Die Pace-Fahne ist okay, die Israel-Flagge
hingegen ist "judenfreundliche Ideologie", findet eine Hausverwaltung.
Ein Mieter in Prenzlauer Berg muss ausziehen, weil er seine
Solidaritätsgefühle am Mietbalkon deklariert. Der ist aber kein Ort
freier Meinungsäußerung
Von Igal Avidan
Schon beim Betreten der eleganten Dachgeschosswohnung ist
sie deutlich zu sehen. Die blau-weiße Fahne Israels. Da sie aber auch
von der Straße aus gut zu erkennen ist, muss Ralf Schroeder diese schöne
Wohnung im Prenzlauer Berg nun verlassen.
Schroeders Abgang aus dem Dachgeschoss begann mit dem
Irakkrieg. "Wir sahen überall Friedensfahnen, aber keiner machte sich
darüber Gedanken, dass dieser Krieg eine ernsthafte Bedrohung für Israel
sein könnte", erzählt der Inhaber einer Softwarefirma. Er und seine
Freundin haben sich schließlich entschieden, eine Gegenposition in
dieser innerdeutschen Debatte einzunehmen. Auch, "um unsere Solidarität
mit Israel auszudrücken". Die begründet der ehemals linke Aktivist
damit, dass Deutschland aufgrund seiner Geschichte eine besondere
Verantwortung gegenüber Israel trage. Der einzigen Demokratie im Nahen
Osten.
So spontan die Idee, so einfach ihre Umsetzung. Rebekka
Jausch, die Lebensgefährtin, besuchte das benachbarte "Flaggenhaus". Der
Verkäufer war recht froh, denn in jenen Tagen gingen zwar die
Pace-Fahnen weg wie warme Semmeln. Fahnen mit dem Davidstern aber wollte
keiner. Der Ladeninhaber hatte eine Lieferung von 95 Israelfahnen
bestellt und lediglich zwei verkauft, berichtet Jausch. Um 15 Euro
erleichtert, befestigten sie und Schroeder kurz nach Kriegsbeginn die
Fahne an dem Metallgitter des Wohnzimmerfensters. Abgesehen von einigen
Freunden, die beim Vorbeifahren aus der Straßenbahn "eure Flagge"
erkannten, blieb es ruhig um das Haus in der Prenzlauer Allee Nr. 5.
Zwei Monate später erhielt Schroeders Banner plötzlich Konkurrenz in
Form einer Pace-Fahne. "Der Irakkrieg war schon vorbei, daher glaube
ich, dass mein Nachbar damit gegen meine Flagge protestieren wollte", so
Schroeder. Am nächsten Morgen prangte ein "Fuck Sharon!"-Graffito an der
Hausfassade, später auch "Israel und USA - Murderer".
Kurz darauf erhielt das Paar einen Anruf von der
Treugrund-Hausverwaltung. Deren Mitarbeiterin forderte sie auf, die
Israelfahne zu entfernen, da diese den Hausfrieden störe. Einige Mieter
hätten sich darüber beschwert. "Sie sagte, dass wir unsere
judenfreundliche Ideologie woanders verbreiten sollen", erzählt
Schroeder. Zwar wies er darauf hin, dass er laut Grundgesetz das Recht
der freien Meinungsäußerung habe. Dennoch wurde ihm bedeutet, dass
dieses Telefonat als erste Abmahnung gelte. Tamara Große,
Geschäftsführerin der Treugrund-Hausverwaltung, meinte später, sie könne
sich nicht vorstellen, dass ihre Mitarbeiterin von "jüdischer Ideologie"
gesprochen habe. "Uns ist es doch egal, woher ein Mieter kommt, solange
er Rücksicht auf andere nimmt und sich keiner beschwert."
Im zweiten Gespräch mit der Verwaltung kam es plötzlich zu
der Frage, ob Schroeder ein Jude sei. "Ich weigerte mich zu antworten,
weil das völlig irrelevant ist. Sie aber meinten, wenn ich Jude sei,
hätte die Hausverwaltung den Mitmietern im Haus das Thema gegenüber
anders darstellen können." Große sagt hingegen, Schroeder hätte die
Frage nach seiner Identität provoziert. Sie besteht darauf, dass es sich
nicht um ein Politikum handelt. Sie hätte nichts gegen "Israeliten oder
Palästinenser".
Schroeder bleibt dabei und lässt die Fahne weiter draußen
hängen. "Aus Trotz", wie er sagt. "Ich fragte, ob sie uns fristlos
kündigen würde." Die Dame von der Verwaltung habe die Frage schließlich
bejaht. Von einem Rechtsanwalt erfährt Schroeder, dass nach zwei
mündlichen Abmahnungen die Kündigung mit einer dritten, schriftlichen,
erfolgen kann. "Uns wurde klar, dass die Lage ernst ist und dass wir in
zwei, drei Wochen auf der Straße landen könnten." Um einer fristlosen
Kündigung zuvorzukommen und nicht binnen kurzem obdachlos zu werden,
suchten Schroeder und seine Freundin schleunigst nach einem neuen
Domizil. Schnell wurden sie fündig.
Noch am selben Tag kündigten sie den bestehenden Mietvertrag
und wollen ihr Dachgeschoss bis Ende August verlassen. Nur eines will
Schroeder noch konsequent durchziehen: Bis zum allerletzten Tag, dem 31.
August, soll die Israelfahne aus seinem Fenster hängen.
Bleibt die Frage: Darf ein Berliner Mieter eine Fahne auf
seine Terrasse oder den Balkon hängen?
"Nicht ohne Zustimmung des Vermieters", sagt Frigga Döscher,
Vorsitzende des Mieterschutzbundes Berlin. "Der Mieter hat nicht die
Hausfassade gemietet." Wenn Schroeder jedoch seine Fahne an der
Innenseite des Fensters befestigt hätte, wäre es für die Hausverwaltung
deutlich schwerer, dies zu untersagen, so Döscher. Durch seinen
"Flaggenstreit" fand Schroeder aber auch neue Freunde, zum Beispiel den
Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Manfred Lahnstein.
Der ehemalige Bundesminister beglückwünschte ihn zu seinem Mut und bot
juristische Hilfe an. Schroeders Tat findet er "hervorragend" und bisher
einmalig. Andere Freunde schickten ermutigende E-Mails, und nun überlegt
er, ob er seinen Weggang mit einem öffentlichen Bekenntnis zu Israel
krönen solle.
Im September bezieht das Paar die neue Wohnung. Wird
Schroeder auch dort wieder "Flagge zeigen"? "Ich werde es mir gründlich
überlegen."
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