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Ein Teufel in der Sommernacht:
Tod im Wiener Stadtpark

Der Mauretanier Cheibani W. starb Mitte Juli nach der Behandlung durch österreichische Polizei- und Rettungskräfte

Von Amon Brandt, Wien
Jungle World, 13.08.2003

Tatort: der Wiener Stadtpark in der Nacht des 15. Juli, beliebter Drogenumschlagplatz der österreichischen Hauptstadt. Ein verängstigter Österreicher verschanzt sich in seinem Wagen. Auf der Kühlerhaube befindet sich ein offensichtlich wild gewordener schwarzer Mann. Fünf Polizisten und vier Sanitäter werden von dem Wagenbesitzer herbeitelefoniert. Der Schwarze tobt, und lässt sich nur mit Gewalt bändigen. Während des Kampfes stirbt er an Herzversagen. Drogen sind mit im Spiel, wird später berichtet.

Der Fall scheint sonnenklar, doch wenige Tage nach dem Tod des Mauretaniers Cheibani W. taucht ein Amateurvideo auf. Ein Anwohner hat die Szene von seinem Fenster aus gefilmt. Der Film beginnt, als der Kampf bereits entschieden ist. W. liegt bäuchlings auf dem Boden. Um ihn herum stehen lässig einige Rettungskräfte. Einer von ihnen steht mit beiden Füßen auf dem Mann.

Nun beginnt der Abwehrkampf der Exekutive. Staatsanwälte befassen sich nicht mit dem Fall, stattdessen ermittelt das weisungsgebundene Büro für interne Angelegenheiten der Polizei. Zwei Mitarbeiter des Innenministers Ernst Strasser besuchen den Videofilmer zum Verhör und weisen ihn darauf hin, dass die Möglichkeit einer Verleumdungsklage gegen ihn bestehe.

In der Kronenzeitung, dem Blatt mit Millionen von Lesern und latent rassistischer Attitüde, dichtet der Hauspoet Wolf Martin. "Der Fürst der Welt ist ohne Zweifel/ seit je der gern vergessne Teufel"; und an die Adresse der Linksliberalen: "Er predigt: 'Akzeptiert, was fremd!'/ wenn Dealerpack uns überschwemmt./ Er klagt, wenn einer musste sterben,/ doch nicht, wenn Kinder sie verderben." Die Fortsetzung des Themas folgt weiter hinten. Doppelseitig titelt die Zeitung: "641 Afrikaner als Drogendealer! 98 Prozent der farbigen Häftlinge sind Asylbewerber."

Der 33jährige Chebani W. war entgegen der Berichterstattung ein geradezu vorbildlicher Migrant. Ein Nomade, wie aus dem Bilderbuch neoliberaler Wunschvorstellungen. Er machte sein Diplom als Atomphysiker in Russland und reiste mit einem Stipendium nach Österreich. Er sprach fünf Sprachen fließend.

Sein Aufenthaltsstatus war durch die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin gesichert. Zuletzt war er als Besucherbetreuer des Afrika- Kulturdorfes im Wiener Stadtpark angestellt. Der Themenpark des aus dem Sudan stammenden Architekten Ahmed Elgoni soll zur Integration der afrikanischen Community beitragen, indem auf sehr einfache Weise den Besuchern afrikanische Kultur näher gebracht wird. Und zwar in der Mitte des Platzes, der als Arbeitsstätte ausländischer Drogendealer berüchtigt ist.

W. bemühte sich redlich um seine eigene Integration, hatte österreichische Bekannte und Liebschaften, arbeitete in antirassistischen Gruppen und engagierte sich gesellschaftlich. Doch all dies half ihm nicht. In der Nacht zum 15. Juli musste er sterben. Sein Tod folgt den Gesetzmäßigkeiten österreichischer Politik.

Mit Hilfe der Aussagen von Zeugen lässt sich auch ein realistischeres Bild der Todesnacht zeichnen: W. fühlt sich wieder einmal von seinem Vorgesetzten, dem Mitorganisator des Afrikadorfes, Erfried Malle, belästigt. Außerdem fordert er von ihm die letzten drei Monatslöhne. Malle bekommt "Todesangst" und flüchtet in seinen Wagen. Der schmächtige Mauretanier belagert das Auto. Malle fährt los, W. wird zu Boden geschleudert und bleibt verletzt liegen.

So finden ihn Polizei und Rettungsdienst. Sie zwingen ihn, sich bis auf die Unterhose auszuziehen. Ihm werden Handschellen angelegt und er wird in den Rettungswagen gebracht. Als man ihm auch noch Fußschellen verpassen will, reicht es W. Er stürzt aus dem Wagen, wird aber von einem Polizisten zu Boden gerissen. Malle berichtet, dass ein Beamter ihn mit Faustschlägen auf den Hinterkopf traktiert. Kurz darauf beginnt das Video. Man sieht, wie ein Sanitäter gemütlich auf seinem Rücken steht. W. ist so gefesselt, dass er sich nicht mehr bewegen kann, und liegt auf dem Bauch. "Schweinefesselung" nennt die amerikanische Polizei die angewandte Überwältigungsmethode und hat sie wegen ihrer letalen Wirkung verboten. Der Bauch und Brustkorb des Erlegten sind in dieser Stellung nicht mehr atmungsfähig, er erstickt qualvoll.

Der Innenminister denkt dennoch weder daran, die beteiligten Polizisten zu suspendieren, noch selbst zurückzutreten, sondern er erklärt, dass seine Beamten den Vorschriften gefolgt seien. Wie recht er damit hat. Der parteiübergreifende Konsens österreichischer Politik schreibt seit Jahrzehnten ein gesundes Maß an Ausländerfeindlichkeit vor.

Vor diesem Hintergrund ist auch die scheinbar spektakuläre Annäherung der oppositionellen Sozialdemokraten an die regierende FPÖ zu sehen. Liberale Beobachter sind entsetzt über das Ende der Politik der so genannten "Ausgrenzung". Der Vorsitzende der SPÖ, Alfred Gusenbauer, verspricht sich davon den Bruch der Koalition und die Rückgewinnung ehemaliger Wähler.

Doch niemand muss wirklich traurig sein über das Ende des Mythos. Mitte der achtziger Jahre hatte ihn der damalige SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky ersponnen, angeblich um sich gegen rassistische und antisemitische Tendenzen der Freiheitlichen auszusprechen. Tatsächlich war Jörg Haider eine Gefahr für den Machterhalt, denn der neue Chef der Freiheitlichen machte sich bald daran, Stimmen der sozialdemokratischen Klientel abzuziehen. Bei der Wahl 1999 hatte er die Mehrheit der Arbeiterschaft hinter sich.

Vranitzkys Rechnung ging nur in einem Punkt auf. Er hatte erfolgreich liberale Wähler gebunden und davon abgelenkt, dass seine Ausländerpolitik immer mit Haider d'accord ging. So wurde seit den siebziger Jahren eine radikale Politik der Abschottung betrieben, die die schwarz-blaue Regierung nur fortzusetzen brauchte. Mittlerweile ist auf diese Weise ein System entstanden, das Migranten einerseits mit Chaos und Willkür, andererseits mit strikten Aufenthalts- und Verhaltensregeln konfrontiert. Der Aufenthalt wird grundsätzlich nur für kurze Zeit gewährt und ist an eine eng definierte Berufstätigkeit geknüpft.

In dieser Mühle befand sich auch Cheibani W. Sein Aufenthalt hing an dem seidenen Faden einer Ehe, die am Zerbrechen war. Sein Arbeitgeber verweigerte ihm die Auszahlung des Lohns. Mit einem Bein stand Chebani W. bereits im Deportationsflieger. Der Versuch, sich zu integrieren, war anscheinend gescheitert. Eine Situation, die symptomatisch ist für viele Migranten in Österreich.

Die afrikanische Community in Wien stehe wieder einmal vor einem Scherbenhaufen, fasst Bukassa Di-Tutu, Herausgeber der Migranten-Straßenzeitung Bunte Zeitung, die Situation zusammen. Die Trauerveranstaltung für Cheibani W. geriet zwar zu einer feierlich- aktionistischen Großkundgebung mit Tausenden von Teilnehmern, doch es fehle an Geld und an Vernetzung.

Sogar die naivsten Integrationsversuche wie das Afrikadorf, das inzwischen nach zwei Brandanschlägen ruiniert ist, müssen daher scheitern. Die Polizei, die in den letzten fünf Jahren neun Todesfälle zu verantworten hat, gibt den Migranten dann den Rest. Der Teufel hat in Österreich keine Chance.

hagalil.com 15-08-03

 


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