Gedanken zum Fall Friedman:
Respekt vor einem Ungeliebten
Christoph von Marschall
Gar nichts ist normal, auch 60 Jahre danach. Der Fall
Friedman bringt alles wieder nach oben: das ganze deutsch-jüdische
Neurosenprogramm. Die Angst, durch ehrliches Aussprechen von Gefühlen
Tabus zu brechen, und die Furcht, sich durch allzu große Offenheit in
eine antisemitische Ecke zu stellen. Aber auch die Versuchung, die
ganzen Vorwürfe und Medienberichte als eine antijüdische Verschwörung
abzutun. Beides wirkt verkrampft. Sind wir nicht längst viel weiter? Was
hat denn seine jüdische Herkunft mit der Affäre zu tun? Kann man ihn
nicht behandeln wie jeden Katholiken oder Protestanten auch? Ganz zu
schweigen von der Unschuldsvermutung, auf die er doch Anspruch hat.
Doch das gelingt nicht, 60 Jahre danach. Alle wissen um
seine Herkunft. Es gibt die einen, die sich mehr oder weniger heimlich
freuen, dass ein ihnen unsympathischer Jude am Pranger steht. Und die
anderen, die es unerhört finden, dass die Angelegenheit nicht
totgeschwiegen wird - weil es doch zu den Lehren aus der Geschichte
gehöre, um jeden deutschen Juden eine Schutzmauer des Respekts und
Verständnisses zu bauen.
Man ist versucht, sich vorzustellen, wie Friedman mit einem Prominenten in
seiner Lage umgegangen wäre - wenn er ihn denn auf die Couch in seiner
Sendung bekommen hätte. Man sieht ihn vor sich, wie er in Nahaufnahme
mit dem Zeigefinger auf sein Gegenüber einsticht und bohrt: 'Ich will
nur ein Ja oder Nein hören. Haben Sie oder haben Sie nicht?' - Man kann
das nicht trennen: den jüdischen Deutschen, dem wir, vielleicht, mehr
Zurückhaltung schuldig sind, und den Großinquisitor im Fernsehen, der
keine besondere Schonung verdient, weil er selbst keine gewährte.
Der Umgang mit Friedman hat eben nicht nur mit seinem Leben als Jude in
Deutschland zu tun und dem Test, wie viel die Deutschen aus ihrer
Geschichte gelernt haben. Sondern sehr stark mit seiner Person, mit
seinem fast manischen Zwang, zu polarisieren, zu provozieren, als könne
er nur so austesten, ob er denn heute als Jude in Deutschland willkommen
sei.
Man darf auch fragen - rein theoretisch - wie das Land reagiert hätte,
wenn die gleichen Verdächtigungen einen netten, zurückhaltenden, einen
sympathischen jüdischen Prominenten getroffen hätten: Kontakte zu
Prostituierten, gelegentlicher Rauschgiftkonsum. Vermutlich hätten die
meisten nachsichtig gelächelt. Sind wir nicht alle Sünder, haben wir
nicht alle unsere kleinen Schwächen und Geheimnisse?
Die unübersehbare Schadenfreude über Friedman hat vielleicht doch weniger
mit seiner jüdischen Herkunft zu tun als mit seinem Verhalten. Jeder
Auftritt eine große Show. Er zeigte Arroganz und Härte gegenüber
anderen, aber zugleich eine gewisse Larmoyanz, dass Israel oder die
Juden immer noch auf Vorurteile treffen. Seine ganze Art wirkte auf
viele unsympathisch, unabhängig davon, ob sie sich zu den Rechten oder
den Linken zählen.
Doch halt, darf man das als Deutscher einfach so sagen - dass ein Jude
unsympathisch wirken kann? Dazu einer, der sich so engagiert in der
Gesellschaft und unbestreitbar die politische Kultur prägt durch seine
schonungslosen Streitgespräche, die sich so kein anderer traut. Gönnen
wir Friedman den Skandal, weil er so überheblich auftritt? Oder ist
dieses Unsympathisch-Finden nur eine Ausrede für verdeckten
Antisemitismus, hat also doch etwas damit zu tun, dass er Jude ist - und
wir Deutschen immer noch kleine Antisemiten?
Viele Deutsche haben immer noch Angst, für Antisemiten gehalten zu werden.
Wie es sie umgekehrt nervt, für potenzielle Nazis gehalten zu werden -
erst recht, wenn sie lange nach Weltkrieg und Holocaust geboren sind.
Beide Seiten sind gefangen in diesem Vorurteilsgeflecht. Das ist
bedrückend genug. Aber das ist noch nicht alles. Das Judesein drängt
sich immer wieder hinein in alle Betrachtungen, auch wenn man sich noch
so dagegen wehrt, mal als Bonus, mal als Malus. Hat nicht auch Friedman
die Herkunft erst besonderen Respekt eingetragen und Vorteile bei der
Karriere? Erleichterte sie ihm nicht seine Sonderrolle als Moderator,
weil sie ihn relativ unangreifbar machte? Jetzt wird sie ihm zur Last
gelegt.
Wir können zwischen dem Menschen Michel Friedman, dem Journalisten und dem
prominenten Juden so schwer unterscheiden, weil er selbst sich
entschieden hatte, das nicht zu trennen und sein Judesein in Deutschland
so offensiv zu leben. Er wollte von den nicht-jüdischen Deutschen
akzeptiert werden - aber nicht, weil er so nett, so begabt, so
assimiliert ist. Er wollte akzeptiert werden als einer, der provozierend
anders ist: aggressiv, moralisch hochfahrend, dandyhaft.
Darf man das unsympathisch finden - und es auch sagen? Man darf. Sofern
man ihn nicht allein wegen seiner Herkunft unsympathisch findet und ihm
nicht den Respekt vor dem Menschen Michel Friedman und seiner Leistung
versagt. In allen Gesellschaftsgruppen gibt es bescheidene und anmaßende
Menschen, kumpelhafte und unnahbare, sympathische und unbeliebte. Das
auszusprechen, ist das Gegenteil von Rassismus. Und gewiss kein
Antisemitismus.
Michel Friedman ist wichtig für dieses Land, wichtig für unsere
Auseinandersetzung mit seiner Rolle als unbequemer Journalist und seiner
provozierenden Art, sein Judesein hier zu leben.
Respekt vor einem, der nicht geliebt wird - das wäre doch kein schlechter
Ansatz, etwas mehr Normalität zu üben.
Christoph von Marschall: 1959 in Freiburg/Breisgau geboren, studierte
osteuropäische Geschichte und Politikwissenschaft in Freiburg, Mainz und
im polnischen Krakau. Promoviert 1988, volontierte er anschließend bei
der 'Süddeutschen Zeitung' und war dann während des demokratischen
Umbruchs Korrespondent in Ungarn. Seit 1991 ist Christoph von Marschall
beim 'Tagesspiegel' in Berlin, er betreut als Leitender Redakteur die
Meinungsseite.
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DeutschlandRadio
DeutschlandRadio Berlin: Politisches Feuilleton
Manuskript vom: 1.7.2003
hagalil.com
06-07-03 |