. Denn Solidarität
braucht's ganz besonders in stürmischen Zeiten in den sonnigen ist es
leichter.
Mit freundlichen Grüßen
Gabi Brenner
1.Vorsitzende
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