Intifada an der Uni:
Noch ein später Sieg von '68
Deutsche Professoren streiten für das Recht, Israel zum Problem erklären
zu dürfen
Von Tjark Kunstreich
Auf die Relativierung der Nazi-Verbrechen folgt ihre Banalisierung.
Deutschlands akademische Elite zwischen links und rechts fühlt sich
einmal mehr berufen, schon tausendmal gezogene und noch öfter widerlegte
Vergleiche neu aufzulegen, vor allem dann, wenn es ihr darum zu tun ist,
Israel als ein Problem, welches wenigstens der wissenschaftlichen
Erörterung bedarf, zu definieren und deutsche Geschichte, vorsichtig
ausgedrückt, zu entproblematisieren. In den folgenden zwei Beispielen
erfolgt dies auf unterschiedliche Art und Weise, zumindest auf den
ersten Blick. Weil aber die Professoren Udo Steinbach und Georg
Fülberth, die sich ansonsten wohl ungern in einem Atemzug genannt wissen
möchten, ihrerseits auf die Wissenschaftlichkeit des Vergleiches und der
Definition des Problems bestehen, werden die Unterschiede im Folgenden
vernachlässigt, um ganz unwissenschaftlich die Gemeinsamkeiten
hervorzuheben.
Steinbach, Leiter
des vom Außenministerium finanzierten Deutschen Orient-Instituts, fragte
sich am 6. Januar 2003 in Salzgitter öffentlich: "Wenn wir sehen wie
israelische Panzer durch palästinensische Dörfer fahren und sich die
verzweifelten Menschen mit Steinen wehren, dann müssen wir im Blick auf
Warschau und im Blick auf den Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto
auch fragen dürfen, war das dann nicht auch Terror?" Entweder sind die
Palästinenser, die sich heuer anderer Mittel als Steine bedienen,
genauso Terroristen wie die Juden im Warschauer Ghetto. Oder sie sind
es, weil ihr Widerstand ebenso legitim ist, eben nicht – aber dann sind
die Israelis die Nazis von heute. Wie man es dreht und wendet: Die Juden
sind schuld und die Deutschen entlastet.
Ein halbes Jahr
später: Steinbach ist noch immer da – die Rücktrittsforderungen seitens
des Vorsitzenden der Berliner Jüdischen Gemeinde, Alexander Brenner, und
des Simon-Wiesenthal-Centers drangen nicht einmal in die deutsche
Öffentlichkeit.
Fülberth,
Geschichtsprofessor aus Marburg und den Lesern von Jungle World
und
Konkret kein Unbekannter, beschwerte sich Ende Mai in einem
persönlich gezeichneten Flugblatt über eine studentische Initiative, die
Lehrveranstaltungen seiner Kollegen Maria Sporrer und Reinhard Kühnl
unter der Überschrift "Intifada an der Uni" scharf kritisierte. Sie tat
dies unter dem sympathischen Namen "Kosmopolitbüro" und der Verwendung
von Belegen, was Fülberth schlicht bestreitet. Darüber hinaus münzt er
deren Forderung, Sporrers anti-israelische Seminare zu stören und der
Seminarleiterin und den Seminarbesuchern "auf den Nerven
herumzutrampeln, bis sie blank liegen", um in "Angriffe auch die
körperliche und nervliche Gesundheit von Lehrpersonen" und folgert: "Das
machten 1932/33 die Nazis". (Alles nachzulesen unter
www.kosmopolitbureau.
unwissenschaftlich.de) Jene Minderheit also, die es stört, wenn
Kühnl über den "Siedlungskolonialismus" Israels doziert und Sporrer
jeden Nazi in ihrem Seminar zu Wort kommen lässt, und die ein Ende
dieser antisemitischen Veranstaltungen fordert, benimmt sich also wie
die Nazis.
Ist ja auch logisch,
folgt man Steinbach, wenn die Israelis die Nazis von heute sind, dann
sind die Freunde Israels nicht nur dessen fünfte Kolonne, ein Wort das
Fülberth wahrscheinlich nicht gern in den Mund nimmt, sondern ebenfalls
Nazis. Wie anders ist es zu interpretieren, wenn Fülberth zur
Verteidigung Kühnls nur zu sagen hat: Für einen Wissenschaftler gebe es
"keine Angelegenheit, die kein Problem wäre, so oder so"? So oder so, ex
oder hopp, gehupft wie gesprungen: Ein linker Lehrkörper im Reich der
positivistischen Freiheit. Zum Problem verdinglicht wird alles
vergleichbar, der palästinensische Terror zum "Widerstand" bei Kühnl und
der jüdische Staat zum Staatsterroristen bei Steinbach – oder war es
umgekehrt? Bei so viel Gleichförmigkeit könnte man zum
Poststrukturalisten werden.
Konsequent wäre es,
wenn Fülberth auch Steinbach verteidigte: im Namen der Wissenschaft.
Denn Ähnliches und Schlimmeres als Steinbachs Ghetto-Vergleich fiel in
den Seminaren Sporrers allemal. Was aber reitet einen wie Fülberth eine
solche Lehrveranstaltung zu verteidigen? Wenn sein Kollege Kühnl meint,
einen Vortrag unter dem Titel "Das Problem Israel" halten zu müssen,
wieso lässt er es nicht dessen Problem sein?
Bislang hatte
Steinbach keine Rückendeckung nötig, mangels einer Öffentlichkeit, die
seine Bemerkungen zur Kenntnis nähme und ihrerseits problematisch fände;
der Marburger Sturm im Wasserglas ist durch Fülberths Intervention erst
zum Skandal geworden. Er hätte sich enthalten sollen – hat er aber
nicht. Im Gegenteil hat er mit seinem, die NS-Studentenschaft der Jahre
1932/33 grotesk banalisierenden und zugleich die Kritiker des
universitären Diskurs-Antisemitismus unsäglich dämonisierenden Vergleich
vielmehr ein Bekenntnis abgelegt, welches ihm dieselbe Rechtssicherheit
deutscher Intellektualität garantiert, das auch Steinbach für sich in
Anspruch nimmt. Denn schließlich sagt er selber, die Kritiker jener
Lehrveranstaltungen seien "höchstens 5 Personen", während jene
NS-Studentenschaft – gemeinsam mit dem NS-Lehrkörper – nicht nur im
Marburg jener Jahre majoritär gewesen ist.
Ein bisschen, aber
wirklich nur ein kleines bisschen lustig an der Sache ist, dass Fülberth
– um nicht wie einer jener "Frankfurter Westend-Philosophen" (Fülberth
über Max Horkheimer und Theodor W. Adorno) zu wirken, welche im
antiautoritären, antibürgerlichen Gestus von 1968 einen Hauch Strasser
verspürten, der ihnen kalt über den Rücken lief – nicht nur die
Studentenbewegung mit der zweifelhaften Bemerkung in Schutz nimmt, sie
habe Lehrveranstaltungen "nur umfunktioniert", anstatt sie zu sprengen,
sondern gleich noch jenen Hauch linksradikalen NS mitverteidigt, den
Kühnls und sein eigener Lehrer Wolfgang Abendroth eher sympathisch fand.
Abendroth, unbestritten ein
Antifaschist, hatte immer kritisiert, dass die Linke den Strasser-Flügel
der NSDAP nicht unterstützt hatte; am Nazi-Regime hatte er wie viele
andere Antifaschisten auch – und das schmälert nicht ihren Widerstand
und schon gar nicht erlittenes Leid! – am allerwenigsten die
Volksgemeinschaft auszusetzen, am allermeisten dessen Verbandelung mit
der Großindustrie. Für die Radikalisierung zum Massenmord aber war
wesentlich erstere zuständig, letztere stellte das Werkzeug. Fülberth
entgegnet den Kritikern, die auf Abendroth verweisen, mit der Bemerkung,
auch Walter Wallmann habe seinerzeit behauptet, Abendroth sei deswegen
zurecht verurteilt worden, weil "der Angeklagte ja nicht für die
Freiheitlich-Demokratische Grundordnung, sondern für den Kommunismus
gekämpft habe." – Absurd, eingedenk der gebetsmühlenhaften Verteidigung
des Grundgesetzes durch eben jenen Abendroth, die der Gegenstand der
Kritik an ihm in der umstrittenen Broschüre ist.
Steinbachs
Ghetto-Vergleich war schon früher einmal von einem anderen Autoren,
nämlich Fritz Teppich, in der notorischen Jungen Welt
nachzulesen. Und auf das Recht, Israel zu problematisieren, bestehen an
deutschen Hochschulen vor allem linke und ehemals linke Lehrpersonen.
Das neueste linke Deutschland der "Pace"-Fahnen, wo man alles über die
Juden sagen kann, solange man nur den Eindruck erweckt, als müsse man
sich der Übermacht jüdischer Deutungshoheit im Namen der Wahrheit
widersetzen, ist noch ein Sieg der Achtundsechziger: als hätten sie es
darauf angelegt, jene Frankfurter Professoren, deren Veranstaltungen im
Gegensatz zu denen zahlreicher Kollegen mit glanzvoller brauner
Vergangenheit ganz und gar nicht "nur umfunktioniert" wurden, posthum zu
bestätigen.
hagalil.com
16-06-03 |