Ivo
Bozic im Interview mit dem Publizisten Henryk M. Broder
Jungle World, 13.08.2003
Die Attentate am 11. September 2001 in New York und Washington seien
von der CIA oder dem Mossad fingiert worden. Zahlreiche
Verschwörungstheoretiker versuchen, für diese These Indizien zu sammeln.
Darunter der Journalist Gerhard Wisnewski, der seine Ansichten auch in
einem WDR-Beitrag verbreiten durfte. Ende Juni trat er mit
Gleichgesinnten bei der Veranstaltung "Der inszenierte Terrorismus" auf.
Am 7. September will der gleiche Kreis weitere "offene Fragen" zum 11.
September stellen.
Laut einer Umfrage traut jeder dritte Deutsche unter dreißig der US-
Regierung zu, die Attentate am 11. September fingiert zu haben.
Offensichtlich haben Verschwörungstheorien Konjunktur. Wie erklären Sie
sich das?
Ich bin selbst überrascht über diese Konjunktur. Und vor allem darüber,
dass Verschwörungstheorien nach und nach in der Mitte der Gesellschaft
anzukommen scheinen. Kaum waren die Flugzeuge in die Twin Towers
gekracht, machte schon die "Nachricht" die Runde, 4 000 Juden seien
nicht zur Arbeit in das WTC gekommen, also sei doch schon klar, wer
dahinter stecke. Warum glauben Leute, die ansonsten alles kritisch
hinterfragen, einen solchen Dreck? Weil sie ihn glauben wollen. Da ist
eine Prädisposition vorhanden, die gefüttert und gestärkt werden will.
Als ob es irgendwo in Amerika einen Schalter gibt, wo man sich vor
seinem Arbeitsantritt unter Angabe seiner Religionszugehörigkeit
einzuchecken hat. Da sieht man doch, wie absurd eine solche "Nachricht"
ist.
Sehen sie Parallelen zu anderen Verschwörungstheorien?
Es hat in der Bundesrepublik viele Verschwörungstheorien gegeben. Die
schönste ist die, dass die Gaskammern nach dem Krieg gebaut worden
seien, um den Deutschen die Schuld an etwas zu geben, was sie nie getan
hätten. Und da sehe ich in der Tat Parallelen zu den
Verschwörungstheorien rund um das WTC. In den 60ern und 70ern gab es
obszöne Debatten, welche Kapazität die Gaskammern gehabt hatten, ob sie
überhaupt so viele Leute "verarbeiten" konnten. Und dass die Asche der
Toten, zu einem Berg aufgehäuft, etwa die Höhe der Zugspitze erreicht
hätte, wenn es sie denn gegeben hätte. Und heute noch will Horst Mahler
nach Auschwitz fahren, um die Beschaffenheit der Gaskammern zu prüfen.
Geht es darum, Unvorstellbares erklärbar zu machen?
Ich glaube, es geht nicht darum, das Unerklärliche zu erklären. Das
kann man anders machen. Der Kern aller Verschwörungstheorien ist eine
Weltsicht, die begründet werden will. Wenn Leute wie Wisnewski sagen:
"Wir fragen ja nur", dann stimmt das nicht. Sie haben ihre Antworten
längst.
Das ist der Unterschied zu einem jederzeit notwendigen Misstrauen
gegenüber Regierungen und Medien. Überall bleiben offene Fragen. Das
Kennzeichen von Verschwörungstheorien ist, dass sie geschlossen sind und
auf alles eine Antwort haben, wenn auch oft nur unterschwellig.
Hat das etwas damit zu tun, dass die Welt immer komplexer erscheint?
Die Welt war immer komplex, und es gab immer das Bedürfnis, alles
erklären zu können. An Nostradamus wird ja heute noch geglaubt. Es gibt
natürlich ein frei schwebendes Bedürfnis nach dem Metaphysischen, das
institutionell nicht mehr befriedigt wird. Die Kirchen sind moralisch
bankrott. Also kristallisieren sich diese Bedürfnisse andernorts. Als
die Aids-Epidemie ausbrach, gab es sofort Verschwörungstheorien, wer
dahinter stecken könnte. Für die einen waren es die Bolschewiken, für
andere die Juden, die Kirchen oder die CIA. Es gibt auch das Bedürfnis,
diejenigen, die man nicht leiden kann, für Katastrophen verantwortlich
zu machen.
Was sind Verschwörungstheoretiker für Leute?
Alle Leute, die ich kenne, und die Verschwörungstheorien anhängen, sind
gescheiterte Existenzen, Leute die glauben, dass sie um etwas betrogen
wurden, dass sie es besser verdient hätten, dass das Leben nicht fair zu
ihnen war. Für ihr eigenes Scheitern machen sie dunkle Mächte
verantwortlich und übertragen das dann völlig unbedacht auf die globale
Situation. Sehen Sie sich Wisnewski an, der sich bis zur
Selbstentblößung präsentiert, indem er über sich selbst in der dritten
Person schreibt und sich auf seiner Homepage als "Terrorismusexperten"
vorstellt, der er gerne geworden wäre, aber leider nicht ist.
Ausgerechnet er hat für alles eine Erklärung. Für ihn ist es ein Trost,
dass die Welt so funktioniert, wie ihm selbst mitgespielt worden ist.
Vor ein paar Jahren hätte man ihn ausgelacht, heute füllt er große Säle
und darf sich beim WDR austoben. Dass so jemand Säle füllt, finde ich
nicht erstaunlich. Bei Erich von Däniken war auch stets der Saal voll.
Irre gibt es immer genug. Neu ist die wachsende gesellschaftliche
Akzeptanz.
Könnte das daran liegen, dass der Hass auf die Amerikaner zur Zeit
im Trend liegt?
Ja, der sitzt viel tiefer, als wir alle angenommen haben. Tief im
deutschen Gemüt sitzt die Beleidigung, gekränkt worden zu sein durch die
Befreiung vom Faschismus. Ich glaube, dass der Antiamerikanismus
teilweise an die Stelle des Antisemitismus getreten ist, als Bindemittel
nationaler Emotionen. Je schuldiger die Amerikaner werden, desto
unschuldiger werden die Deutschen.
Auch in den USA gibt es eine weit verbreitete Skepsis bezüglich der
Anschläge vom 11. September. Auch dort traut man der eigenen Regierung
zu, diese Anschläge angezettelt zu haben.
Amerika ist praktisch das Ursprungsland der Verschwörungstheorien. Für
Bröckers und Wisnewski wäre das dort das Paradies. Wenn sie nicht solche
Amerikahasser wären, hätten sie sich längst nach drüben verzogen. Der
entscheidende Unterschied ist: In Deutschland verknüpft sich das mit dem
Bedürfnis nach Unschuld, dem Bedürfnis, Opfer statt Täter zu sein. In
den USA entspringt es eher einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber
der Regierung.
Ein solches Misstrauen wird hierzulande besonders bei der radikalen
Linken, aber auch bei der radikalen Rechten gepflegt. Dort finden auch
Verschwörungstheorien, gerade antiamerikanische, großen Anklang.
Radikale Linke wie Rechte leben davon, dass sie Rezepte haben, wie die
Welt geheilt werden könnte. Oftmals sehr einfache und einleuchtende
Rezepte. Und erstaunlicherweise nimmt die Bevölkerung diese Rezepte
nicht an. Ähnlich wie bei den persönlich gescheiterten Existenzen,
können Linke wie Rechte ihr Scheitern nicht erklären. Sie müssen dafür
andere verantwortlich machen: ein böses Verschwörungskonzept.
Während sich die Linke an der Aufklärung orientierte, hat die Rechte
schon immer Ambitionen zu Mythologie, Okkultismus, Weltverschwörungen.
Seit wann ist dies auch ein Phänomen der Linken?
Da täuscht die Perspektive. In der Linken gab es das auch. Als ich
selbst noch in linken Gruppen tätig war, versuchten wir, den Menschen zu
sagen, was die falschen und was die richtigen Bedürfnisse seien.
Komischerweise haben die nicht auf uns gehört. Die katholische Kirche
macht in solchen Fällen den Teufel verantwortlich, die Linke die
Medienverführung – irgendwie muss man das ja erklären können. Auch der
Zusammenbruch der DDR war von verschiedenen Komplotttheorien begleitet.
Ein Land, das so haushoch überlegen war, ist in nur wenigen Tagen
kollabiert! Das kann ja nicht mit rechten Dingen zugegangen sein!
Ist der Antisemitismus ein grundlegendes Motiv jeder
Weltverschwörungstheorie?
Der Antisemitismus ist ein integraler Bestandteil der europäischen
Kultur. Man kann das prima testen: Sagen Sie in einer Runde zu Ihren
Freunden, an allem seien die Juden und die Radfahrer schuld. Neun von
zehn werden fragen: Warum die Radfahrer? Dem Phantasma der jüdischen
Weltherrschaft ist mit keiner Aufklärung beizukommen, es ist Teil des
kollektiven Bewusstseins.