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Marcelo Brodskys "Buena memoria":
Bilder gegen die Ignoranz

Bis Ende August ist in Hannover die Ausstellung "Buena memoria" des argentinischen Künstlers Marcelo Brodsky zu sehen - seine Installation an der Fackelträgersäule in Hannover wurde mittlerweile zum zweiten mal zerstört

Marcelo Brodsky war 22, als eine Handvoll Offiziere unter General Vileda putschte und Argentinien unter eine grausame Militär-diktatur zwang. Nach 8 Jahren lautet die Schreckensbilanz: 2300 offiziell getötete und gefolterte Opfer, 30 000 vermisste und 100 000 mißhandelte Regimegegner. Brodsky, Künstler und Menschenrechtsaktivist, rettete sich nach Barcelona ins Exil. Nach seiner Rückkehr schuf er "Buena memoria" (gutes Gedächtnis), eine komplexe und tief bewegende Studie über das, was ein Leben unter täglichem Terror den Menschen antun kann.

Ausgangspunkt ist ein sechsfach vergrößertes Foto, das 1967 von der Abschlußklasse der Colegio National (Nationale High School) in Buenos Aires gemacht wurde. Um dieses Dokument arrangiert Brodsky eine Collage aus Familienfotos, Videoaufnahmen, persönlichen und literarischen Aufzeichnungen, mittels derer er die Lebensläufe seiner Freunde (darunter den seines bis heute vermissten Bruders Fernando), rekonstruiert und zu einem Denkmal der Erinnerung macht.

"Nachdem ich viele Jahre in Spanien gelebt hatte," so Marcelo Brodsky, "kehrte ich wieder nach Argentinien zurück. Ich war gerade vierzig geworden und hatte das Bedürfnis, mich mit meiner Identität auseinander zu setzen. Als Werkzeug dafür diente mir die Fotografie, da nur sie in der Lage ist, einen Zeitpunkt in der Geschichte exakt einzufrieren. Ich begann damit, mir Fotografien meiner Familie, Jugend und Schulzeit anzusehen. Dabei entdeckte ich ein Klassenfoto meines ersten Jahres im Colegio von 1967 und verspürte das Bedürfnis herauszufinden, was aus meinen Klassenkameraden geworden war. Ich beschloss, ein Klassentreffen zu organisieren, um meine ehemaligen Klassenkameraden des Colegio Nacional de Buenos Aires nach fünfundzwanzig Jahren wieder zu sehen. Ich lud jeden, den ich noch ausfindig machen konnte, zu mir nach Hause ein und schlug vor, alle einzeln zu fotografieren. Ich vergrößerte das Klassenfoto von 1967, auf dem wir alle das erste Mal gemeinsam zu sehen waren, und benutzte es als Hintergrund für die Porträts. Jeden meiner Mitschüler von damals bat ich, etwas aus seinem aktuellen Leben mitzubringen. Später wurde ein Festakt organisiert, um der Schüler des Colegio zu gedenken, die während der dunklen Jahre der Diktatur verschwanden oder als Opfer des Staatsterrorismus ermordet wurden. Nach zwanzig Jahren willigte die Schulleitung zum ersten Mal ein, der Vermissten offiziell in der Aula Magna des Colegio zu gedenken. Das war ein historischer Moment."

Brodsky entschloss sich, weiter mit dem großen Foto zu arbeiten, das er als Hintergrund für die Porträtaufnahmen der Klassenkameraden verwendet hatte und fügte Gedanken über das Leben jedes einzelnen ein. Das Ergebnis, "Buena memoria", wird derzeit erstmals in Deutschland, im Sprengel Museum in Hannover, gezeigt.

Bereits im Juni sorgte Brodsky von dort aus für Schlagzeilen. Das Sprengel Museum steht am Maschsee, der in den 30er Jahren als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ausgehoben wurde. Am Ufer steht eine Säule, die sog. Fackelträgersäule, die geschmückt mit Nazi-Adlern und Hakenkreuzen, die noch immer zu erkennen sind, an den "Segen der Arbeit" erinnert.

Marcelo Brodsky wollte diese Tatsache nicht hinnehmen. Er entdeckte die Säule bei der Ausstellungseröffnung Anfang Mai und war schockiert: "Ich konnte nicht glauben, dass in direkter Nähe zu meinen Bildern, die von meinen verschwundenen Klassenkameraden erzählen und meinen Bruder zum letzten Mal lebend zeigen, das Denkmal eines ebenfalls faschistischen Systems steht." Brodsky entschied sich spontan, die Fackelträgersäule mit einer Fotoinstallation zu verhüllen. Die Stadt genehmigte die Installation schließlich.

Die Provokation der Verhüllung stieß nicht nur eine breite Diskussion in Hannover an, sondern zeigte auch bald unverhoffte Wirkung: Unbekannte Täter zerstörten die Installation Anfang Juli. Die großformatigen Fotografien, auf denen Schilder mit den Namen von deutschen und argentinischen Konzentrationslagern zu sehen waren, wurden zerschlitzt, die Jalousie mit der Aufschrift "Nunca más – Nie wieder", die Brodsky über eine Steintafel mit Spuren eines abgebrochenen Hakenkreuzes montiert hatte, wurde ebenfalls zerstört.

"Es ist eine Schande. Aber die Tat zeigt auch, dass wir hier nicht über die Vergangenheit sprechen, sondern über die Gegenwart", kommentierte Brodsky. Die Installation wurde repariert, damit sie bis Ende August, wie geplant gezeigt werden kann.

Am 3. August wurde die Installation ein zweites mal zerstört. Die örtliche Polizei sagte, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um einen politischen Akt von Neonazis handele.

Marcelo Brodsky wird die Installation am 21. August ein drittes und letztes mal wieder anbringen und hofft, dass sie diesmal bis Ende August bleiben wird.

Die Ausstellung "Buena memoria" ist noch bis zum 31. August 2003 im Sprengel Museum Hannover zu sehen.
Ab Mitte September wird die Ausstellung in Tel Aviv gezeigt.

Buena memoria im Internet

Am 8. September stellt Marcelo Brodsky im Iberoamerikanischen Institut Berlin die Begleitpublikation zur Ausstellung vor:

Marcelo Brodsky,
Buena memoria
Hatje Cantz Verlag 2003
Euro 14,80

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