Demonstration gegen
Rechtsradikalismus und Antisemitismus
am 18.11.00 / Weiden (Oberpfalz)
Farbe kann und muß jeder bekennen
Zunächst bedanke ich mich bei den Organisatoren der
heutigen Veranstaltung dafür, dass sie hiermit ein Zeichen gegen
Rechtsradikalismus und Antisemitismus in unserem Lande setzen wollen und
Sie, die hier Versammelten, durch Ihre Anwesenheit dieses Bemühen
unterstreichen. Einem Gefühl der Ohnmacht ist manchmal schwer Ausdruck
zu verleihen. Doch das bedeutet nicht, dass man nicht klar Partei für
oder gegen etwas ergreifen kann. Sie tun es hier.
Weiden liegt in Deutschland
Das Klima in Deutschland wird nicht nur wegen des
Winters kälter. Morde durch Rechtsradikale an anderen Menschen werden
scheinbar nur noch gezählt, Hetzjagden auf Menschen zur Kenntnis
genommen, Häuser und Synagogen brennen, Denkmäler geschändet, Hetz- und
Drohbriefe an uns geschickt, die Fenster unserer Synagoge mit Steinen
eingeworfen und zuletzt das Schaufenster unseres Geschäftes. Solche
Steinwürfe und Anschläge sind in unserem Land - und dies gilt auch für
Weiden - nicht einfach nur Steinwürfe. Nein: sie haben Vorbilder, sie
haben Geschichte, sie haben Symbolgehalt, der da sagt - wir wollen euch
nicht. Ihr Juden - und wir wollen auch keine anderen.
Ich bedanke mich ausdrücklich für die
Solidaritätsadressen, die wir von allen Seiten erhalten haben. Wir
wissen auch um die Wertschätzung vieler Weidener Bürger, die uns
persönlich und der Arbeit der jüdischen Gemeinde hier vor Ort gilt.
Meine Pflicht
Und dennoch halte ich es als gewählte Vorsitzende der
Jüdischen Gemeinde als meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, vor dem
Hintergrund der ausländerfeindlichen und
antisemitischen Situation in Deutschland und den konkreten Vorfällen
hier in Weiden eine klare und unmißverständliche Position zu beziehen.
Das hat weder etwas mit Fanatismus noch mit
Nestbeschmutzung zu tun. Wir wären Blinde unserer eigenen Geschichte im
persönlichen wie im politischen Bereich, würden wir keine Zusammenhänge
und Entwicklungen sehen und diese auch laut und öffentlich beurteilen.
Wir lassen uns auch nicht dadurch einschüchtern, indem
uns erklärt wird, durch unsere Position provozierten wir erst
potentielle negative Reaktionen in der Bevölkerung. Wir lassen uns nicht
auf diese Art und Weise drohen und den Mund verbieten. Wir halten
genügend Leute dazu in der Lage, zwischen Wahrheit und Vertuschung zu
unterscheiden.
Wir haben das Recht und die Pflicht, die politische
Situation an diesem Ort und in unserem Land beim Namen zu benennen, und
wollen und können uns dies leisten, jetzt und in Zukunft, wenn es nötig
ist.
Politische Verantwortung heißt:
den momentan fremdenfeindlichen und antisemitischen Strömungen in
Deutschland ins Auge zu schauen und dann zu handeln: und zwar
durchdacht, konsequent und unverzüglich.
Politisch verantwortlich handeln heißt:
den Bürgern dieses Landes klar zu sagen:
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1.Wir brauchen Menschen aus anderen Ländern, denn nur neue Gedanken,
Ideen und Kreativität können dieses Land weiterbringen und den
Anschluß weltweit nicht verlieren lassen. |
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2. Wir brauchen den Menschen aus einem anderen Land, er trägt bei,
dass unser gesellschaftliches und wirtschaftliches System, z.B. auch
das Rentensystem überhaupt noch tragbar bleibt. |
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3. Wir brauchen den Menschen aus einem
anderen Land, denn er ist in erster Linie ein Mensch und erinnert
uns an unsere eigene Menschlichkeit, lehrt uns Toleranz und macht
uns die Werte bewußt, die zu Demokratie und Freiheit gehören. Und
glauben Sie mir, keiner geht gerne und freiwillig von diesen
Flüchtlingen in eine anderes Land, in eine andere Kultur, weg von
seinen Traditionen und Freunden. |
Wer dies gezwungenermaßen tut, braucht unsere
Solidarität, nicht unsere politische Kleinkariertheit.
Unsere Erwartungen an die politische Leitung
Wir erwarten von der politischen Leitung dieser Stadt,
dass sie die Dinge beim Namen nennt, die zu nennen sind und eine klare
Solidaritätsadresse dorthin richtet, wo sie sich hingehört, nämlich zu
der jüdischen Gemeinde und zu sonst niemandem. Wir sind die Betroffenen.
Wir haben nach den ersten beiden Anschlägen
geschwiegen, es wäre Zeit und Raum genug gewesen, klare Position zu
beziehen, was leider unterblieb.
Leider vermisse ich diese
Solidaritätsadresse von der politischen Leitung der Stadt bis auf die
heutige Stunde.
Verdrängung löst keine Probleme
Wer dazu in politisch Verantwortlicher Position
schweigt, das Problem als Chaotentum an den Rand der Gesellschaft drängt
– wobei ich die feigen Täter dieser und aller anderen Anschläge nicht in
der Mitte der Gesellschaft wissen möchte – wer sich weigert, das
öffentliche Interesse an diesen Vorgängen wahrzunehmen, der kommt
allmählich in Erklärungsnot, auf welcher Seite er denn eigentlich steht.
Verdrängung ist nach der Tat die zweite Sünde. Nicht wahrhaben wollen
des Negativen um uns und in uns – dessen Übertragung auf Anonyme
oder andere Sündenböcke, das sind die Wurzeln von Autoritarismus und
Duckmäuserei.
Marketing als Politikersatz
Dann braucht sich auch niemand mehr zu wundern, wenn
bei diesem Verniedlichen, Vertuschen und Verleugnen andere diese
Öffentlichkeit herstellen, wenn diejenigen, die politisch Position
beziehen müßten, dies nicht tun! Wer ein substantiell politisches
Problem zum Problem des Imageverlustes der Stadt degradiert, der setzt
selbst die Spirale des Negativimages in Gang. Wir sind kein Fall für die
Marketingabteilung der Stadt (wir haben selber eine), sondern der
Ernstfall für die demokratische Leitkultur unseres Gemeinwesens, dem wir
als steuerzahlende deutsche Staatsbürger angehören.
Das politische Klima in Weiden
Doch in Weiden scheinen die Verhältnisse umgekehrt zu
sein. Wer die Wahrheit sagt, wird zum politischen Brandstifter erklärt,
der nur den Ruf der Stadt schädigt. Diesen "Spurenlegern" wird gedroht,
dass der Hinweis auf die Wahrheit nicht spurlos an ihnen vorübergehe. Es
paßt zu dieser Aussage, dass mir ein Stadtrat einen Brief schreibt und
begründet, warum er sich zu der Situation nicht äußern könne: er sei in
seinen außerberuflichen Tätigkeiten finanziell abhängig von der Stadt
und deren Leitung. Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf den aufrechten
Gang und die demokratische Kultur in dieser Stadt.
Ich rede mit jedem, der die Wahrheit sehen will und
kann und bei dem sich diese nicht an der vermeintlichen Position seiner
politischen Macht relativiert.
Gabi Brenner
1. Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Weiden
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