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Judentum und Israel
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Absage aus Israel
zur Wehrmachtsausstellung in Peenemünde:
Ein offener Brief - Prof. Natan Sznaider, Tel Aviv

Pressemitteilung Günther Jacob und Natan Sznaider

Natan Sznaider, Professor für Soziologie an der Universität Tel Aviv, begründet in einem Brief vom 1. August, warum er seine Zusage für einen Vortrag im Rahmenprogramm der derzeit in Peenemünde (Mecklenburg-Vorpommern) gezeigten Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944" des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS) zurücknimmt.

"An die Leitung des "Historisch-Technischen Informationszentrums" von Peenemünde, Herrn Dirk Zache

Sehr geehrter Herr Zache,

wir teilen Ihnen auf diesem Weg mit, daß wir unsere Teilnahme am Rahmenprogramm zur Peenemünder Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" absagen. Dort wollten wir am 5. August unter dem Titel "Die deutsche Reue heißt ... Stalingrad. Kein Vergleichen, kein Verzeihen, nichts wiedergutzumachen. Die Versöhnungsverweigerung des Philosophen Vladimir Jankélévitch" (...) diskutieren.

Die Gründe unserer Absage sind folgende:

- Die Konzeption des (...) veröffentlichten Rahmenprogramms (...) (das wir jetzt erst im Internet entdeckten) zielt auf eine Verwischung des Unterschieds zwischen Tätern und Opfern des Nationalsozialismus.

- Vor diesem Hintergrund steht das Risiko, während der Anfahrt, der Übernachtung oder der Abreise von Nazibanden behelligt zu werden, in keinem Verhältnis zu einem politischen Nutzen (...)

- Zwischen Rahmenprogramm und "Sicherheitsfragen" besteht unserer Meinung nach ein Zusammenhang: Die Verwischung des Unterschieds zwischen Tätern und Opfern des Nationalsozialismus bietet den Nazis eine passende Plattform für ihre eigenen Aktivitäten. Diese werden wiederum offiziell bewußt heruntergespielt. (...)

Im Einzelnen:

1. Das Gelände der einstigen Heeresversuchsanstalt Peenemünde wurde nach 1990 sehr zielstrebig (...) zu einem deutschen Wallfahrtsort gemacht, vergleichbar dem einstigen "Führersperrgebiet" am Obersalzberg. (...) die Faszination der Peenemünde-Besucher (gilt) einer "technischen Meisterleistung deutscher Forscher" (Museumsführer) – der "Vergeltungswaffe V2". Bewundert wird in Peenemünde das größte Rüstungsprojekt der Wehrmacht. (...) In Peenemünde (...) und später unter Tage im Konzentrationslager Mittelbau- Dora wurden 8892 Raketen des Typs V1 und 5975 des Typs V2 produziert. (...) 6000 dieser Geschosse (trafen) London, Antwerpen und Brüssel (...) Mehr als 8000 Menschen starben bei V2-Angriffen (...), über 20000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge kamen bei der V2-Produktion ums Leben. (...) kaum jemand pilgert (nach Peenemünde), um der ermordeten Zwangsarbeiter oder KZ-Häftlinge zu gedenken. Peenemünde ist auch offiziell keine "Mahnstätte", sondern eine "V2-Gedenkstätte", wie es die Schweriner Volkszeitung in dankenswerter Offenheit aussprach. (...) Peenemünde hat den Obersalzberg (jährlich 150000 Besucher) schon 1994 übertroffen und gehört seit dem Jahr 2002 mit jährlich 350000 Besuchern zu Deutschlands erfolgreichsten Museen. (...)

2. Der deutschen Naziszene gilt die Insel Usedom heute als "national befreite Zone". (...) dieser Hintergrund war uns schon vor unserer Zusage bekannt. Was uns aber nicht hinreichend bekannt war und letztendlich zu unserer Entscheidung führte:

3. Die unerträgliche Allgegenwart der braunen Schläger (...) wird noch gesteigert durch das Verständnis, das ihnen viele Usedomer entgegenbringen. (...)

4. Was wir vorher nicht glauben wollten: Daß die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" nun in Peenemünde gezeigt wird, ist nicht als Versuch zu werten, diesen Wallfahrtsort grundsätzlich in Frage zu stellen. Das gilt nicht nur für die Veranstalter in Peenemünde. Auch das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) bezieht sich positiv auf die Raketenshow. (...) Ihr zeitgemäßes Bild findet diese absichtsvolle Ignoranz im Schnäppchenangebot eines verbilligten "Kombi- Tickets" für jene, die sich nach der phantasmatischen Obsession für die Nazirakete noch mal in Erinnerung rufen wollen, was die Deutschen auch ohne Wunderwaffen hingekriegt haben.

5. Tatsächlich wurde mit dem "Kombi-Ticket" eine treffende Metapher für den gegenwärtigen Stand der deutschen "Erinnerungskultur" gefunden. Bereits angelegt in der vor drei Jahren nachgebesserten Peenemünder Museumskonzeption, gehen diese Relativierungen des Nationalsozialismus nun in das Rahmenprogramm zur Wehrmachtsausstellung ein. Neben Referaten über die Rolle der Wehrmacht bei der Ermordung der Juden (...) werden mehrere Veranstaltungen angeboten, in denen die Deutschen ganz unverblümt als Opfer (der Umstände, des Schicksals etc.) präsentiert werden. (...) "Die deutsche Reue heißt Stalingrad", heißt es bei Vladimir Jankélévitch – "sie heißt Niederlage". Die Ruinen von Berlin, Dresden, Swinemünde und Peenemünde sind das mindeste, was man den Opfern des Nationalsozialismus schuldet. In Peenemünde will man das so nicht sehen und läutet lieber die Glocken am 60. Jahrestag der britischen Bombenangriffe. Bürger und Nazis sind sich da ganz einig.

Unsere Veranstaltung sollte von der Versöhnungsverweigerung von Vladimir Jankelevitch handeln. Er traute den Eliten ebenso wenig wie weiten Teilen der Bevölkerung in Deutschland (...). Wir schließen uns diesem Mißtrauen an.

Unsere Absage folgt daher Jankélévitchs Diktum "Hört nicht auf das, was sie sagen, achtet auf das, was sie tun".

hagalil.com 15-08-03

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